Angela Merkel, Deutschland und die CDU: Warum wir Neuwahlen brauchen
Klare Verhältnisse einzufordern, gehört gewissermaßen zur DNA der CDU. Nun muss sich die Partei an ihren eigenen Maßstäben messen lassen. Ein Kommentar
In der Partnerschaftslehre gibt es den Begriff der „seriellen Monogamie“. Er beschreibt das Verhalten von Menschen, die wechselnde Beziehungen eingehen, denen sie treu sind, so lange das Verhältnis dauert. Analog dazu ist Angela Merkels Kanzlerschaft von einer situativen Programmatik geprägt: Prinzipien gelten nur so lange, wie sie in einer konkreten Situation nützlich sind. Wehrpflicht ja und nein. Atomkraft ja und nein. Wirtschaftsreformen ja und nein. Europa ja, aber nicht so viel. Klimaschutz ja, aber nicht so viel. Flüchtlinge aufnehmen? Ja, aber nur ein einziges Mal.
Wohlwollend lässt sich das als Pragmatismus werten. Doch mit fortschreitender Dauer überwiegt für Umstehende der Eindruck der Unbestimmtheit und Orientierungslosigkeit. Dieses Schicksal teilen seriell Monogame mit Politikern, die sich von einer situativen Programmatik sowohl leiten als auch treiben lassen.
Am vergangenen Wochenende war zu spüren: Die Welt schaut auf Deutschland – einem Schlüsselland Europas, einer Bastion im schrumpfenden Lager der liberalen, multilateralen Demokratien. Doch auch auf der Münchner Sicherheitskonferenz blieben zentrale Fragen unbeantwortet.
Wie weiter mit Russland und Nord Stream 2? Wie weiter mit China und Huawei? Wie weiter mit Iran und dem Atomabkommen? Wie weiter mit den Verteidigungsausgaben? Wie weiter mit Frankreich und Emmanuel Macron? Statt zumindest die Grundlinien der deutschen Politik zu skizzieren, wird herumgedruckst und auf Verfahrensmodalitäten verwiesen. Wenn Merkel eiert, kann kein Minister Klartext reden.
Jede Profilierung geht auf Kosten des anderen
Und wie im Großen so im Kleinen. Merkel tritt als Kanzlerin nicht wieder an. Ihre Nachfolge wollte sie durch die Inthronisierung von Annegret Kramp-Karrenbauer regeln. Dieses Experiment aber ist seit dem Debakel von Thüringen gescheitert. Die Trennung von CDU-Parteivorsitz, Kanzlerkandidatur und Kanzlerschaft hat sich als untragbar erwiesen, weil die Einsicht reifte: Jede Profilierung geht auf Kosten des jeweils anderen.
Deshalb muss, wer immer auf Kramp-Karrenbauer folgt, alle Fäden in der Hand halten. Wer dagegen jetzt von Teamlösungen spricht, die es in vielen Gesprächen gemeinsam und geduldig zu erarbeiten gelte, verkennt, dass an diese Personalfrage auch das Kriterium der Führungsqualität geknüpft ist.
Klare Verhältnisse einzufordern, gehört gewissermaßen zur DNA der CDU. Ob von einer Lindnerschen FDP, die vor Jamaika flieht, einer Doppelspitze bei der SPD, von der niemand weiß, ob sie die Große Koalition will, oder von den Thüringern, die möglichst noch einmal wählen sollen. Stets heißt es in der Union: Wir brauchen klare Verhältnisse, die zu Stabilität und Berechenbarkeit führen. Nun muss sich die Partei an ihren eigenen Maßstäben messen lassen. Das heißt: keine Hängepartie, kein Auf-Zeit-spielen, keine Streuung von Kompetenzen.
Die eine kann nicht mehr, der andere darf noch nicht
Zur raschen Herstellung klarer und stabiler Verhältnisse gehört allerdings auch, dass die Doppelung aus Kanzlerschaft auf der einen sowie Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur auf der anderen Seite zeitlich begrenzt wird. Einer scheidenden Kanzlerin fehlt die Autorität, die für Richtungsentscheidungen erforderlich ist. Einem Kanzler in spe fehlt die dafür notwendige Legitimation. Die eine kann nicht mehr, der andere darf noch nicht. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Die Gestaltungsmacht, die mit dem Gewicht dieses Landes verbunden ist, darf nicht bis zum Herbst 2021 brach liegen.
Das heißt Neuwahlen, möglichst bald, möglichst geordnet. Zu viele Probleme drängen auf eine Lösung, als dass deren Aufschub länger verantwortet werden kann. Im 15. Jahr ihrer oft kräftezehrenden Kanzlerschaft, für die sie jedes Denkmal verdient hat, muss Merkel erkennen, dass auch diese Situation eine spezielle Programmatik verlangt. Noch hat sie die Macht, noch geschieht etwas auf ihr Wort hin. Dieses Privileg sollte sie nutzen – um dem Volk einen letzten, großen Dienst zu erweisen.