zum Hauptinhalt
Die Kanzlerinpartei sucht neue Führung. Es geht um den Parteivorsitz und die Kandidatenfrage.
© Odd Andersen, AFP

Vor dem Parteitag: Was die CDU von der Welt lernen sollte

Überall zeigen bürgerliche Parteien, was droht, wenn sie sich nicht nach rechts abgrenzen. Die CDU-Delegierten sollten sich also fragen: Wo stünde eine rechtsverrückte Union in einem Jahr? Ein Gastbeitrag.

- Sebastian Turner, viele Jahre Herausgeber des Tagesspiegels, ist Gründer der neuen Fachpublikation China.Table

Worauf müssen die CDU-Delegierten achten, wenn sie am Wochenende ihre drei Kandidaten Laschet, Merz und Röttgen wägen und wählen? Sie vergeben noch nicht das Kanzleramt, sondern den CDU-Vorsitz. Da ist es erlaubt zu fragen: Welcher Kandidat bewahrt die erstaunliche relative Stärke und Regierungsfähigkeit der Partei?

Die erschütternden Bilder aus dem Capitol mit einer verwüsteten Republikanischen Partei, das Irrlichtern der Torys in Großbritannien, der Untergang der Democratia Cristiana in Italien und die Marginalisierung der traditionellen bürgerlichen Parteien in Frankreich zeigen, dass die Mitglieder dieser Parteienfamilie genauso Schwindsucht bekommen können, wie ihre sozialdemokratischen Wettbewerber, die in noch mehr Ländern erheblich geschwächt sind.

Für die Union war entscheidend, sich konsequent der Mitte und den dort möglichen Koalitionen zuzuwenden und sich ebenso konsequent von den immer wieder rechts von ihr aufkommenden Parteien abzugrenzen, bis diese sich auf ihre inneren Widersprüchen konzentrieren und scheitern. Dabei ist die AfD auf dem Rechtsaußenstreifen der deutschen Politik nur die jüngste Angreiferin, die es in Parlamente schaffte.

Auch die NPD, die Republikaner und die DVU wurden in Landtage gewählt und drohten, der CDU die Mehrheitsfähigkeit durch nationalistische und andere irrationale Positionen zu rauben. Die Union war jeweils standfest genug, sich diese Positionen nicht zu eigen zu machen - trotz des damit verbundenen Wählerpotenzials.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

In den USA hieß die Verlockung von Rechtsaußen Tea-Party. Die Republikaner ließen sich darauf ein, um von deren Geist und Donald Trump sogar vereinnahmt zu werden. Die Folgen der Selbstverstümmelung der Republikaner sind noch gar nicht abzusehen, um so deutlicher aber, was dazu führte: der Flirt mit den Extremen und die damit verbundene politische Polarisierung. Sie ist das süße Gift der Politik.

Hier müssen die CDU-Delegierten beim grenzüberschreitenden Lernen auch das Wahlsystem beachten. In Ländern wie den USA oder auch Großbritannien mit Mehrheitswahlrecht kann es eine Prämie für Polarisierung geben. So setzten sich Trump und Brexit durch. Die Schattenseite ist gesellschaftlich die Spaltung und parteitaktisch die Mobilisierung der anderen Seite.

Polarisierer hinterlassen gesprächsunfähige Gesellschaften

Trump hat bei der letzten Wahl mehr Menschen für die Republikaner mobilisiert als jeder Kandidat vor ihm. Er hat aber noch mehr Wähler dem nicht-polarisierenden Joe Biden zugetrieben. Man muss viele Jahrzehnte zurückblicken, um einen Präsidenten zu finden, der nach der ersten Amtszeit das Verlierer-Triple schaffte: Die Republikaner haben Präsidentschaft, Repräsentantenhaus und Senat verloren. Polarisierer können das. Sie hinterlassen in jedem Fall eine kaum noch gesprächsfähige Gesellschaft.

[Das Wichtigste aus Amerika jeden Donnerstag in Ihrem Postfach mit dem Newsletter der Tagesspiegel-USA-Experten. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung: tagesspiegel.de/twentytwenty. ]

Beim Verhältniswahlrecht mit Mehrparteien-Angebot ist es selbst unter günstigsten Bedingungen nahezu ausgeschlossen, mit Polarisierung eine Mehrheit zu erreichen. Man denke an die CSU-Stars wie Franz-Josef Strauß und Edmund Stoiber und den mal für die SPD, mal für die Linke polarisierenden Oskar Lafontaine.

Die Union ringt immer wieder mit der Abgrenzung nach rechts

Die Union war erst kürzlich mit der Frage konfrontiert, wie nah sie einer Rechtsaußen-Partei kommen darf, nach dem schnellen Anstieg der Flüchtlingszahlen und dem folgenden zweiten Aufwind der AfD. Von allen heutigen Kandidaten der CDU sind ihre damaligen Vorstellungen bekannt. Wer damals sagte, er wolle die AfD durch die Annäherung an ihre Positionen halbieren, hätte wohl eher die Union halbiert. In jedem Fall hat er gezeigt, dass er in entscheidender Situation dem süßen Gift der Polarisierung erliegt. Die CDU-Delegierten können sich ganz schlicht die Frage stellen: Wo stünde eine rechtsverrückte Union in einem Jahr? Vermutlich gespalten, sicher ohne Koalitionspartner in der Opposition und wohl in einem rot-grün-rot regierten Deutschland. 

Sebastian Turner

Zur Startseite