US-Präsident Barack Obama besucht Kuba: „Hoffen kann sehr viel Kraft kosten“
US-Präsident Barack Obama erlebt auf Kuba ein Land in Wartestellung: Alte Wahrheiten gelten nicht mehr – doch das Neue ist noch nicht eingetroffen. Eine Reportage aus der Zwischenzeit.
Als Barack Obama kubanischen Boden betritt, verteilen sie bei den Castros Kochtöpfe auf dem Boden. Es ist wie verhext. Ausgerechnet in diesem historischen Moment! Der erste US-Präsident seit 88 Jahren besucht die Insel. Und in Havanna beginnt es zu schütten. Es tropft durch die Decke in das bescheidene Heim von José Castro, der zufällig denselben Nachnamen wie die Brüder Fidel und Raúl trägt. Letztere beherrschen Kuba seit mehr als einem halben Jahrhundert. Ihr Namensvetter hat nicht mal seine Einzimmerwohnung unter Kontrolle.
Man könnte sagen, dass in die große Weltgeschichte die kleine Wirklichkeit Kubas einbricht. Und wichtiger ist hier und jetzt nicht der US-Präsident, sondern das Wasser an der Decke. Es ist wie so oft auf der Insel: die Rhetorik voller Pathos, die Realität eher traurig und grau.
José Castro ist ein schwarzer schlanker Mann von 57 Jahren, er ist damit drei Jahre älter als Obama. „Wir teilen die Hautfarbe“, sagt er über den US-Präsidenten. „Aber sonst nichts!“ Zwei Nachbarn von Castro sind zum Fernsehen herübergekommen. Auch sein Sohn Isaac ist da. Sie teilen sich ein 20 Quadratmeter großes Zimmer in einer der maroden Altbauten im historischen Zentrum Havannas.
Als die Töpfe unter den Lecks platziert sind, setzen sich die Männer wieder vor den alten Fernseher. Es läuft nicht das kubanische Staatsfernsehen, sondern der Sender Telemundo aus Florida. Eigentlich ist es ja verboten, ausländische Sender zu schauen, und wenn man José Castro auf die Schliche käme, könnte es ihm eine Geldstrafe einbringen. Aber das ist auch nur eins von vielen Eigentlichs, die heute auf Kuba gelten. Man lebt in einer Zwischenzeit, in der vieles Alte nicht mehr gilt, aber noch nichts Neues an seine Stelle getreten ist.
In diesen Tagen spricht die ganze Welt vom Wandel auf Kuba. Nur auf Kuba selber nicht, wo viele Menschen aufgehört haben, etwas zu erwarten. Weil es trotz Obama immer noch durch die Decke regnet; weil man jeden Abend für Brot ansteht; weil der Fernseher rauscht; und weil die beiden Nachbarn der Castros sich nicht mal einen rauschenden Fernseher leisten können. „Wir warten lieber ab, was passiert“, sagt José Castro.
Er arbeitete einmal in einer Tabakfabrik, jetzt unterhält ihn sein 24-jähriger Sohn Isaac, der als Fahrradtaxifahrer Touristen durch Havanna kutschiert. Darunter sind seit einem Jahr viele US-Amerikaner. Denen war es jahrzehntelang verboten, die Insel zu besuchen. Bis die Regierungen der USA und Kubas Ende 2014 bekannt gaben, dass sie wieder Beziehungen aufnehmen würden. Nach mehr als einem halben Jahrhundert. Der zweitägige Besuch Obamas ist der vorläufige Höhepunkt dieser frischen Beziehungskiste.
Doch bei den Castros ist man der Meinung, dass sich nicht viel in den Monaten der neuen Zeitrechnung verändert habe.
Man hatte den Altbau im historischen Zentrum Havannas aus Neugier betreten. Er war einst ein prächtiges Hotel, ist heute aber nur noch eins von tausenden maroden Häuser in Havanna. Und erweist sich als lebensgefährlich. Die Stromkabel, 220 Volt, offen verlegt. Der Stein an der Decke brüchig, die Geländer zittrig. In allen der einstigen Hotelzimmern leben heute Familien, rund 20 pro Flur. „Komm rein, Gringo“, hatten die Castros gesagt, deren Tür offen stand. „Obama gucken!“
Es ist ein historischer Tag, eigentlich ein Tag zum Feiern. Aber das kubanische Regime hat keine Bedenken, rund 55 Menschen, die meisten Frauen, brutal festzunehmen. Wenige Stunden vor der Ankunft des US-Präsidenten hatten sich die Damas de Blanco versammelt – die Damen in Weiß. Sie demonstrierten schweigend, so ist es Tradition. Die Damas de Blanco wurden 2003 von den Angehörigen von 75 Dissidenten gegründet, die zu langen Haftstrafen verurteilt worden waren. Mittlerweile sind die 75 Häftlinge frei. Doch die Damas de Blanco existieren weiter, weil es nach wie vor politische Gefangene auf Kuba gebe, sagen sie.
„Ich habe gar kein Mitleid“, sagt Maria. „Die Damas de Blanco werden von den USA bezahlt.“ Maria möchte nicht, dass ihr Nachname in einer ausländischen Zeitung auftaucht. Die 67-Jährige lebt im Viertel Vedado mit seinen imposanten Häusern und Alleen. Sie vermietet zwei Zimmer an Touristen und verdient so die wertvolle Ausländerwährung CUC. Sie ist ein Vielfaches des nationalen Pesos wert. Und hat für enorme gesellschaftliche Verwerfungen gesorgt.
Ein Lehrer verdient im Monat umgerechnet 22 CUC. Aber Maria bleiben von der Vermietung eines Zimmer nach einer Nacht schon 12 CUC. Sie gehört zu den Gewinnerinnen der wirtschaftlichen Liberalisierung unter Raúl Castro. Vielleicht redet sie deshalb schlecht über die Damas de Blanco. Sie wünscht sich von Obama die Aufhebung des Embargos. Es könne ja nicht sein, dass Mischwasserhähne im Geschäft 70 CUC kosteten.
Auch Maria verfolgt den Besuch Obamas im Fernsehen. Und da ist er dann, der Gänsehautmoment. Obama legt einen Kranz für Kubas Nationaldichter José Marti am Platz der Revolution nieder. Und plötzlich steht er vor den Konterfeis der Revolutionäre Ché Guevara und Camilo Ciefuegos, die riesengroß auf zwei Hauswänden hinter ihm prangen. Es ist das Bild des Besuchs. Und es offenbart die ganze Coolness Obamas. Ein US-Präsident und Ché Guevara auf einem Foto. Obama ist eher amüsiert. Ché – das ist eben auch viel Folklore. Obama weiß das. Er ist ein postideologischer Präsident. Und der Eisbruch mit Kuba – das ist sein großes außenpolitisches Vermächtnis.
Seine Pressekonferenz mit Raúl Castro wird eine bemerkenswerte Veranstaltung. Erwartbar fordert Raúl die endgültige Aufhebung des Wirtschaftsembargos, das den Kubanern seit Jahrzehnten jegliche Entwicklung verwehre (und dem Regime bis heute für alles eine Entschuldigung liefert). Und er definiert Menschenrechte im kubanischen Sinne. Sie umfassten das Recht auf kostenlose Gesundheit, Bildung und ein Leben ohne Armut.
Und was tut Obama? Er nimmt die indirekte Kritik an und leugnet nicht, dass es in den USA arme Menschen gebe. Man kann sich vorstellen, wie die Republikaner in den USA vor Wut explodieren. Und weiter: Man trete gerne in einen Dialog über gegenseitige Schwächen. Mit Kuba?! Kann man seinen Ohren noch trauen? Über das Schicksal der Insel sagt Obama: „Das entscheiden ganz alleine die Kubaner!“ Obama erklärt mit einem Satz das Ende von einem Jahrhundert US-Interventionspolitik in Lateinamerika. Einen weiteren Höhepunkt erreicht die Veranstaltung, als Castro von einem amerikanischen Journalisten gefragt wird, warum es politische Gefangene auf Kuba gebe. Castro scheint nicht mit der Übersetzung zurechtzukommen. Er nestelt mit den Kopfhörern, man merkt ihm seine 86 Jahre an. Schließlich sagt er: „Welche politischen Gefangenen? Gib mir eine Liste mit Namen und sie sind bis Sonnenuntergang frei.“ Es dauert nicht lange und Menschenrechtsorganisationen verschicken Namenslisten. Doch natürlich kommt niemand frei.
Etwas unter geht dabei die Liste, die Obama dabei hat. Darauf die Firmen, die ab sofort mit Kuba handeln und auf der Insel investieren dürfen: mehr als ein Dutzend Fluggesellschaften, Kreuzfahrtunternehmen, Hotelkonzerne, Airbnb. Daneben aber auch Western Union, der Geldtransfer soll erleichtert werden. Cisco will kubanische IT-Ingenieure ausbilden. Und Verizon den Mobilfunkverkehr verbessern.
Das gefällt Ivan. Er ist Anfang zwanzig und betreibt mit Freunden eine sogenannte Handyklinik. Viele junge Kubaner haben Smartphones. Man sieht sie an öffentlichen Hotspots sitzen, wo sie für knapp zwei Euro pro Stunde im Internet surfen. Aber Handys fallen herunter, werden nass oder alt. Also muss Ivan improvisieren. Aber selbst das klappt nicht immer. Er runzelt die Stirn, als ihm eine junge Frau ein iPhone reicht. „Bildschirm im Arsch“, sagt er. „Keiner zum Austausch da. Wir können abwarten, ob einer reinkommt, und rufen dich an.“ Das Problem sei, dass man wegen des Embargos keine Ersatzteile bestellen könne. Man sei angewiesen auf Freunde, die Handys mitbrächten.
Das alte und das neue Kuba kommen in Ivans Handyklinik zusammen: die durch Mangel geborene Improvisationskunst. Der Drang, sich mit dem Rest der Welt zu verständigen. Eine Generation, die pragmatisch Freiräume erkundet. Ivan sagt, dass man sehen werde, was Obamas Besuch Konkretes bringe. Da ist es wieder: Kubaner erwarten nichts. Sie warten ab. Wie hatte es José Castro gesagt. „Hoffen kann sehr viel Kraft kosten.“
Am Dienstag ist Barack Obama nach Buenos Aires weitergeflogen. Zuvor rief er in einer Rede im Großen Theater von Havanna zur Versöhnung beider Länder auf, anschließend sah er das Baseballspiel zwischen den Tampa Bay Rays und einer kubanischen Auswahl, manche nennen das schon Baseballdiplomatie. Wichtiger für viele Kubaner wird aber der Freitag. Die Rolling Stones rocken in Havanna, eine halbe Million Menschen wird erwartet. Und viele werden mitsingen, wenn Mick Jagger intoniert: „I can’t get no satisfaction.“ Der Handybastler Ivan. Die Zimmervermieterin Maria. Und José Castro in seinem Zimmer, in dem mit Obama der Regen kam.