Regierungskrise in Italien: Warum stürzt Silvio Berlusconi die Regierung?
Silvio Berlusconi droht in Kürze das Ämterverbot. Jetzt sind alle Minister seiner Partei zurückgetreten. Italien ist damit zurück in der Krise. Italiens Ministerpräsident Letta stellt Mittwoch die Vertrauensfrage.
Silvio Berlusconi liebt den großen Auftritt. „Ein Staatsstreich“ sei es, ihn als Politiker – in seiner Wahrnehmung also nicht als rechtskräftig verurteilten Steuerbetrüger – zukünftig aus dem italienischen Parlament ausschließen zu wollen. Da stürzt er lieber die Regierung. Regierungschef Enrico Letta hat nun für Mittwoch eine Vertrauensabstimmung im Parlament angekündigt. Er werde sowohl im Senat wie auch in der Abgeordnetenkammer die Vertrauensfrage stellen, sagte der Sozialdemokrat am Sonntagabend im Fernsehen nach einem Krisengespräch mit Präsident Giorgio Napolitano in Rom. Werde er sie verlieren, „werde ich meine Schlüsse“ ziehen, sagte Letta weiter.
Dabei hat die Regierung Letta vergleichsweise „unpolitisch“ begonnen: Der erst 47-jährige Premier hatte sich (einige parteiferne „Techniker“ wie den international renommierten Finanzminister ausgenommen) absichtlich mit einer Mannschaft aus jungen Politikern umgeben, die sich nicht im zwanzigjährigen Kampf zwischen Berlusconi und den Linken verschlissen hatten. Und während Berlusconis „Volk der Freiheit“ und die sozialdemokratischen Politiker von „Partito Democratico“ weiterhin miteinander stritten, schaffte es Letta lange Zeit, sein Team aus diesen Querelen herauszuhalten. Erst nachdem Berlusconi am 1. August letztinstanzlich verurteilt worden war, mischten zunehmend auch Regierungsmitglieder in den Zwistigkeiten der Parteien mit. Das war der eigentliche Anfang des Zerfalls.
Wer ist Schuld an der Regierungskrise?
Nicht nur Berlusconis Leute schürten Unruhe. Im Partito Democratico tobt ein interner Kampf um die Parteiführung und die Spitzenkandidatur bei den nächsten Wahlen. Die einzelnen Anwärter – allen voran Matteo Renzi, der Oberbürgermeister von Florenz – scheuten je nach aktueller Gefechtslage bisweilen auch nicht davor zurück, die Regierung, den Premier, die Große Koalition als solche in Frage zu stellen. Sie gaben dem „Volk der Freiheit“ als Gegner und Koalitionspartner damit hinreichend Anlass zur Polemik, im Grunde seien es die Linken, die nur auf einen günstigen Augenblick zum Sturz der für Italien historisch einzigartigen politischen Konstruktion aus seien. Demgegenüber, so Berlusconis Anhänger immer wieder, sei ihr Chef der einzig wirkliche Staatsmann und „Verantwortungsbewusste“ in diesem Krisenland.
Er stehe „trotz der Angriffe von links und der politischen Verfolgung durch die Justiz“ treu zum Koalitionsvertrag. Noch kurz vor 18 Uhr am Samstagabend, als Berlusconi und die „Falken“ seiner Partei längst das Ende der Regierung besiegelt hatten, verkündete sein Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus, Renato Brunetta, er sei „optimistisch“, dass es mit der Regierung weitergehe; Berlusconi verstehe es, die „politische und juristische Ebene“ zu trennen.
Warum kommen die Rücktritte ausgerechnet jetzt?
Am kommenden Freitag will der Immunitätsausschuss des Senats Berlusconi das Parlamentmandat aberkennen. Die rechtsgültige Entscheidung wird zwar erst Mitte des Monats im Plenum fallen, aber am Ausgang der Debatte hat Berlusconi nach dem Scheitern diverser Verzögerungsmaßnahmen und taktischer Finessen – darunter der Anrufung des Europäischen Gerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – keine Zweifel mehr. Ist er aber nicht mehr Abgeordneter und genießt er nicht mehr den Schutz parlamentarischer Immunität, könnten Staatsanwälte in diversen anderen Prozessen ungehindert auf seine Freiheit und womöglich auch auf Besitztümer zugreifen. So hat es ihm sein Dauer-Verteidiger Niccolò Ghedini prophezeit. Es läuft ja nicht nur der „Bunga-Bunga“-Prozess (auch wenn dieser zwischen der Verurteilung zu sieben Jahren Haft in erster Instanz und dem Beginn des Appellationsverfahrens derzeit pausiert). Berlusconi ist auch im Zusammenhang mit Bestechung, mit der „Bereitstellung“ ganzer Schwadronen hübscher, junger „Escort-Damen“ und mit dem Kauf von Abgeordneten angeklagt.
Ferner hofft Ghedini anscheinend, bei vorgezogenen Parlamentswahlen dürfte Berlusconi doch noch kandidieren: Das Kassationsgericht hat im Zusammenhang mit dem Steuerbetrug ein fünfjähriges Ämterverbot für „zu lang“ befunden; jetzt muss das Appellationsgericht nochmal ran, das wird – mit der definitiven Klärung durch die Kassation – wohl noch bis Ende Dezember dauern. Sollte im zeitlichen Niemandsland dazwischen gewählt werden, könnte Berlusconi Spitzenkandidat seiner Partei werden. Dass er nach einem anderen Gesetz auch ohne neuen Gerichtsspruch nicht Abgeordneter sein darf, stört Berlusconi: Dieses Gesetz sei sowieso verfassungswidrig.
Was droht, wenn die Regierung stürzt?
Zu allererst und paradoxerweise behindert eine Regierungskrise genau die Geschenke, die Berlusconi seinen Wählern versprochen hat. Die Anhebung der Mehrwertsteuer zum 1. Oktober wird unausweichlich; die ungeliebte Haus- und Grundsteuer, die Lettas Regierung auf Berlusconis ultimatives Dauerdrängen hin und unter großem Propagandawirbel „abgeschafft“ hat – um sie der Haushaltsstabilität wegen durch eine neue „Service-Steuer“ zu ersetzen – kehrt zurück. In Gefahr ist der Staatshaushalt, der am 15. Oktober vom Parlament beschlossen und danach in Brüssel vorgelegt werden muss.
Und im Parlament hängen einige Gesetzentwürfe fest, mit denen die Regierung die lahmende Wirtschaft und vor allen Dingen den Arbeitsmarkt wieder in Schwung zu bringen will. Immerhin sagt Finanzminister Fabrizio Saccomanni – und wenn es nur zur Beruhigung der Märkte ist – die Kontoführung befinde sich „durch unsere Anstrengungen im Einklang mit den europäischen Richtlinien“, und was beispielsweise zur Korrektur des Haushaltsdefizits von derzeit 3,1 auf 3,0 Prozent noch fehle, das könne „auch eine nur mehr geschäftsführend tätige Regierung besorgen“.
Wie steht Italien wirtschaftlich da?
Italien steckt seit fast zwei Jahren in der Rezession. Die Arbeitslosigkeit liegt mit zwölf Prozent auf dem höchsten Stand der Nachkriegszeit, fast 40 Prozent der Jugendlichen sind ohne Arbeit. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet erst für das kommende Jahr wieder mit Wachstum. Trotz der politischen Querelen konnte sich die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone aber am Freitag problemlos frische Milliarden von Investoren besorgen. Sechs Milliarden bekam Italien am Finanzmarkt, musste für seine neuen zehnjährigen Anleihen aber mit 4,5 Prozent mehr Zinsen zahlen als bei der letzten Auktion im August, wo 4,46 Prozent gereicht hatten. Die Koalitionskrise dürfte nötige Reformen verzögern und den Schuldendienst verteuern, befürchtet Arbeitsminister Enrico Giovanni.
Was heißt die Krise für den Euro?
Die italienische Regierungskrise ist nach Meinung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) keine Gefahr für die Euro-Zone. „Schön ist es nicht, aber andere Länder machen mir mehr Sorgen“, sagte IW-Chef Michael Hüther dem Tagesspiegel. Italien habe einen konstanten Primärüberschuss und eine solide industrielle Basis. Zudem seien die Privatvermögen relativ hoch. „Ich würde mir mehr Sorgen machen, wenn sich eine solche Regierungskrise in Spanien oder Portugal abspielen würde“, sagte Hüther. Während Griechenland bereits ziemlich sicher ein neues Rettungspaket braucht, hofft Portugal noch, aus eigener Kraft die Wende zu schaffen. Doch Experten sehen angesichts der hohen Staatsschulden schwarz. Ernst ist die Lage auch in Frankreich. „Die Haushaltssanierung kommt dort nicht voran“, betont Hüther. (mit AFP)
Paul Kreiner