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Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) unterhält sich auf dem Truppenübungsplatz Hammelburg in Bayern mit Soldaten.
© Daniel Karmann/dpa

Verteidigungsministerin: Warum Ursula von der Leyen noch immer im Amt ist

Miserable Ausrüstung und kein Vertrauen in der Truppe: Ursula von der Leyens Ruf hat gelitten. Warum sie trotzdem noch Verteidigungsministerin ist.

Die Kanzlerin steht an ihrer Seite, das ist schon mal gut für die Zukunft. Aber aktuell kann Ursula von der Leyen Hilfe von oben auch gut brauchen, und die Bundeswehrtagung bietet Gelegenheit. Am Montag kommen die Kommandeure der Armee ins Berliner Hyatt-Hotel, um mit ihrer Verteidigungsministerin zu reden und Angela Merkels Grußwort zuzuhören. Die alte Bundesrepublik, sagt Merkel, habe klaglos 2,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgegeben. Im Lauf der Jahre wieder zu zwei Prozent zu kommen, wie es sich die Nato vorgenommen hat, liege „nicht außerhalb jedes Denkvermögens“. Die Zahl sei kein „Fetisch“, die Bundeswehr brauche schlicht das Geld in einer komplizierten Welt voller unklarer Kräfteverhältnisse.

Bei der SPD knirschen bestimmt wieder welche mit den Zähnen. Leyen lächelt. Ursula von der Leyen, 59 Jahre, seit 2005 Bundesministerin – aus Merkels erstem Kabinett ist sie die letzte Verbliebene. Für Wolfgang Schäuble war kein Platz mehr, Thomas de Maizière musste gehen. Leyen nicht. Womöglich war sie selbst die Einzige, die sich darüber zumindest kurz wunderte. Als die Regierung endlich zustande gekommen war, konnte man die sonst so Distanzierte regelrecht aufgekratzt in die erste Fraktionssitzung danach tänzeln und Leuten, die sie kannte, schelmisch auf die Schulter klapsen sehen.

„Der Augenblick des Überlebens“, hat Elias Canetti geschrieben, „ist der Augenblick der Macht.“ Der Philosoph meinte das Überleben im Krieg, doch der Satz gilt im Politischen ebenso. Nur wer überlebt, gewinnt Zukunft. Und dass Leyen so, wie sie mit Merkel kam, demnächst mit Merkel gehen will, glaubt ja keiner. Die Frage ist nur: Wohin dann?

In ihrem Ministerium ist gerade Generationswechsel

An einem freundlichen Abend im April steht die Ministerin auf dem Hof hinter dem Bendler-Block auf einem Podium. Vor ihr ist die Ehrengarde der Bundeswehr angetreten mit allem Pomp und Glanz zum Großen Zapfenstreich. Neben ihr nimmt ein Mann Haltung an, der auch einiges weiß übers Überleben. Volker Wieker war von Karl-Theodor zu Guttenberg zum Generalinspekteur berufen worden, unter de Maizière geblieben und von Leyen übernommen worden. Zwei Mal hat sie seine Pensionierung hinausgeschoben. Nun muss sie ihn ziehen lassen.

Drei Wochen später wiederholt sich das Abschiedszeremoniell, nur dass es Serenade heißt, die Paradestiefel weniger knallen und auf dem Podium zwei Frauen stehen. Die Unternehmensberaterin Karin Suder hat das Beschaffungswesen aufgemischt. Ein erfahrener Abgeordneter hat sie mal „Leyens Lebensversicherung“ genannt; so wie Wieker der Chefin im Militärischen den Rücken freihalte, räume ihr die fixe Staatssekretärin die Fallstricke im Gestrüpp von Rüstung und Material beiseite.

Staatsekretärin Katrin Suder wird von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) am Bendlerblock mit einer Serenade verabschiedet.
Staatsekretärin Katrin Suder wird von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) am Bendlerblock mit einer Serenade verabschiedet.
© Bernd von Jutrczenka/dpa

Wiekers Abgang war absehbar, der von Suder nicht ungeplant. Das lieferte all denen Indizien, die vermuteten, dass Leyen selbst auch ganz gerne weitergezogen wäre. Da gibt es ja ein Muster: Landesministerin in Hannover, Familienministerin, danach Arbeit und Soziales, Verteidigung – das Finanzministerium wäre verlockend gewesen oder gar das Auswärtige.

Leyen hätte vieles werden können - und blieb

Doch sollte es je solche Ideen gegeben haben, waren sie rasch erledigt. Am Wahlabend ließ sich ausrechnen, dass mit Merkels schwachem Abschneiden das Finanzressort für die Union verloren war. Das Jamaika-Aus versperrte die minimale Chance auf ein CDU-Außenamt.

Leyen sollte bleiben, was sie war. Kurioserweise lag das auch am umstrittensten Satz, den je ein Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt aussprach: „Die Bundeswehr hat ein Haltungsproblem und sie hat offensichtlich eine Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen.“

Bei Skandal: Voll mit dem Hammer drauf!

Der Satz war die Reaktion auf eine Kette von Schikane-Vorwürfen, auf die die Affäre Franco A. noch obendraufkam – ein rechtsextremer Oberleutnant mit einem mysteriösen Doppelleben als falscher Asylbewerber. Das Verfahren wegen „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ beginnt bald.

Der Satz war aber auch typisch Leyen: bei Skandal gleich voll mit dem Hammer drauf! Nur prallte diesmal der Hammer zurück. Er demolierte nachhaltig das Verhältnis der obersten Dienstherrin zur Truppe. „Mit der bin ich durch“, sagt ein altgedienter Offizier beim Grillabend im Freundeskreis. Man hört das überall. Es klingt nicht einmal mehr zornig. Da ist einfach das Urteil gefällt. Und wer nicht dazu nickt, gilt als Karrierist.

„Karrierist“ ist in der Truppe ein noch viel üblerer Vorwurf als im zivilen Leben. Der Karrierist ist einer, der Kameradschaft missachtet. Die ist nicht nur befohlen, sondern wird von vielen als Ideal anerkannt. Kameradschaft mildert das Prinzip von Befehl und Gehorsam ab, weil sie eine Pflicht begründet, die auch der Obere dem Unteren schuldet. Die Kameradin Ministerin hat die Pflicht verletzt.

Das erklärt, weshalb sogar Offiziere die sonst stramm zusammengebissenen Zähne auseinanderbekamen. Das wiederum trug dazu bei, dass Merkel die Frau auf Posten hielt. Wenn jetzt Leyen abgezogen würde, sagte damals ein gut Informierter, würden das Ministeriale und Goldbetresste als Sieg des Aufmuckens feiern: „Dann wird da nie mehr ein Minister seines Lebens froh.“ Sie blieb Ministerin aus Trotz. Mal abgesehen davon, dass sonst keiner zur Hand war.

Die Sache mit der Entfremdung von der Truppe erzählt aber noch ein Stück mehr. Leyen gilt als starke Figur in der CDU, frühe Mitstreiterin Merkels im Kampf um die Gesundheitsreform, profilierte Modernisiererin. Dennoch hat sie in ihrer Partei keine Gefolgschaft aufgebaut. Sie hat es nicht mal versucht.

In der Politik ist sie beliebt - beim Fernsehen auch

Dabei kann sie Säle voller Anhänger zum Jubeln bringen. Nur wächst daraus keine Loyalität. Sie war im Wahlkampf in Talkshows dauerpräsent, wie schon in der Flüchtlingskrise. Bei den Wahlen zur Parteivize bleibt sie trotzdem Schlusslicht oder vielleicht gerade deshalb: zu sehr Merkel, zu liberal, zu viel Solo.

Eigentlich also erstaunlich, dass Leyen über Jahre hinweg als heiße Anwärterin auf die Nachfolge Merkels gehandelt wurde. Was für sie sprach, waren Härte und Ehrgeiz. Im Grunde traute man ihr das Amt zu, weil sie es sich zutraute. Das könnte einen Parteitag beeindrucken, zumal wenn sonst wenig Auswahl besteht.

Nur ist inzwischen die Auswahl größer geworden – und jünger. Leyens Formel, aus jeder Generation schaffe es nur einer ins Kanzleramt, erweist sich als zunehmend richtig. Dabei hat ihr das niemand je als Verzichtserklärung abgenommen. Die Formulierung wirkte zu sehr in der PR-Werkstatt zurechtgefeilt, um wie eine Absage zu klingen, aber im Ernstfall kein Hindernis zu bieten. Jeder weiß ja, dass Leyen eine höchst effektive PR-Werkstatt hat. Jens Floßdorff ist als Sprecher seit Hannover dabei, so wie der Staatssekretär Gerd Hoofe. Die zwei bleiben ihr noch als freiwillige Feuerwehr. Hoofe organisiert und tritt intern Brände aus. Floßdorff muss löschen, wenn Qualm und Flammen durchs Dach schlagen.

Geld ist Macht

Das tun sie mit großer Regelmäßigkeit, und ausgerechnet immer da, wo Leyen mit dem größten Versprechen ins Amt startete: bei der „Trendwende Ausrüstung“. Trendwende vermeidet das Unwort „Reform“ und existiert auch in den Varianten „Personal“ und „Finanzen“. Alle hängen zusammen und alle am Geld: ohne Geld keine Ausrüstung, ohne Geld und gute Ausrüstung kein Nachwuchs.

Wer freilich in letzter Zeit die Nachrichten verfolgt hat, konnte zu dem Schluss kommen, dass die Bundeswehr ein einziger Schrotthaufen sei. U-Boote fahren nicht, Hubschrauberpiloten verlieren mangels Flugstunden die Lizenz, bei den Eurofightern wäre im Ernstfall kein Dutzend Maschinen einsatzbereit. Leyen spricht am Montag selbst den blamablen Umstand an, dass die Einheiten für die Schnelle Nato-Speerspitze sich einfachste Ausrüstung anderswo zusammenbetteln müssen, wo sie dann aber fehlt.

Hinter alledem stecken Pech, Schluderei und eine Erblast. Den Eurofightern fehlt ein winziges Ersatzteil, weil der Hersteller nicht mehr liefert – peinlich, aber eher eine dumme Panne. Dass ein U-Boot auf Grund läuft – Schicksal. Aber dass die fünf übrigen U-Boote auch an der Kette liegen mangels Ersatzteilen, das hat System. Da rächt sich die jahrzehntelange Illusion, es brauche in Europa keine richtige Armee mit teurer Logistik mehr.

Am Montag spielt das Wort „Nachholbedarf“ in Leyens Ansprache vor den Kommandeuren denn auch die zentrale Rolle. In der Sache stimmt das. Leyen hat in den ersten vier Jahren auch vieles angestoßen gegen die Missstände: Transparenz, Organisation, höhere Etats, Excel statt Aktenordner. Leyen zählt alles einzeln auf, mit Zahlengewittern illustriert.

Nur lassen die Wirkungen auf sich warten. 2023, verspricht Leyen, soll die Nato-Speerspitze ohne Leihgaben auskommen. Ja, richtig gehört: 2023. Nach der nächsten Bundestagswahl.

Dabei passt um Geduld zu bitten so gar nicht zu ihr und dem Wirbelwind, den sie gern verbreitet. In früheren Ministerien geriet sie mit allen aneinander, weil sie im Eil- und Überfallverfahren Gesetze durchboxte. Doch der Organismus Bundeswehr ist träge aus Größe und zäh aus Gewohnheit. „Aushalten, durchhalten und Strukturen verändern“ – die Parole hat ihr Suder dagelassen, als sie ging. Eine Arbeitsanweisung für Sisyphos.

Immerhin kommt die europäische Verteidigungszusammenarbeit in Gang, ein Nebeneffekt des Brexit, der die ewigen Neinsager aus London aus dem Spiel geworfen hat. Das Thema liegt ihr, es lässt ihr auch Raum für Initiativen. Selbst die Opposition im eigenen Lager, also die SPD-Wehrexperten, findet dafür unter der Hand lobende Worte.

Was kommt als nächstes?

Vielleicht liegt dort ihre Zukunft. Die jetzige Amtszeit der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini endet 2019, Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg steht 2020 zur Ablösung an. Das wäre das Modell Günther Oettinger – Karriere- Neustart an neuem Ort.

Die Alternative? Das Modell Wolfgang Schäuble. Auch der Senior der CDU hat seine Wunschziele nie erreicht; er wurde nicht Kanzler, nicht Präsident, der Parteivorsitz blieb Episode. Aber er wurde ein respektierter Finanzminister und ein geachteter Bundestagspräsident. Wer immer auf Merkel folgt, kann gewiefte Routiniers gebrauchen, so wie Merkel den oft unbequemen Helfer Schäuble.

Nur muss Leyen bis dahin überleben. Auch deshalb sind die Milliarden so wichtig. Etliche große Beschaffungen auf den Weg zu bringen, wäre etwas, und der Haushalt 2019 ist der Schlüssel dazu. Die Alarmrufe über den Mangel allerorten kommen ihr dafür sogar zupass. Zusätzlich versucht sie es hintenrum. Im Koalitionsvertrag steht, dass für jeden Euro mehr für Verteidigung einer für Entwicklung fließt. Sie hat sich also mit Entwicklungsminister Gerd Müller verbündet. Boxt der CSU-Mann seine 800 Millionen Euro mehr für den guten Zweck durch, steigt der Wehretat stillschweigend mit.

Aber daneben läuft noch eine echte Leyen-Nummer, tricky und frech. Ohne die Zusatz-Milliarden, lässt ihr Haus wissen, müssten gewisse internationale Projekte ausfallen. Das erste Vorhaben auf der Streichliste wäre dann leider ein U-Boot-Deal mit Norwegen. Der Wehrbeauftragte und SPD-Mann Hans-Peter Bartels kommt aus Kiel, wo die U-Boote gebaut werden. Der SPD-Haushälter für den Wehretat, Johannes Kahrs, kommt aus Hamburg. Die Jungs von der „Küstengang“ wissen, wann es ernst wird. Leyen will dieses Spiel gewinnen, mit lächelnder Chuzpe und der Kanzlerin zur Seite. Überleben, wenn es oft genug gelingt, wird ja irgendwann zur Qualität an sich.

Dieser Text wurde am 15. Mai 2018 in der "Agenda" veröffentlicht, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint.

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