Die Nachfolger belauern sich schon: Was bedeutet der Rückzug der Parteichefs für die Zukunft der Linken?
Nach dem angekündigten Abtritt von Kipping und Riexinger drohen alte Kämpfe. Dabei geht es vor allem um die Frage, ob die Partei im Bund mitregieren will.
Ein Wort fällt dieser Tage öfter in der Linkspartei: „spannend“ werde es jetzt. Nicht so spannend wie 2012, als die Partei in Göttingen einen Drama-Parteitag erlebte und danach nicht sicher war, ob es sie ein Jahr später überhaupt noch geben würde.
Doch der angekündigte Rückzug der Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger ruft in gedämpfter Form die alte Grundsatzfragen wieder auf. Wenn der Erfurter Parteitag Ende Oktober die Nachfolge klären muss, wird zugleich der Zwiespalt neu verhandelt, der die Linke seit ihrem Zusammenschluss zur Ost-West-Partei begleitet.
Was ein gewisser anderer Parteichef als Gewissheit formulierte, steht hier als ständige Frage im Hintergrund: Besser nicht regieren als falsch regieren?
In der Realität hat die Frage längst viel von ihrer Schärfe verloren. Die Linke regiere ja – in Thüringen, in Berlin, neuerdings in Bremen. Dort gehe es so ruhig vonstatten, dass niemand darum Aufhebens mache, merkt ein Insider zufrieden an – nicht mal die Konkurrenz.
Für Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, wo 2021 vor der Bundestagswahl die Landtage neu gewählt werden, rechnet sich die Linke Chancen aus.
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Wagenknechts Rückzug hat die Partei beruhigt
Dass der Streit nicht mehr mit der Heftigkeit geführt wird wie vor acht Jahren, als Gregor Gysi „Hass“ unter Parteifreunden beklagte, hat eine Reihe von Gründen. Sahra Wagenknechts Rückzug hat viel Konfliktpotential genommen.
Der relative innere Friede wird aber auch dem scheidenden Duo als Verdienst angerechnet.
Riexinger, 2012 noch vom linken Fundi-Flügel um Oskar Lafontaine gegen den Realo und heutigen Fraktionschef Dietmar Bartsch in einer aufwühlenden Kampfabstimmung knapp durchgepeitscht, ist fast ein Regierungslinker geworden.
In seinem Abschiedsbrief fordert der Gewerkschafter einen „linken Green New Deal“. Das klingt nach dem Gang durch die Institutionen. Kipping malt in ihrer Rückzugserklärung ein „historisches Möglichkeitsfenster“ bei der Bundestagswahl auf und fordert, „auch im Bund Regierung (zu) wagen“.
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In der Frage, wer den beiden nachfolgen soll, werden die möglichen Kandidaten allerdings nach den alten Lagern sortiert. Der Rückzug kam zwar nicht für jeden überraschend, zumal die Parteisatzung es Vorsitzenden nahelegt, nicht länger als acht Jahre zu amtieren. Von einem vorsorglich fix und fertigen Personaltableau kann trotzdem keine Rede sein.
Als frühe Favoriten werden zwei Frauen gehandelt: Susanne Hennig-Wellsow, Partei- und Fraktionschefin in Thüringen, und die hessische Fraktionschefin und Bundesvize Janine Wissler. Hennig-Wellsow, die aus Demmin in Angela Merkels Wahlkreis stammt, hat sich als Sachwalterin Bodo Ramelows einen Namen als Realpolitikerin gemacht. Wissler steht als Mitglied der trotzkistischen „Marx21“-Gruppierung für eine orthodoxe West-Linke, der es beim Gedanken an Regierungskompromisse schaudert.
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Beide stehen andererseits mit 42 respektive 36 Jahren für eine Generation, die die Hahnenkämpfe der Gründergeneration hinter sich hat. Eine solche weibliche Doppelspitze, sagt ein Linken-Mann aus dem Bundestag, könnte bei der Basis durchaus gut ankommen.
Aber ob es auf die beiden Landespolitikerinnen hinausläuft, das einzuschätzen sei es zu früh. Mit weiteren Anwärtern ist zu rechnen. Ex-Geschäftsführer Matthias Höhn könnte interessiert sein, Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte oder auf dem linkem Flügelticket Co-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali.
Die scheidenden Vorsitzenden rechnen damit, dass es schon in Kürze Kandidaturen für ihre Nachfolge geben wird. Das werde eher „eine Sache von einigen Tagen sein als von Wochen“, sagte Riexinger am Montag in Berlin. „Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir eine gute Nachfolge bekommen werden.“ Eine Präferenz wollten beide aber nicht äußern. „Wir werden jetzt nicht mit einer feudalen Geste unsere Nachfolger entsprechend vorschlagen“, sagte Kipping.
Bartsch könnte Hut in den Ring werfen
Nicht ausgeschlossen ist auch, dass Bartsch seinen Hut erneut in den Ring wirft. Der 62-Jährige arbeitet seit jeher daran, ideologische Barrieren zu Grünen und SPD abzusenken. Es war mit seine Idee, Gysi zum Chef-Außenpolitiker der Fraktion zu machen und so einen Pragmatiker auf das Themenfeld zu setzen, auf dem die öffentlich sichtbaren Differenzen – Stichwort Nato – am größten sind. Dass umgekehrt SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz jetzt höheren Steuern für Gutverdiener das Wort redet, hilft den Befürwortern rot-rot-grüner Perspektiven.
Am Montag wollte Barsch sich nicht zu der Nachfolgedebatte äußern. „Die Personen sind eine Resultante aus einer strategischen Aufstellung, aus einer politischen Aufstellung. Und da wird man mit den Trägern der Partei, mit Landesvorsitzenden, sicherlich auch mit den Fraktionsspitzen darüber reden, was das Optimale ist“, sagte er im ARD-„Morgenmagazin“.
Doch ob Bartsch aufzeigt, hängt wohl auch an weiteren Personalentscheidungen – und an Kipping. Für Riexinger, der beim Parteitag 65 Jahre alt wird, ist die aktive Zeit wohl vorbei. Aber Kipping ist gerade 42. Sie kündigte zum Abschied denn auch explizit an, „etwas Neues zu beginnen“; auf welcher Position, darüber rede man später.
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Für Bartsch und Mohamed Ali klingt darin durchaus eine Drohung an. Sollte es tatsächlich in einem Jahr zu einer linken Regierungsmehrheit kommen, wäre der Fraktionsvorsitz ein strategisch hoch interessanter Posten. Und die Dresdnerin, merkt ein Insider an, könne gut mit Hennig-Wellsow wie mit Wissler, was einer Bewerbung sicher förderlich wäre.
Aber noch eine andere Position ist offen: Wer führt die Partei in die Bundestagswahl? Linken-Chefs sind nicht automatisch Spitzenkandidaten. Diese Personalie soll allerdings erst im nächsten Sommer entschieden werden. Bis dahin stehen die Startpositionen fest.
In die Karten schauen lassen will sich vorerst keiner. Öffentliche Bewerbungen stehen aus. Das Lauern könnte sogar noch eine ganze Weile weitergehen. „Jetzt ist ausreichend Zeit, eine gemeinsame Lösung zu finden, wenn wir im Oktober oder im November uns in Erfurt auf einem Parteitag treffen“, wiegelt Bartsch im Sender NDR Info konkrete Anfragen ab – nicht ohne allerdings anzufügen: „Das ist eine strategische, eine inhaltliche und auch eine personelle Frage.“ (mit dpa)
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