Acht Jahre US-Präsident: Was bleibt von Obama?
Er war der erste schwarze US-Präsident. Große Erwartungen wurden an ihn gestellt - nicht alle konnte er erfüllen. Eine Bilanz zweier unterschiedlicher Amtszeiten.
Auf einmal werden viele nostalgisch. Vielleicht war Barack Obamas Amtszeit doch nicht so schlecht – vor allem wenn man sieht, was nach ihm kommt. Mehr als 51 Prozent der Amerikaner sind mit ihm zufrieden, 45 Prozent unzufrieden. Vor einem Jahr war es umgekehrt: Nur 45 Prozent sahen ihn positiv, 51 Prozent negativ.
Auch in Deutschland war es vor ein paar Monaten üblich, eine geringschätzige Bilanz seiner beiden Amtszeiten zu ziehen: Obama als ein Politiker, der große Erwartungen weckte, dann aber enttäuschte; dessen Reden anfangs mitrissen, der aber wenig zustande brachte.
Die anfängliche Begeisterung kühlte spätestens 2013 deutlich ab, als die NSA-Affäre die Gemüter bewegte. Da waren die historischen Erfolge der ersten Amtszeit bereits dem Kurzzeitgedächtnis entglitten. Nach der Wiederwahl 2012 gelang ihm wenig Bedeutsames, keine Reform des Einwanderungsrechts, keine Wende in der Energie- und Klimapolitik. Die Blockade zwischen dem republikanisch beherrschten Kongress und dem Weißen Haus prägte die Innenpolitik. Der Kampf um das Budgetrecht wurde mit größter Härte bis hin zum angedrohten „Government Shutdown“ ausgetragen, der Streit um die Zuwanderungspolitik und das Waffenrecht mit persönlichen Herabsetzungen.
Selbst wenn er Tag für Tag übers Wasser geschritten wäre, würden manche ihm heute vorwerfen: 'Nicht mal schwimmen kann er!'
schreibt NutzerIn soldier
Syrien, Irak und Ukraine prägten das Bild von Obamas Außenpolitik
In der Außenpolitik prägten der Vormarsch der IS-Milizen in Syrien und im Irak, die Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen das Bild einer Weltmacht Amerika, der es am Willen oder der Fähigkeit zum entscheidenden Eingreifen fehlt. Kaum jemand stellte die Frage, ob solche Interventionsversuche Aussicht auf Erfolg hätten. Und ob es nicht von kluger Einsicht zeugte, der militärischen Versuchung zu widerstehen wegen des Risikos, in Konflikte von unabsehbarer Dauer hineingezogen zu werden. Zudem hätte Obama damit eines seiner zentralen Wahlversprechen gebrochen: die Truppen heimzuholen.
Wie aber wird man Obama aus größerer zeitlicher Distanz bewerten? Wird im Jahr 2025 oder 2030 die milde Sicht des Herbst 2016 oder die Enttäuschung des Herbst 2015 überwiegen?
Mit wachsendem Abstand wird die Nachwelt die acht Jahre unter Obama wohl als Gesamtheit sehen. Die Erfolge der ersten beiden Jahre werden wieder klarer hervortreten aus dem Schatten der blasseren späten Jahre. Gut möglich, dass die Historiker in „No.44“ einen überdurchschnittlichen Präsidenten erkennen.
Der erste schwarze US- Präsident hat in der ersten Amtszeit viel erreicht
Eine historische Figur ist Obama nicht allein, weil die USA 232 Jahre nach ihrer Gründung erstmals einen Präsidenten mit dunklerer Hautfarbe wählten.
Er hat Bemerkenswertes geleistet: die Gesundheitsreform; die Reform der Finanzaufsicht; zwei neue weibliche Verfassungsrichterinnen am Supreme Court, darunter die erste Latina; ein neuer Umgang mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und mit Homosexuellen im Militär; ein großer Abrüstungsvertrag mit Russland über die Verschrottung eines Drittels der strategischen Atomwaffen, der die frühe Verleihung des Friedensnobelpreises nachträglich rechtfertigte.
Das alles geschah in den ersten beiden Amtsjahren 2009 und 2010. Zudem hat er die USA aus der schweren Finanzkrise zu neuem Wachstum geführt und den massenhaften Einsatz amerikanischer Bodentruppen im Irak und Afghanistan beendet. Auch die Verhandlungslösung des Atomkonflikts mit dem Iran und die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Kuba gehören zu Obamas Erfolgen.
Mit dem Rückblick auf die Aufbruchsjahre rücken freilich auch die enormen Erwartungen, die er im Wahlkampf geweckt hatte, wieder in den Blick – und was davon sich nicht erfüllt hat. Rassenkonflikte und weiße Polizeigewalt gegen schwarze Jugendliche blieben auch unter dem ersten schwarzen Präsidenten eine schmerzende Wunde, ebenso Massenschießereien in Schulen, Einkaufs-Malls und Kinos, ohne dass dies den Kongress zu einer schärferen Kontrolle des Waffenverkaufs bewegt hätte. Vor allem konnte er das Versprechen, die Spaltung Amerikas zu überwinden, nicht einlösen.
In der Außenpolitik scheiterten die dauerhafte Befriedung Afghanistans und des Iraks nach dem Rückzug der US-Truppen. Im Nahen Osten folgte ein weiterer Gaza-Krieg statt der erhofften Bemühungen um einen Nahost-Frieden. Die Demokratisierung der muslimischen Welt im Arabischen Frühling misslang, ebenso die angestrebte Verbesserung der Beziehungen zu Russland (Ukrainekrieg) und zu Europa (NSA-Affäre).
Den USA geht es 2016 weitaus besser als 2008
Diese Einwände ändern aber nicht das Gesamturteil: Die USA stehen am Ende der Obama-Präsidentschaft wesentlich besser da als zu deren Beginn. Im Herbst 2008 durchlitten die USA die schwerste Finanz- und Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Große Investmentbanken, Bear Stearns und Lehman Brothers, waren zusammengebrochen. Zwei der drei größten US-Autokonzerne, General Motors und Chrysler, meldeten Konkurs an. Die Arbeitslosenrate stieg, Eigenheime wurden zwangsversteigert. Mit dem American Recovery and Reinvestment Act, im Volksmund kurz „Stimulus“ genannt, leitete Obama im Februar 2009 die Wende ein. Im November 2016 blickt Amerika auf ein gelungenes Comeback zurück. Die Wirtschaft wächst dynamischer als in anderen westlichen Industrieländern. Die Arbeitslosenrate, die in der Krise auf mehr als zehn Prozent geklettert war, liegt wieder unter fünf Prozent. Die US-Wirtschaft beschäftigt mehr Menschen als je zuvor.
Der Turnaround ist noch eindrucksvoller, wenn man auf andere Wirtschaftsräume blickt. Europa stagniert und kämpft mit vielfältigen Herausforderungen: Euro-Krise, Ukrainekrieg, innerer Zusammenhalt, Massenmigration. Russland steckt in einer Rezession und weitgehenden Isolation. China, dem man zugetraut hatte, die USA als führende Wirtschaftsmacht abzulösen, verunsichert mit Negativmeldungen: Börsenchrashs, sinkende Wachstumsraten, Explosionen in Fabriken und Bergwerken, Umweltprobleme und soziale Spannungen.
Obama hat die Grundlagen dafür gelegt, dass die USA zunächst die führende Wirtschaftsmacht bleiben. Sie dominieren die digitale Ökonomie, die Zukunftsbranche schlechthin. Dank Fracking verfügt Amerika über preiswerte Energie und hat sich unabhängig von Importen gemacht. Die Gesundheitsreform gehört trotz mancher handwerklicher Fehler zu den Wendepunkten in Amerikas Sozialgeschichte, ähnlich wie die Einführung einer staatlich organisierten Grundrente (Social Security, seit 1935) und Krankenversicherung für Senioren (Medicare, seit 1965). Dank der Verschärfung der Finanzaufsicht sind die Banken in den USA heute krisenfester als die europäischen.
Die zweite Amtszeit war machtpolitisch komplizierter
Nach zwei Jahren im Amt folgte ein machtpolitischer Bruch. Bei der Zwischenwahl im November 2010 verloren die Demokraten ihre dominierende Stellung im Kongress. In Amerika begann ein harter Machtkampf zwischen beiden Lagern, begleitet von Streit, wer die Schuld an der Blockade trage. In der Theorie wären konstruktive Parlamentsbeschlüsse weiter möglich gewesen; dafür hätten sich moderate Demokraten und moderate Republikaner nur zusammentun und, so wie früher, Kompromisse schließen müssen. Doch beiden Parteien war der innere Zusammenhalt wichtiger. Der schärfere Ton kam freilich von der „Tea Party“. Mehrfach geriet die Regierung an den Rand der Zahlungsunfähigkeit – nicht weil den USA das Geld fehlte, sondern weil die Republikaner den Beschluss über ein Budget verhinderten.
In Deutschland und Europa wuchs nun wieder das Unverständnis über die USA, gepaart mit Enttäuschung über Obama. Da hatte Amerika nach George W. Bush wieder einen Präsidenten, mit dem man sich identifizieren konnte. Aber diese merkwürdigen US-Wähler bestraften ihn mit einer Niederlage. Und er war nicht in der Lage, sie abzuwenden.
Da traten auch unterschiedliche Perspektiven zu Tage. Amerikaner sahen in Obama zuerst einen innenpolitischen Präsidenten. Er sollte sie vor Jobverlust und Zwangsversteigerung bewahren. Er hatte die Krise von Bush geerbt, aber je länger er regierte, desto mehr wurde daraus die Obama-Rezession. Die meisten Deutschen und Europäer wollten in Obama einen weltpolitischen Präsidenten sehen, der korrigiert, was Bush verbockt hatte.
Hat Obama zu wenig geschafft - oder zu viel zu schnell verändert?
Bis zu der für ihn verhängnisvollen Zwischenwahl 2010 hatte Obama einige Erfolge erzielt. Doch parallel war die Zustimmung zu ihm gesunken: auf 45 Prozent am Wahltag. Für dieses Obama-Paradox – Ansehensverfall trotz politischer Erfolge – bieten sich zwei Deutungen an. Allerdings widersprechen sie sich. Amerikas Linke sagt: Obama habe große Hoffnungen geweckt, sie aber nur in Ansätzen erfüllt. Seine Reformen wurden auf Druck der Republikaner und der Lobbygruppen verwässert. Daher die schlechten Umfragewerte. Diese Interpretation war auch in Europa verbreitet. Obama, der Weichling, der das Richtige wollte, aber zu wenig lieferte.
Die Mehrheit in den USA und die maßgeblichen Medien dort sahen es anders: Obama habe zu viel zu schnell verändert. Er mochte gute Gründe haben, die Finanzkrise und die Rezession zwangen ihn zu handeln. Die Bürger waren jedoch schon verunsichert. Sie suchten Halt in der gewohnten Ordnung. Er aber wollte alles auf den Kopf stellen: Krankenversicherung, Steuersätze, Energiepolitik und vieles mehr. Obama konnte noch von Glück sagen, dass er glimpflich davonkam, weil konservative Kräfte ihn bremsten.
Der Verlust der Kongressmehrheit erzwang eine neue Strategie: täglich neuer Kampf um die öffentliche Meinung. US-Abgeordnete müssen mehr darauf achten, welche Seite die Sympathien bei Budgetstreit, Steuersätzen oder Waffenrecht für sich hat. Sie wollen wiedergewählt werden, und es gibt keine Absicherung über Parteilisten.
2012 mussten die Wähler überzeugt werden - danach immer wieder die Republikaner
Das Werben um die Sicht der Bürger statt um Gesetzesprojekte dominierte 2011 und 2012 Obamas Agenda freilich auch, weil nun die Wiederwahl zum vordringlichsten Ziel wurde. Die erste Wahl eines Afroamerikaners sollte nicht als Irrtum und „Betriebsunfall“ in die Geschichte eingehen. Ein erneuter Sieg wäre zugleich eine Absicherung, dass nicht ein republikanischer Präsident die Reformen der ersten Obama-Amtszeit wieder rückgängig macht. Die Wiederwahl gelang, sogar eindrucksvoller, als das in den letzten Wochen des Wahlkampfs mit der katastrophalen ersten Fernsehdebatte gegen Mitt Romney zu erwarten war.
In der zweiten Amtszeit blieb es bei der lähmenden Konstellation demokratischer Präsident, republikanischer Kongress. Die Hoffnung, dass die Republikaner nach der erneuten Niederlage Entgegenkommen zeigen und, zum Beispiel, eine Reform des Einwanderungsrechts mittragen, um bei den Latinos, der wahlentscheidenden Minderheit, zu punkten, erfüllte sich nicht. (Siehe Essay, S. 7)
Obama verlegte sich nun darauf, seine Ziele per Dekret zu verfolgen. Sie sind freilich nur in Bereichen zulässig, in denen die Mitwirkung des Kongresses nicht vorgeschrieben ist. Und sie sind nicht nachhaltig. Der nächste Präsident kann sie ebenfalls per Dekret außer Kraft setzen. Obama verbot, zum Beispiel, die Deportation von Kindern illegaler Einwanderer – und damit de facto die Abschiebung der ganzen Familie. In der Klimapolitik setzte er niedrigere Emissionen für Kohlekraftwerke durch. Im Waffenrecht verschärfte er die Vorgaben für die „Background Checks“.
Obamas Vision von der Welt war zu optimistisch
Die USA begrenzen die Amtszeit eines Präsidenten auf acht Jahre. Obama durfte 2016 nicht erneut antreten. Dennoch: Wie wären seine Chancen und welche Bilanz würden die Wähler ziehen? In der Außenpolitik wären die Noten unterdurchschnittlich, wegen Syrien und Russlands Erstarken. Obama bekäme zwar bessere Noten als Bush, aber schlechtere als Ronald Reagan, der als Sieger im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion aus dem Amt schied. Auch schlechtere als Bill Clinton, dessen Amtszeit vor 9/11 endete, als Amerika noch im Hochgefühl schwellte, die einzige und unverzichtbare Weltmacht zu sein.
Obamas Vision von der Welt war zu optimistisch. Der „Arabische Frühling“ endete fast überall in Gewalt und Chaos (Libyen, Syrien, Irak) oder in einer neuen Militärdiktatur (Ägypten). Russland ist wieder ein Gegner und China ein Rivale, der auf anderen Kontinenten Wirtschaftsinteressen verfolgt, aber keine Verantwortung als Ordnungsmacht übernimmt.
Er würde jetzt wohl wiedergewählt
In der Innen- und Wirtschaftspolitik verdient Obama Anerkennung. Viele Amerikaner sind zwar frustriert, dass die Wachstumsraten nach der Krise nicht höher ausfallen. Aber sie wissen den Aufschwung zu schätzen. Die ideologische Spaltung hat Obama nicht überwunden, sie hat sich verfestigt. In den entscheidenden Glaubensfragen jedoch – Toleranz gegenüber Homosexuellen; Einsicht in der Notwendigkeit einer Reform des Einwanderungsrechts zugunsten der Latinos; des Steuersystems zugunsten der Mittelschicht; des Waffenrechts im Sinne einer schärferen Kontrolle des Waffenerwerbs – hat Obama, auch wenn ihm die Reformen nicht gelangen, die öffentliche Meinung in seiner Richtung verschoben.
Hätten die Bürger diese Wahl, würden sie 2016 wohl erneut für Obama stimmen. Gewiss eher als für Donald Trump. Und auch lieber als für Hillary Clinton, die in der eigenen Partei wenig Begeisterung auslöst und bei vielen republikanischen Wählern blanken Hass. Von Obama bleibt: Er hat Amerika gutgetan. Und jedenfalls nicht geschadet.