zum Hauptinhalt
Wladimir Kaminer, russisch-deutscher Schriftsteller, in einem Birkenwäldchen.
© Mike Wolff

Wladimir Kaminer über Impfskepsis: „Was der Staat umsonst gibt, ist mit Vorsicht zu genießen“

Schriftsteller Kaminer über die „Moskauer Krankheit“ Corona, Impfausweise ohne Impfung und Putins Einsatz des Impfstoffs Sputnik als humanitäre Waffe in Europa.

Der Schriftsteller Wladimir Kaminer ist mit Erzählbänden wie „Russendisko“, „Militärmusik“ und „Rotkäppchen raucht auf dem Balkon berühmt geworden. Oft kontrastiert er darin Mentalitätsunterschiede zwischen Russen und Deutschen, aber auch die Klischees über diese Unterschiede. Mit Kaminer sprach Christoph von Marschall.

Herr Kaminer, Zuwanderer aus Russland gehören in Berlin offenbar zu den besonders impfskeptischen Gruppen. Haben Sie eine Erklärung?

Russen wissen aus Erfahrung, dass alles, was vom Staat kommt, und alles, was es umsonst gibt, mit Vorsicht zu genießen ist. Was die Deutschen Zivilcourage nennen, bedeutet in Russland, viel Einfallsreichtum aufzuwenden, um den Angeboten des Staats zu entkommen. Das gilt für die Sperrstunde, die Einführung der QR-Codes und die Coronaimpfung. In Moskau wird für das Impfen geworben. Man kann das im schönen Kaufhaus GUM erledigen und bekommt noch ein Eis als Belohnung. Das wirkt auf viele Russen wie eine Warnung. Wo gibt’s denn das: ein Eis umsonst? Die Sache muss einen Haken haben. Die Vorstellung, dass man den Staat bei seinen Impfprogrammen unterstützen soll, ist aus russischer Sicht absurd. Man unterstützt doch nicht diejenigen, die einen ausbeuten. Parallel blüht das Geschäft mit Impfpässen. Es ist wichtiger, sich einen Impfausweis zu besorgen, der Freiheiten ermöglicht, als sich impfen zu lassen.

Gehen Russen anders mit dem Risiko tödlicher Krankheiten und der Sehnsucht nach Sicherheit vor ihnen um?

Nein, das gehört nicht zu den wesentlichen Mentalitätsunterschieden. Die Deutschen halten sich für so aufgeklärt, dass sie den Nutzen und die Risiken des Impfens selbst im Internet recherchieren können. Aber finden sie dort die Wahrheit? Da stoßen sie auf Berichte, dass Menschen Chips eingesetzt werden und auf allen möglichen Unsinn. Die Sehnsucht der Deutschen nach Sicherheit wird für viele zu einem neuen Faktor der Unsicherheit. Man kann heute noch gar nichts über die Langzeitnebenwirkungen der Impfungen wissen. Und auch nicht, gegen welche künftigen Mutanten sie schützen oder nicht. Ich persönlich bin impfbegeistert und freue mich, dass ich morgen einen Termin beim Hausarzt habe. Ich würde mir jeden Impfstoff spritzen lassen.

Auch Sputnik?

Warum nicht. Viele meiner Freunde in Russland haben sich mit Sputnik impfen lassen. Die standen freilich vor einer anderen Abwägung als die Deutschen bei den Impfstoffen hier. Sie mussten abwägen zwischen dem Risiko durch Corona und dem Risiko durch ein Vakzin, das vor der Zulassung keine dritte Stufe der klinischen Tests durchlaufen hat. Aus Moskau höre ich übrigens, dass jetzt massenhaft auch Geimpfte erkranken, weil Sputnik offenbar nicht vor der südafrikanischen Variante schützt.

Sie nennen sich selbst impfbegeistert. Warum?

Sich impfen zu lassen, ist für mich mein persönlicher Beitrag, damit die Welt aus der Krise herauskommt und wir alle wieder soziale Kontakte pflegen. Man kann an allem Möglichen sterben, auch an sozialer Verwahrlosung. Meine Mutter hat nicht mehr sehr lange zu leben. Sie ging immer gerne ins Theater und traf sich mit Freunden. Und jetzt muss sie die ganze Zeit in einer kleinen Wohnung vor dem Fernseher verbringen. Das ist für sie kein lebenswertes Leben.

Sie haben, was Russland betrifft, bisher vor allem über Moskau gesprochen. Gilt, was sie beschreiben, für das ganze große Land?

Nein. Corona grassiert in einer Handvoll Metropolen wie Moskau und Sankt Petersburg. Die Russen in den kleinen Städten und Landgemeinden halten Corona für eine Krankheit der Großstädte oder pauschal für eine „Moskauer Krankheit“. Das mischt sich mit generellen Ressentiments gegen die Bewohner der urbanen Zentren. Aus dieser Perspektive erwischt das Virus die Jetsetter, die in Italien Urlaub machen und so komische Dinge wie Sushi essen. Aber doch nicht die wahren Russen.

[Jeden Donnerstag die wichtigsten Entwicklungen aus Amerika direkt ins Postfach – mit dem Newsletter „Washington Weekly“ unserer USA-Korrespondentin Juliane Schäuble. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung]

Zurück zu Sputnik und den fehlenden Studien, die auch die Zulassung durch die Europäische Impfbehörde EMA verhindern. Wie viel Vertrauen haben Sie zu Sputnik?

Ich denke, das ist ein gutes, nach traditionellen Methoden gemachtes Vakzin. Etwas ganz anderes sind die Ziele, die die russische Regierung und Wladimir Putin damit erreichen wollen. Sie setzen Sputnik als humanitäre Waffe ein – auch um die EU zu schwächen. Sie bieten den Impfstoff einzelnen EU-Staaten an, wohl wissend, dass die ihn ohne EU-Zulassung nicht bestellen sollten. Und freuen sich dann, wenn in der Slowakei die Regierung darüber stürzt, dass Russland ihnen nicht Vakzine in der Qualität geliefert hat, wie sie die Experten beschrieben hatten. Nun versuchen sie das auch in Tschechien zu erreichen: dass Minister zurücktreten. Die russischen Wissenschaftler, die Sputnik entwickelt haben, und die russische Bevölkerung haben damit nichts zu tun.

Auch manche deutsche Politiker setzen Hoffnungen auf Sputnik, darunter Markus Söder.

Da triumphiert Putin: Dass Sputnik jetzt auch noch eine Rolle im deutschen Wahlkampf spielt. Er benutzt den Impfstoff, um sich in die Weltpolitik einzumischen und anderen Länder eins auszuwischen.

Zur Startseite