Jetzt droht das Corona-Fiasko: Was Deutschland im Corona-Sommer verschlafen hat
Zum Start des Lockdowns wird klar: Das Land hat bei den Corona-Vorbereitungen einiges versäumt. Das zeigt sich vor allem bei der Verteilung der FFP-2-Masken.
In den zehn Monaten der Corona-Pandemie hat die Bundesregierung eine große Leidenschaft für die Wissenschaft entdeckt. Vor allem die Physikerin und Kanzlerin Angela Merkel, die mit Verve und Geduld immer wieder erklärte, dass aktuelle Infektionszahlen bei SARS-CoV-2 das eine seien, viel wichtiger aber die für die Zukunft daraus ableitbaren Entwicklungen.
Auch Gesundheitsminister Jens Spahn (ebenfalls CDU) wurde nicht müde, immer wieder das Wesen des exponentiellen Wachstums zu verdeutlichen – verbunden mit der Botschaft, im Heute schon die Katastrophe von morgen zu verhindern. Die Beliebtheitswerte von Spahn hat das während der Pandemie in unvorstellbare Höhen geschraubt, vor allem in jenen warmen Monaten, als die Infektionszahlen in die gegengesetzte Richtung fielen.
Doch inzwischen spricht vieles dafür, dass es ein Sommer der verpassten Chancen war, in dem vor allem Spahn es unterließ, sich auf das Fiasko vorzubereiten, das Deutschland jetzt bevorstehen könnte. Der Ratschlag, vorausschauend zu planen, wurde von ihm wie auch von anderen Ressorts vernachlässigt, denkt man etwa an die Pandemievorbereitungen in Schulen und Kitas.
Im Zuständigkeitsspektrum des Gesundheitsministers wird dieses Versäumnis vor allem in einem Bereich deutlich: bei der Verteilung von FFP-2-Masken an Menschen, die diese besonders nötig haben. Denn für sehr viele Pflege- und Altenheimbewohner werden diese viel zu spät kommen, obwohl die Bundesregierung sie seit Sommer millionenfach auf Lager hat.
Daran ändert auch nichts, dass das Ministerium gerade in einer übereilten Aktion FFP-2-Masken über Apotheken verteilen lässt – denn die gibt es bekanntlich nur für Selbstabholer, in aller Regel also nicht für wenig mobile Heimbewohner.
Zweite Welle mit Ankündigung
Zögerlichkeit zu Beginn der Pandemie kann man Spahn nicht vorwerfen: Als klar war, dass die FFP-2- und qualitativ ähnlichen KN95-Masken zur Neige gehen und fast alle Länder den internationalen Markt – der sich vor allem in China befand – leerkauften, startete Spahns Ministerium ein überstütztes Open-House-Verfahren, mit dem binnen kurzem Lieferzusagen für Abermillionen von FFP-2-Masken an Land gezogen wurden.
Das Beschaffungsverfahren lief zwar völlig aus dem Ruder, es schalteten sich Parteifreunde Spahns aus NRW ein, auch Verkehrsminister Andreas Scheuer und inzwischen verklagen mehr als 60 Open-House-Vertragspartner das BMG vor dem Landgericht Bonn – was aber nichts daran änderte, dass das BMG mit FFP-2-Masken regelrecht geflutet wurde.
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Zusammen mit anderen Beschaffungsverfahren hatte sich das Ministerium rund 1,7 Milliarden FFP-2-, KN95- und FFP-3-Masken bis Ende 2021 gesichert. Am 3. Juni beschloss das Kabinett dann, die Beschaffung von Schutzmasken einzustellen. Motto: Es reicht.
Es begann die Zeit des relativ entspannten Sommers. Manch einer glaubte schon, die Pandemie sei überstanden – ein Überschwang, dem die Politik angeblich nichts abgewinnen konnte. Die zweite Welle werde kommen, hieß es allenthalben, und auch die Wissenschaft lieferte keinen Anlass, dies anders zu beurteilen.
[Lesen Sie auch: Kostenlose FFP-2-Masken für Risikogruppen :Warum sie besser vor dem Coronavirus schützen als Alltagsmasken (T+)]
Eine viertel Milliarde Schutzmasken verschenkte die Bundesregierung derweil an Länder des gesamten Planeten, dazu auch noch 300 Beatmungsgeräte, wie aus einem Bericht des Ministeriums an den Haushaltsausschuss des Bundestags Anfang September hervorging. Der FDP-Haushaltspolitiker Karsten Klein etwa lobte in dieser Zeit die internationale Hilfe, warnte aber gleichzeitig davor, „die Mangelsituation, wie sie in Deutschland zu Beginn der Coronakrise bestand“, erneut zu provozieren.
Entschlossenheit fehlte
Dieser Mangel trat tatsächlich nie ein, schaut man auf die Verfügbarkeit der Masken. Der Flaschenhals war die Distribution. Denn offenbar wurde auch im September noch nicht daran gedacht, die Masken an Altenheime zu verteilen.
Als etwa Ärzte-Präsident Klaus Reinhardt Ende Oktober ins Kreuzfeuer der Kritik geriet, weil er die Evidenz der Wirksamkeit von Alltagsmasken in Frage stellte, ging fast völlig unter, dass er im gleichen Atemzug und sehr energisch dafür plädierte, jetzt endlich die Altenheime mit den wirksamen FFP-2-Masken auszustatten.
An politischen Willensbekundungen fehlte es in jener Zeit zwar nicht mehr, sehr wohl aber offenbar an Entschlossenheit. Deutliche Hinweise dafür finden sich jedenfalls in der Vorlage des Bundesfinanzministeriums für die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses Ende November.
Angehängt war dort ein Bericht des Gesundheitsministeriums über den Stand der Beschaffung von Persönlichen Schutzausrüstungen, also auch von FFP-2-Masken. Das BMG schrieb darin, nachdem Spahn den Sommer über vor Leichtsinn warnte, dass es einen mit „nicht hinreichendem Vorlauf absehbaren, kurzfristigen drastischer Anstieg von Neuinfektionen in Deutschland und der gesamten EU“ gegeben habe. Weswegen jetzt mit „massiven Lieferengpässen“ bei Schutzanzügen und Schutzhandschuhen zu rechnen sei, die für den Schutz von medizinischem Personal als auch Patienten von elementarer Bedeutung sind.
Auch zu der Auslieferung von FFP-2-Masken finden sich im Bericht von Spahns Ministerium Ausführungen, die angesichts der aktuell erneut zu beobachtenden Sterbefälle in Alten- und Pflegeheimen erschrecken. Mitte November, zehn Tage nach Beginn des Lockdowns, habe man begonnen, die mehr als 33.000 stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen in Deutschland mit OP- und Atemschutzmasken zu beliefern.
Diese Auslieferungen im Wert von 400 Millionen Euro würden sich aber „bis Ende Januar 2021 ziehen“, hieß es weiter. Inwieweit dabei „auch Wohngruppen für Menschen mit Behinderungen in den Empfängerkreis einbezogen werden“, müsse noch mit dem Ministerium für Arbeit und Soziales geklärt werden.
Nationale Reserve wird gefüllt
Ende Januar, das wird nach den derzeitigen Prognosen weiter Teile der Regierung jene Zeit sein, in der die Infektionswellen in neue Höhen gehen werden. Die Weihnachtsfeiertage mit vielen Besuchen in Altenheimen werden dann auch dort ihre Wirkung zeitigen.
Ein Szenario, mit dem die Regierung derzeit versucht, die Menschen zu vorausschauendem Handeln zu bewegen – und eine Maßgabe, die Gesundheitsminister Spahn zumindest mit Blick auf die Pflegeheime im Sommer vielleicht etwas zu selten beherzigt hat. Für tausende Menschen wird der nun versprochene Schutz zu spät kommen oder kam schon zu spät.
Stattdessen kündigte Spahn kürzlich an, eine „Nationale Gesundheitsreserve“ für medizinische Schutzausrüstungen anzulegen, die wohl auch mit den zu viel bestellten Masken des Sommers gefüllt werden wird. Man will, so die Begründung, damit auf die nächste große Gesundheitskrise vorbereitet sein.
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