EU-Austritt Großbritanniens: Was der Brexit Irland kosten könnte
Dublin hatte erfolgreich darauf gedrängt, dass die EU hart bleibt. Jetzt fürchten die Iren einen harten Brexit – mit ihm droht der grünen Insel großer Schaden.
Ein Land von „gelähmten, diskreditierten Politikern“, angeführt von Premierministerin Theresa May, „der grundlegende politische Qualitäten wie Einfallsreichtum und strategische Gewandtheit fehlen“ – der Leitartikel der angesehenen „Irish Times“ fasste am Donnerstag die Meinung des irischen Establishments über den Nachbarn Großbritannien zusammen. Umso willkommener war der Kurzbesuch Angela Merkel in Dublin: Die deutsche Kanzlerin wolle sich „ein klares Bild“ der Lage an der inneririschen Grenze verschaffen, hieß es in der irischen Hauptstadt.
Der konservative Premierminister Leo Varadkar hatte dazu eigens Menschen aus der Grenzregion zwischen der Republik Irland und dem zum Vereinigten Königreich zählenden Nordirland eingeladen. Sie wollten der Besucherin aus Berlin plastisch vor Augen führen, wie radikal sich ihr Alltag verändern würde, wenn es entlang der derzeit völlig offenen, 300 Kilometer langen Grenze zu Grenz- und Zollkontrollen kommt.
Eigentlich will das niemand, so beteuern es jedenfalls die beiden Regierungen ebenso wie die EU. Gemeinsam war deshalb im Dezember 2017 eine Auffang-Lösung (backstop) für Nordirland festgeschrieben worden: Sollte keine andere Einigung zustande kommen, verbleibt der britische Teil der grünen Insel in der Zollunion und weiten Teilen des Binnenmarktes der EU. Weil sich die Unionistenpartei DUP mit Händen und Füßen dagegen wehrte, erwirkte May im vergangenen November vereinbarten Austrittsvertrag ein Zugeständnis an Großbritannien. Nun soll ganz Großbritannien in der Zollunion bleiben, falls der zukünftige Freihandelsvertrag nicht rechtzeitig fertig wird.
Einer EU, die den Namen Union verdient, dürfte es wohl kaum schwerfallen, hier den knapp 5 Mio. Iren unter die Arme zu greifen, neue Handelswege zu eröffnen, anstatt sie die Brexit-Malaise allein ausbaden zu lassen. [...]
schreibt NutzerIn yoda
Das britische Unterhaus hat einen Aufschub des Brexits beschlossen
Dass die innerirische Grenze neben der rechtlichen Stellung von EU-Bürgern in Großbritannien sowie den Zahlungsverpflichtungen des langjährigen Mitglieds in den Austrittsverhandlungen zentrale Bedeutung bekam, verbuchten Dublins Diplomaten als großen Erfolg. „Zum ersten Mal in der anglo-irischen Verhandlungsgeschichte hat London weniger Gewicht“, lautete das bittere Fazit des früheren britischen EU-Botschafters Ivan Rogers. Allerdings nahmen DUP sowie Brexit-Ultras in der konservativen Regierungspartei den backstop zum Anlass, Mays Austrittsvertrag die Zustimmung zu verweigern. Egal ob Vorwand oder echte Besorgnis – die Blockade in London macht den chaotischen Austritt Großbritanniens („No Deal“) immer wahrscheinlicher.
Ende nächster Woche droht damit für Irland genau jenes Szenario Wirklichkeit zu werden, das man doch gerade vermeiden wollte: Grenzkontrollen und damit möglicherweise ein Aufflammen des Konflikts zwischen Katholiken und Protestanten, den der gemeinsame Friedensvertrag vom Karfreitag 1998 beilegen sollte.
Ob die Briten den No Deal doch noch vermeiden? Um die permanente Mitgliedschaft in einer Zollunion mit dem größten Binnenmarkt der Welt ging es am Donnerstag in London erneut zwischen Mays Brexit-Minister Stephen Barclay und seinem Labour-Pendant Keir Starmer. Unterdessen berieten die Lords im Oberhaus über das am Mittwoch mit 313:312 Stimmen von der zweiten Parlamentskammer verabschiedete Gesetz, das einen längeren EU-Verbleib zwingend vorschreibt. Das Unterhaus musste seine Nachmittagssitzung unterbrechen, weil es wieder einmal durchs Dach regnete.
Regierung und Parlament in Dublin haben vergangenen Monat versucht, das eigene Haus einigermaßen wetterfest zu machen. 15 Notstandsmaßnahmen sollen die grüne Insel vor dem schlimmsten Brexit-Schock bewahren. Denn nicht nur die innerirische Grenze stellt ein schwieriges Problem dar; kein Anrainer der siebtgrößten Volkswirtschaft der Welt wäre vom Chaos-Brexit stärker betroffen als die grüne Insel. Das Dubliner Finanzministerium und die Zentralbank haben düstere Prognosen veröffentlicht. Der Chaos-Brexit werde die zuletzt robust um 7,5 Prozent wachsende Wirtschaft massiv verlangsamen und die grüne Insel mittelfristig sechs Prozent Wachstum kosten, glauben die Regierungsökonomen. Eine der am schlimmsten betroffenen Branchen ist die irische Landwirtschaft: 37 Prozent ihrer Exporte im Wert von 4,5 Mrd Euro gehen auf die größere Nachbarinsel.