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Zweifel am Zeitplan. Die Brexit-Verhandlungen sollen eigentlich am 19. Juni beginnen.
© Peter Nicholls/Reuters

Austritt aus der EU: Was die Wahl in Großbritannien für den Brexit bedeutet

In Brüssel macht sich nach der Wahlschlappe der britischen Regierungschefin May die Sorge breit, dass der Zeitplan für die Brexit-Gespräche ins Rutschen kommt.

Nach der Wahlschlappe von Theresa May macht sich in Brüssel allmählich Sorge breit. Im Europaparlament und in der EU-Kommission wird befürchtet, dass es nun zu Verzögerungen bei den anstehenden Brexit-Verhandlungen zwischen London und Brüssel kommt. Eigentlich sollte die erste Runde am 19. Juni losgehen. Doch angesichts der innenpolitisch unsicheren Lage in London hat man in Brüssel diesen Termin inoffiziell bereits abgeschrieben. Es wird nicht ausgeschlossen, dass May schon bald von innerparteilichen Widersachern gestürzt wird. Die Regierungsbildung wird in jedem Fall schwierig und noch einmal Zeit kosten. Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) äußerte Zweifel daran, dass London überhaupt schnell verhandlungsbereit ist: „Ohne Regierung keine Verhandlungen.“

FDP-Parlamentarier Lambsdorff: "May hat Torte im Gesicht"

„Theresa May hat Torte im Gesicht.“ So lautete der Kommentar des Vize-Präsidenten des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff. Die Briten hätten May die Streichung von 20.000 Polizistenstellen in ihrer Zeit als Innenministerin „zu Recht übel genommen“, sagte der FDP-Politiker dem Tagesspiegel. Mit Blick auf die Brexit-Verhandlungen sagte er: „Brüssel kann zeitgerecht verhandeln.“ Lambsdorff erinnerte daran, dass dabei erst einmal wichtige Verhandlungsthemen wie die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien, der Status der Grenze zwischen Nordirland und Irland sowie die britische Austrittsrechnung beim Verlassen der EU gelöst werden müssten. Erst dann können die aus Londoner Sicht entscheidenden Punkte wie der Zugang zum EU-Binnenmarkt besprochen werden. „Es bleibt ein britisches Interesse, zügig mit den Verhandlungen zu beginnen“, sagte Lambsdorff.

Ende 2018 soll die Scheidungsvereinbarung fertig sein

Ein rascher Beginn der Gespräche ist schon deshalb wichtig, weil ansonsten der gesamte Zeitplan ins Rutschen kommen könnte. Im Oktober oder November 2018 müssen die Verhandlungen abgeschlossen sein, damit das Scheidungsdokument zwischen der EU und London im Europaparlament und von den Mitgliedsstaaten noch gebilligt werden kann. Außerdem steht im Juni 2019 die nächste Wahl zum EU-Parlament vor der Tür: Niemand will eine Europa-Wahl, an der die austrittsentschlossenen Briten noch einmal teilnehmen.

Abstimmungen in London könnten zur Zitterpartie werden

Dass die Regierung in London nach der Unterhauswahl nun geschwächt ist, stellt aus EU-Sicht keineswegs eine gute Ausgangslage für die Verhandlungen über den Brexit dar. EU-Chefunterhändler Michel Barnier hätte es lieber gesehen, wenn May mit einer komfortablen eigenen Mehrheit ausgestattet worden wäre. Nun ist sie kein starker Verhandlungspartner, sie (oder ihr Nachfolger) wird sich im Unterhaus nur auf eine schwache Mehrheit stützen. Damit besteht die Gefahr, dass Abstimmungen im Unterhaus über Verhandlungsergebnisse zu Zitterpartien werden. Brüssel liegt zudem daran, die Verhandlungen überhaupt zum Abschluss zu bringen. Ein Abbruch der Gespräche soll unbedingt vermieden werden, weil ein ungeordneter Brexit ein Desaster für die Unternehmen wäre, die Handel mit Großbritannien betreiben.

Optimisten setzen auf tragfähiges Übergangsabkommen

May hat mit der Ansage Wahlkampf gemacht, einen harten Brexit herbeizuführen. Ihre Niederlage deutet darauf hin, dass sie damit die Wähler nicht gerade euphorisiert hat. Weil aber der Brexit gar nicht das Hauptthema im Wahlkampf war, hegt kaum jemand in Brüssel die Hoffung, dass jetzt der Ausstieg aus dem Brexit kommt. Optimisten setzen eher auf ein anderes Szenario: Womöglich steigen mit dem Zeitdruck die Chancen darauf, dass es zu einer Übergangsvereinbarung zwischen London und Brüssel kommt. Erstrebenswert wäre, dass dabei die Grundfreiheiten des Binnenmarktes wie Personenfreizügigkeit sowie der Wegfall der Zoll- und Handelsschranken provisorisch in Kraft bleiben. Und manche Provisorien entwickeln eine erstaunliche Vitalität.

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