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US-Präsident Joe Biden sprach am Samstag im Warschauer Königspalast.
© Brendan Smialowski/AFP

Rede des US-Präsidenten in Warschau: Warum wieder über Bidens Patzer diskutiert wird

Hat Joe Biden zum Sturz von Wladimir Putin aufgerufen? Das Weiße Haus dementiert umgehend – aber der Kreml will die Steilvorlage nutzen.

Die Redenschreiber des Weißen Hauses können einem leidtun. Da bereiten sie tagelang eine Rede ihres Präsidenten vor, die in die Geschichtsbücher eingehen, an Auftritte von John F. Kennedy und Ronald Reagan im Kalten Krieg erinnern soll.

Ort – im Königspalast von Warschau, Hauptstadt des zum Frontstaat der freien Welt gewordenen Polens – und Zeitpunkt des Auftritts – ein Monat nach Kriegsbeginn, der Präsident hat zuvor ukrainische Flüchtlinge besucht – sind gut gewählt, die Choreografie stimmt. Als wenige hundert Kilometer entfernt russische Raketen auch noch in die westukrainische Stadt Lwiw einschlugen, war die Dramatik mit Händen greifbar.

Die Rede, die Joe Biden dann hielt, war denn auch alles, was versprochen worden war. Bis kurz vor Schluss, als der Präsident selbst spontan einen Satz einfügte, der es in sich hatte.

Außenminister Blinken muss klarstellen

„Um Himmels willen“, sagte Biden dann, „dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben.“ Sofort entbrannte die Diskussion, ob Washington nun aktiv einen Sturz des russischen Präsidenten Wladimir Putin anstrebe.

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Einmal mehr mussten zunächst ungenannte Regierungsvertreter und später Außenminister Antony Blinken eingreifen und klarstellen: Nein, die USA wollten keinen Regimewechsel in der Atommacht Russland erreichen, Biden sei es um die Macht Putins über seine Nachbarn und in der Region gegangen.

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Dazu kam der Versuch von Biden-Unterstützern, den heiklen Satz gar als Strategie darzustellen: Putin wisse nun, was Biden insgeheim denke, und außerdem habe der US-Präsident ja recht.

Es ist in der Tat schwer vorstellbar, dass die internationale Gemeinschaft nach den Kriegsverbrechen noch mit dem „Schlächter“ Putin (Biden ebenfalls am Samstag) normal interagiert. Viele im Westen sagen wohl spontan: Biden hat recht. Auch dass russische Volk, das durch das aggressive Vorgehen seines Präsidenten von der Welt isoliert und wirtschaftlich unter enormen Druck gesetzt wird, müsste ihn kritischer sehen.

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Das Problem ist nur: Nicht alles, was ein Politiker so denkt, sollte er auch aussprechen. Schon gar nicht, wenn er das mächtigste Land der Welt anführt.

Immer wieder rutschen ihm Sätze heraus, die ihm dann zu schaffen machen

Das wiederum ist ein Problem, das schon lange mit Joe Biden verbunden wird. Immer wieder rutschten dem fast 80-Jährigen in seiner ein halbes Jahrhundert andauernden Karriere Worte und Sätze heraus, die missverständlich und strategisch unklug sind.

Zuletzt war das bei der Pressekonferenz der Fall, die Biden am 20. Januar im Weißen Haus abhielt. Da hatte er sich nach rund zwei Stunden von einer Nachfrage hinreißen lassen, über „minor invasions“ („geringfügiges Eindringen“) in die Ukraine zu spekulieren.

Damit legte er nahe, öffentlich darüber zu reden, nach welcher Art von Grenzverletzungen Putin Konsequenzen befürchten müsse. Zuvor war die Strategie der US-Regierung eigentlich, bewusst keine roten Linien zu definieren, damit Russland diese nicht austesten könne. Auch hier mussten Regierungsoffizielle im Anschluss „nachbessern“.

Seine Reaktionen sind menschlich – aber ungeschickt

Dann nannte er einen Reporter von Fox News einen „dummen Hurensohn“ – da war das Mikrofon noch angeschaltet. Peter Doocy ist bekannt dafür, dass er dem Präsidenten immer wieder schräge Fragen stellt, die dann in seinem rechten Sender ausgeschlachtet werden können.

An jenem Tag hatte er Biden zuvor ernsthaft gefragt, ob er sich noch auf der Höhe seiner geistigen Zurechnungsfähigkeit fühle. Das erklärt die spontane Reaktion Bidens, macht die Situation menschlich – die Aussage aber nicht besser.

Biden entschuldigte sich bei Doocy kurz darauf. Der nahm’s sportlich – und versucht weiterhin, dem demokratischen Präsidenten brisante Äußerungen zu entlocken.

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Solche Patzer passieren bei Biden indes nicht erst, seit er im Weißen Haus regiert. Auch als Senator und Vizepräsident war er berühmt-berüchtigt dafür, gerne frei von der Leber zu reden und sich häufig länglich oder gar politisch unkorrekt zu äußern.

2014 musste er sich bei gleich drei wichtigen Verbündeten im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ entschuldigen: Er hatte die Türkei, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate beschuldigt, einen Ableger von Al Qaida militärisch aufzurüsten. Es war ein Vorwurf, der mehr oder weniger offen durchaus in Washington zirkulierte.

Biden gibt Fehler zu und entschuldigt sich

Als ihn aber der Stellvertreter Barack Obamas vor laufenden Kameras aussprach, bedeutete das eine diplomatische Krise, die eine Klarstellung erforderte. „Der Vizepräsident hat Charakter genug, um zuzugeben, wenn er einen Fehler gemacht hat“, erklärte der damalige Regierungssprecher Josh Earnest.

Biden gilt als nahbar, emotional und authentisch. Und er ist stolz auf seine große außenpolitische Erfahrung. Jahrzehntelang gehörte er dem Auswärtigen Ausschuss des Senats an, viele seiner Amtskollegen kennt er aus früheren Zeiten.

Die Frage ist, ob ihn das in Gefahr bringt, seine persönliche Überzeugung zu wichtig zu nehmen und damit beratungsresistent zu werden. Als es etwa darum ging, wann die USA aus Afghanistan abziehen, pochte er darauf, dass er schon seit Jahren sage, der Einsatz dort müsse enden. Also wurde der Abzug gegen alle Bedenken durchgezogen – und verlief in Teilen chaotisch.

Putin stuft er schon lange als gefährlich ein

Auch bei der Einschätzung Putins, den er mal einen „Gangster“, mal einen „Mörder“ nannte, musste Biden sich im Gegensatz zu anderen nicht korrigieren.

Nur: Eine diplomatische Verhandlungslösung im Ukraine-Krieg ist immer noch das wahrscheinlichste Ende des Konflikts. Verhandelt werden muss aber Stand jetzt mit Putin.

Der wird die Chance nutzen, erst recht zu behaupten, in Wahrheit wolle Washington doch nur ihn loswerden – Russland verteidige sich nur. Erste Reaktionen aus Moskau bestätigen das.

So erklärte der russische Außenpolitiker Konstantin Kossatschow, Biden mache mit „erschreckender Regelmäßigkeit“ Äußerungen und Fehler, die schlimmer seien als Verbrechen – angesichts des mörderischen Angriffskriegs in der Ukraine eine infame Äußerung.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow betonte, Biden entscheide nicht, wer in Russland Präsident sei. Das wiederum ist wohl so – und das weiß auch der US-Präsident.

Vielleicht ärgert er sich selbst am meisten. Denn seine Rede war wichtig, und sie war punktgenau. Aber mit seinem spontanen Satz hat er die Diskussion darüber verändert. Einmal mehr wird vor allem über seine Patzer geredet.

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