TV-Duell zwischen Merkel und Schulz: Was der Wähler wissen will
Die Zustimmung zur Kanzlerin kann sich noch als brüchig erweisen. Ihr jetzt Inhalte abzuverlangen, ist nicht unbillig. Ein Kommentar.
Haben wir eigentlich eine Wahl? Und was für eine Wahl haben wir eigentlich? Der Termin rückt immer näher, die Fragen werden immer drängender und die Antworten, logisch, immer interessanter. Wenn es welche gibt. Nun ist das jetzt die Woche des TV- Duells zwischen Kanzlerin und Kanzlerkandidat, und wenn man sich etwas wünschen darf, dann, dass dieses Duell am Ende zur Entscheidungshilfe wird.
Das gilt vor allem für eine Antwort auf diese Frage: Wofür steht die Bundeskanzlerin? Was dann die Antwort einschließt, wofür sie notfalls auch fallen würde. Angela Merkel muss sagen, was sein soll, also was sie mit der Macht anfangen will, die ja immerhin nur geliehen ist.
Dass sie dem weiter ausweicht, darf ihr nicht gestattet werden. Denn es ist in Tat und Wahrheit doch so: 2005 mühseligst ins Amt gekommen, profitiert Angela Merkel als Kanzlerin bis heute von den Reformen, die ihr sozialdemokratischer Vorgänger ins Werk gesetzt hat. Sie selbst hat in den zwölf Jahren ihrer Kanzlerschaft keine einzige angestoßen, wohlgemerkt: angestoßen. Keine einzige hat ihren Ursprung bei ihr oder verbindet sich mit ihrem Namen.
Alles Große ist gewissermaßen über sie gekommen
Alles Große, das geschehen ist, ist gewissermaßen über sie gekommen. Fukushima, Wehrpflicht, Flüchtlingspolitik, gleichviel, immer war es Reaktion, nicht Aktion. Die Energiewende auch nicht: Die war unter Rot-Grün schon verhandelt und das sogar noch kostenfrei für den Bund. Merkel hat situativ entschieden, intuitiv, und dann darauf gesetzt, dass die Union ihren Entscheidungen nachträglich eine parlamentarische Legitimation verschafft.
Debatten? Erklärungen? Entscheidungsprozesse nach alter demokratischer Sitte? Das müssen andere erledigen. Es spricht Bände, dass das so ist: Institutionalisierte Inhaltsvermeidung wird zur idealen Projektionsfläche. Alle können alles vermuten und hineininterpretieren. Und dann sitzen sie im Kanzleramt und deuten Umfrageergebnisse auf praktische Umsetzbarkeit aus.
Deswegen wollen Merkel und ihre Leute auch nur ein einziges Duell im Fernsehen, an dessen Format sich außerdem nichts ändern soll. Im Großen wie im Kleinen gilt: keine Experimente und bloß nicht festlegen. Deswegen gab es den sogenannten Schulz-Hype überhaupt: Weil in den Hinterköpfen der Wähler die Erkenntnis lauert, dass das auf Dauer nicht ausreicht, das Merkel’sche Sicherheitsversprechen, dass alles so bleibt, wie es ist, nur weil sie bleibt, wie sie ist. Dass also Ruhe herrscht in wilden Zeiten mit Brexit, Trump, Nordkorea oder was auch immer kommt.
Die Hälfte der Wähler ist unentschlossen
Nur wird Deutschland nicht so bleiben, wie es ist, erfolgreich und ökonomisch stark, wenn nicht heute gesagt – und getan – wird, was sich morgen auswirkt. Auch das sagen die Umfragen: Die Hälfte der Wähler ist unentschlossen. Es ist nicht so, dass die Wähler Merkel als Kanzlerin ganz unbedingt behalten wollen. Die Zustimmung zu Angela Merkel kann sich noch als brüchig erweisen. Es kommt auf die Alternative an.
Die Bundeskanzlerin jetzt zu stellen, ihr Inhalte abzuverlangen, ist nicht unbillig. Das Rententhema, zum Beispiel, hat es überdeutlich gemacht: Merkel will es nicht, und sie will nichts dazu sagen, nicht jetzt. Sie findet, dass es noch lange hin ist, bis die Rente neu geregelt werden muss. Und dann regiert sie gewiss nicht mehr. Genau das geht aber nicht. Politik ist ein Prozess in Verantwortung für Generationen. Die Verantwortung kann die Kanzlerin nicht immer delegieren, in dieser Koalition immer gerne an die SPD, auch „Staatstragende Partei Deutschlands“ genannt. Ob Rente mit 67 oder 63 oder Mütterrente, machen sollen es immer andere?
Das ist nicht allein demokratietheoretisch unmöglich. In noch jeder Kanzlerschaft kam bisher das Ende aller Prinzipienfreiheit. Kommt dieses Ende bei Angela Merkel jetzt? Der Souverän hat einen Anspruch auf Klarheit. Haben wir denn sonst eine Wahl?