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Hinterlässt ein schweres Vermächtnis: Schimon Peres.
© AFP
Update

Zum Tod des israelischen Politikers: Was bleibt von Schimon Peres?

Die Verträge von Oslo, Israels Nuklearprogramm und ein Jahrhundertpolitiker, der im eigenen Land umstritten ist: Das schwere Vermächtnis von Schimon Peres.

Welch ein Leben! Er war Präsident, Premierminister und Minister; Träger des Friedensnobelpreises. Und einer, der den Staat Israel maßgeblich mitaufbaute und bis ins hohe Alter prägte. Nun ist Schimon Peres am frühen Mittwochmorgen an den Folgen eines Schlaganfalls im Alter von 93 Jahren gestorben. Er hinterlässt seinem Land ein zwiespältiges Vermächtnis.

DIE HOFFNUNG

Bis zuletzt setzte sich Peres nicht zur Ruhe. Berühmt ist zum Beispiel der kurze Videoclip, in dem er nach Ende seiner Amtszeit als Staatspräsident 2014 auf Jobsuche geht, sich als Tankstellenwärter, Pizzalieferant und Stand-up-Comedian ausprobiert, dabei von seinem Lebenswerk erzählt und am Ende sagt: „Vorwärts, wir haben noch viel zu tun.“ Sein nächstes Projekt war das von ihm bereits 1996 gegründete Peres Center for Peace in Jaffa, dem er sich nach seiner Karriere als Politiker mit 91 Jahren noch intensiv widmete.

Ein großer Staatsmann ging dahin. Peres zählt zu den ganz großen Israelis, der die Vergangenheit nie vergaß, aber Politik für die Zukunft, auch und besonders für Israel, machte.

schreibt NutzerIn civis42

„Es gibt eine reale Chance für Frieden. Ich kenne keinen Premierminister, der die Realität mehr beeinflusst hat, als die Realität ihn. Nicht Menachem Begin, der Frieden mit den Ägyptern schloss, und nicht David Ben-Gurion, der aus dem Sinai abzog. Am Ende siegt die Wirklichkeit“, sagte er in einem Interview in der Tageszeitung „Haaretz“ gegen Ende seiner Amtszeit im Jahr 2012. Wieder einmal hatte sich der geschätzte Großvater der Nation zu Wort gemeldet, dem alle zuhörten und der fest an eine Zweistaatenlösung glaubte. Wie schon in den 90er Jahren, als er den Osloer Friedensprozess vorantrieb. Die drei Verhandlungsführer von damals – neben Peres der damalige Ministerpräsident Jitzchak Rabin und Palästinenserpräsident Jassir Arafat – erhielten 1994 den Friedensnobelpreis. Doch ein Jahr später wurde Rabin von einem israelischen Friedensgegner ermordet – die Hoffnung auf Frieden war dahin.

Versuche, den Friedensprozess von Oslo doch noch zu retten, gab es seither viele. Alleine 2016 haben zwei Staaten, Frankreich und Russland, unabhängig voneinander neue Friedensinitiativen angekündigt. Die Hoffnung allerdings, dass es auf absehbare Zeit zu einem Durchbruch bei den Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern kommen wird, ist so gering wie nie.

Nur eine knappe Mehrheit der Israelis (59 Prozent) und Palästinenser (51 Prozent) unterstützt weiterhin eine Zwei- Staaten-Lösung für den Konflikt, wie sie Peres in Oslo einst vorschwebte. Das zeigt eine jüngst veröffentlichte Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung. Mahmud Abbas seinerseits, der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörden, hatte bereits 2015 das Abkommen einseitig aufgekündigt: Er sehe sich nicht mehr an die Einigung von Oslo gebunden, sagte er bei der UN-Vollversammlung im vergangenen Jahr. „Unsere Geduld ist am Ende.“ Zumindest was den Friedensprozess von Oslo angeht, ist Peres Erbe damit schon vor seinem Ableben von der Realität überholt worden.

DIE SICHERHEIT

Ein Mann des Friedens war der Israeli allerdings nicht immer. Im Gegenteil: bisweilen war Peres heftig umstritten – wie er selbst eingestanden hat. „Es gab Phasen in meinem Leben, da war ich Falke, und Phasen, da war ich Taube. Ich war Falke, als ich keine Chance für Frieden sah und Taube, als ich eine Chance sah“, sagte er in jenem Haaretz-Interview.

Die ersten drei Jahrzehnte seines politischen Wirkens standen im Zeichen der Rüstung und der Sicherheit: Er trieb die Allianz mit Frankreich voran, das Israel bis 1967 mit Waffen versorgte. Er war es, der das offiziell nie bestätigte Nuklearprogramm des jüdischen Staates mitaufbaute. Als Verteidigungsminister unter Jitzchak Rabin Mitte der 70er Jahre setzte er sich für die Ausweitung der Siedlungen im 1967 besetzten Westjordanland ein. Für ihn war die Sache klar: Sie dienten zur Grenzsicherung.

Israels Sicherheit stand für Peres immer an oberster Stelle. Doch genau das bedeutete für ihn später auch, eine Lösung des Konflikts zu finden und für einen Frieden mit den Palästinensern zu kämpfen. So arbeitete er Anfang der 90er Jahre als Außenminister zusammen mit Ministerpräsident Rabin und Palästinenserpräsident Arafat, die Friedensverträge von Oslo aus. Dimona, der Ort, an dem Israels Nuklearreaktor stehen soll, habe geholfen, Oslo zu erreichen, sagte Peres in einem Interview mit dem „Time Magazin“ Anfang 2016. „Denn aus Argwohn kamen die Araber zu dem Schluss, dass es sehr schwer ist, Israel zu zerstören (…).“ Rüstung und Friedensbemühungen gehörten für ihn zusammen.

Doch seine Anstrengungen, Israel zur Nuklearmacht werden zu lassen, haben nicht nur den Prozess von Oslo beeinflusst. Das gesamte Machtgefüge im Nahen Osten wandelte sich durch diese Rüstungsentscheidung der Israelis. Hofften die Machthaber der muslimischen Nachbarstaaten bis dahin noch, den Judenstaat mit militärischen Mitteln vernichten zu können, war ein solcher Schritt fortan keine Option mehr.

Seit einigen Jahren kann man daher sogar eine vorsichtige Annäherung der arabischen Eliten an Israel entdecken. Zumindest hinter vorgehaltener Hande sprechen Diplomaten aus Ägypten oder Saudi-Arabien mittlerweile sogar von der Möglichkeit einer strategischen Partnerschaft mit Israel. Etwa dann, wenn es um andere regionale Konflikte wie dem mit Iran geht. Kurzum: Israels militärische Stärke hat dazu geführt, dass einstige Erzfeinde zum Umdenken gezwungen wurden. Abgeschlossen ist dieser Prozess zwar noch lange nicht, dennoch war es nicht zuletzt das Wirken von Schimon Peres, das diese vorsichtige Annäherung angestoßen hat.

DIE SPALTUNG

Obschon längst im Rentenalter angelangt, setzte Peres seine politische Karriere nach den Verträgen von Oslo fort. Er übernahm 1995 das Amt des Ministerpräsidenten, ein Jahr später verlor er allerdings bei den Wahlen gegen den Likud-Politiker Benjamin Netanjahu. Auf ihn traf er während seiner Amtszeit als Präsident von 2007 bis 2014 wieder – Netanjahu trat 2009 das Amt des Premierministers an. Und oft genug waren sich beide über Israels Politik überhaupt nicht einig. An deutlichen Worten herrschte jedenfalls kein Mangel.

Schimon Peres war nicht nur der älteste amtierende Präsident des Staates Israel, sondern auch der Politiker, der den Staat Israel am längsten prägte – schon vor seiner Gründung. 1934 wanderte Schimon Perski, wie er damals noch hieß, mit seiner Familie von Polen nach Israel aus und wuchs in einem Kibbuz in Galiläa auf. Dreizehn Jahre später trat er der Haganah bei, der zionistischen Untergrundarmee der Arbeiterbewegung unter David Ben-Gurion. Der spätere Ministerpräsident wurde zu seinem politischen Mentor und machte Peres nach der Staatsgründung im Mai 1948 zum Anführer der Marine – mit gerade mal 24 Jahren. Später wechselte Schimon Peres ins Verteidigungsministerium und half beim Aufbau der Arbeiterpartei, die sich aus mehreren linken Parteien zusammensetzte. Den ersten Ministerposten erhielt er 1974 unter Rabin – er übernahm damals das Verteidigungsressort, wurde 1977 Parteichef und teilte sich ab 1984 die Amtszeit als Ministerpräsident mit Jitzchak Shamir von der konservativen Likud-Partei. Dann ging Peres vom Finanzministerium ins Außenministerium, das er noch einmal von 2001-2002 leitete. 2005 verließ Peres die Arbeiterpartei und trat der neu gegründeten Kadima-Partei seines politischen Rivalen Ariel Scharon (vorher Likud) bei und wurde Vize-Premier, bevor er dann zwei Jahre später sein letztes Amt als Präsident antrat.

Nach mehr als sechs Dekaden in der israelischen Politik hinterlässt Peres Tod eine große Lücke. Kein Wunder also, dass am Mittwoch die Polit-Prominenz weltweit mit Trauer auf die Todesnachricht reagierte – angefangen mit US-Präsident Barack Obama, über den französischen Präsident François Hollande bis hin zu seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin. Peres habe „unermüdlich“ und allen Widrigkeiten zum Trotz für einen Ausgleich mit der arabischen Welt gearbeitet, würdigte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Peres’ Friedensvision.

In Israel selbst ist Peres weitaus weniger populär als im Ausland. Premierminister Benjamin Netanjahu veröffentlichte zwar eine Mitteilung, in der er „tiefe persönliche Trauer“ zum Ausdruck brachte. Gerade unter konservativen Politikern ist der Verstorbene indes umstritten, was nicht zuletzt an den Osloer Verträgen liegt. Für die Rechten stehe Peres eigentlich für das, was man „Oslo-Verräter“ nenne, sagte Moshe Zimmerman im Deutschlandfunk. „Er war derjenige, der vor 20 Jahren an der Unterzeichnung des Abkommens mit den Palästinensern in Oslo teilgenommen hat, und das ist für die Rechte eigentlich ein Fehler oder sogar ein Verrat.“

Auch dieser Graben zwischen Rechten und Linken, zwischen konservativen und progressiven Kräften in Israel ist ein Teil des Erbes, das Peres hinterlässt. Der Streit über die Siedlungspolitik, den richtigen Umgang mit Iran oder andere politischen Fragen hat das Land in den vergangen Jahrzehnten tief gespalten – und wird sich wohl auch noch nach seinem Tod weiter zuspitzen.

DER MENSCH

Aber auch das war Shimon Peres: eine Art Popstar der internationalen Politik. Wo er auftrat, jubelte man ihm zu. Wenn er Ratschläge gab, fanden sie Beachtung. Und Peres war auch außerhalb der Politik ein Prominenter. Als er vor drei Jahren zu einer großen Gala anlässlich seines 90. Geburtstags nach Jerusalem einlud, kamen 3000 Gäste. Darunter waren auch Hollywood-Größen wie Robert de Niro und Stars wie die Sängerin Barbra Streisand. Wer sich die Videos von damals anschaut, der ahnt, dass es sowohl um Ehrerbietung als auch um Freundschaft ging. Barbra Streisand trug sogar ein jüdisches Gebet vor: Avinu Malkeinu, unser Vater, unser König.

Mit Schimon Peres verliert Israel einen Politiker, der nicht aus dem Land und der internationalen politischen Landschaft wegzudenken war, der von Anfang an und an vielen entscheidenden Etappen beteiligt war. Der zwar viele Wahlen verlor, aber dennoch immer und bis zuletzt beteiligt blieb. Mit seinem Wirken und seinen Worten das Land prägte. Einer, der nicht müde wurde, bis zuletzt an den Frieden glaubte. Als einer der wenigen in einer Zeit, in der viele die Hoffnung aufgegeben haben. So umstritten seine Politik auch gewesen sein mag, den Menschen Schimon Peres wird man vermissen – in Israel und im Rest der Welt.

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