Petersberger Klimadialog: Was Europa von Südkorea lernen kann
Vorbild Südkorea: Der Petersberger Klimadialog rückt die Erderwärmung in den Fokus. Kann Europa von Asien lernen?
Der Petersberger Klimadialog soll alljährlich der eher trägen Klimadiplomatie auf die Sprünge helfen. Der Gipfel, der 2010 von Kanzlerin Angela Merkel ins Leben gerufen wurde, wird stets im Frühjahr abgehalten. So bleiben den Staaten noch einige Monate bis zur jeweiligen Weltklimakonferenz. In diesem Jahr jedoch fällt die Klimakonferenz wegen der Coronakrise aus, zu gefährlich wäre ein physisches Zusammentreffen von Ministern, Klimaverhandlern und Umweltschützern. Dass der Petersberger Klimadialog trotzdem stattfindet, wenngleich die knapp 40 Minister aus aller Welt nur virtuell zusammenkommen, ist als Botschaft zu verstehen: Der Klimaschutz soll trotz der Coronakrise weitergehen. Auch Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) nimmt am zweitägigen Gipfel teil. Merkel wird am Dienstag sprechen.
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Weil die Coronakrise alles überlagert, bietet die Veranstaltung Merkel eine seltene Gelegenheit, die Aufmerksamkeit wieder voll auf die Erderwärmung zu richten. Merkel soll ein klares Bekenntnis abgeben, dass die Konjunkturhilfen, die zur Wiederbelebung der Wirtschaft aufgelegt werden, auch den Klimaschutz sichern, fordern die Umweltverbände. Die EU-Kommission hatte für den grünen Umbau der Wirtschaft schon im vergangenen Jahr einen Vorschlag gemacht: Mit dem Green Deal sollte Europa bis 2050 klimaneutral werden. Doch durch das Virus geriet der Green Deal in den Hintergrund.
Wo Deutschland und Europa noch mitten in der Diskussion stecken, ist Südkorea, jenes Land also, dass momentan bei der Bekämpfung des Coronavirus eine Vorreiterrolle einnimmt, auch bei der wirtschaftspolitischen Entscheidungsfindung einige Schritte weiter. Die jüngst wiedergewählte Regierungspartei von Präsident Moon Jae-in will mit ihrer Version eines Green Deals die heimische Wirtschaft ankurbeln. „Der europäische Plan diente als Vorbild“, sagt Alexander Reitzenstein, Politikanalyst bei der Denkfabrik E3G.
Es ist mitnichten so, dass der Plan für Südkorea, wo derzeit noch 40 Prozent des Stroms in Kohlekraftwerken produziert wird, leicht umzusetzen wäre. Südkorea ist ein Industriestaat, nun will er bis 2050 klimaneutral werden – ein Plan zur konkreten Umsetzung soll schon bald folgen. Die Herausforderungen dürften damit ähnlich hoch sein wie für ein Land in Europa.
Die Transformation will die südkoreanische Regierung etwa dadurch schaffen, dass eine CO2-Steuer eingeführt wird, auch soll die öffentliche Kohlefinanzierung im In- und Ausland eingestellt werden. Südkorea will regionale Büros für den Strukturwandel einrichten. Investitionen in erneuerbare Energien sind in großem Stil vorgesehen.
Freilich gibt es noch Fragezeichen: Wie hoch ist die CO2-Steuer und für welche Energieträger gilt sie?
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Wann steigt das Land aus der Kohleverstromung raus? Auch das derzeitige Klimaziel für 2030 wird von Climate Action Tracker zudem als „hoch ungenügend“ eingestuft. Hier muss die Regierung also nachbessern.
„Interessant ist aber, dass Südkorea derzeit ganz klar den Zusammenhang zwischen Klimaschutz und Wirtschaftsaufschwung kommuniziert“, sagt Reitzenstein. Der Fokus werde auf die Entwicklung von neuen, klimafreundlichen Technologien gesetzt, bei dem man führend werden und so auch den Umbau des riesigen Industriesektors schaffen wolle. Und obwohl der Deal noch umgesetzt werden muss, bleibt unterm Strich der Eindruck eines Gewinners: Südkorea ist bisher gut durch die Coronakrise gekommen und setzt nun mehr denn je auf Klimaschutz.
In Europa hingegen wird der Green Deal nicht von allen als Chance gesehen. Polen und Tschechien nehmen ihn immer wieder unter Beschuss. Auch in Deutschland gibt es Meinungen, denen zufolge sich der Klimaschutz nun hinten anstellen müsse. Das hat zu einem regelrechten Aufschrei in Zivilgesellschaft und Wirtschaft geführt: 180 Unternehmen und Organisationen aus ganz Europa schlossen sich zu einer „Allianz für grüne Erholung“ zusammen. 17 Umweltminister unterstützen öffentlich den Green Deal, auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach sich erneut für ein Festhalten an ihrem Prestigeprojekt aus.
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Nun müsse der Green Deal mit einem Zeitplan und einem Budget konkretisiert werden, sagt Analyst Reitzenstein. Merkel könnte dazu ihren Beitrag leisten. „Von ihr müsste etwa die Zusage kommen, dass die Bundesregierung ein neues, höheres Klimaziel der EU für 2030 mitträgt.“ Konkret kann Deutschland die im Juli beginnende Ratspräsidentschaft nutzen, um andere EU-Staaten für ambitioniertere Einsparziele zu gewinnen. Am Ende müssen freilich auch alle EU-Partner vom Klimaschutz-Nutzen überzeugt werden. Da hat es Südkorea dann doch leichter als Europa.