Israel: Warum sich Netanjahu gegen vorgezogene Wahlen wehrt
Die Mehrheit im Parlament ist bedroht, die Koalitionspartner machen Druck. Dennoch will Premier Benjamin Netanjahu Neuwahlen verhindern.
Schon seit Monaten wird in Israel über Neuwahlen spekuliert. Vor allem Premierminister Benjamin Netanjahu schien diese aufgrund der möglichen Anklage wegen Korruption lange Zeit herbeizusehnen.
Nun aber, da Neuwahlen unausweichlich scheinen, versucht ausgerechnet der Regierungschef selbst diese mit aller Macht und beschwörenden Worten zu verhindern. „In dieser sensiblen Zeit, hinsichtlich der Sicherheit, wäre es sowohl unnötig als auch falsch, Wahlen abzuhalten“, sagte Netanjahu zu Beginn der wöchentlichen Kabinettssitzung am Sonntag – wenige Stunden vor seinem geplanten Treffen mit Finanzminister Moshe Kahlon von der Kulanu-Partei.
Der Premier ist in Bedrängnis
Es ist das wohl letzte Gespräch, bei dem vorgezogene Wahlen noch verhindert werden könnten. Und nur, wenn Netanjahu es schafft, „ein Kaninchen aus dem Hut zu zaubern“, wie Kahlon sagte. Soll heißen: Jetzt kann eigentlich nur noch ein Wunder helfen.
Denn die Chefs von drei Koalitionspartnern haben bereits erklärt, Neuwahlen zu befürworten – und zwar so schnell wie möglich: Kahlon selbst, Naftali Bennett von der Siedlerpartei und Arye Deri von ultra-orthodoxen Schas.
Die Debatte über vorgezogene Neuwahlen nahm Mitte vergangener Woche seinen Lauf. Da trat Verteidigungsminister Avigdor Lieberman aus Protest über die mit der Hamas erzielte Waffenruhe zurück. Er nannte diese eine „Kapitulation gegenüber dem Terror“.
Zuvor war nach einer missglückten Geheimdienstoperation der israelischen Armee im Gazastreifen die Sicherheitslage eskaliert, mehr als 400 Raketen wurden von dort abgeschossen, Israel reagierte mit dem Beschuss von Zielen im Küstenstreifen.
"Linke Gaza-Politik"
Lieberman plädierte für ein hartes Vorgehen gegen die Hamas – dann kam die Waffenruhe. "Würde ich im Amt bleiben, könnte ich den Bewohnern im Süden nicht mehr in die Augen schauen", begründete er seinen Rücktritt. Da er gleichzeitig den Ausstieg seiner Partei Yisrael Beitenu aus der Koalition ankündigte, geriet die Regierung mit einer verbleibenden, hauchdünnen Mehrheiten von 61 von 120 Sitzen in der Knesset ins Wanken.
Bildungsminister Naftali Bennett nutzte die Chance. Er wollte das frei gewordene Amt unbedingt übernehmen. Schon in den Wochen zuvor zeichnete sich ab, dass er es darauf abgesehen hat – so sehr schoss er sich auf Lieberman ein, warf ihm eine „linke Gaza-Politik“ vor. Bennetts Partei stellte schließlich Netanjahu ein Ultimatum: Entweder Bennett bekommt den Job, oder die Siedlerpartei steigt aus der Regierung aus. Am Freitag scheiterten Gespräche zwischen Bennett und Netanjahu.
Doch was wurde bei dem Treffen genau besprochen? Anfangs hieß es, Netanjahu habe Bennett den Posten verweigert. Am Samstagabend erklärte Bennett hingegen, dass Neuwahlen so oder so nötig seien. Denn ein Sitz Mehrheit für die Regierung sei nicht genug. Überhaupt sei diese nicht mehr rechts genug.
Zu knappe Mehrheit?
So argumentierte auch Moshe Kahlon. Eine Regierungskoalition könne mit lediglich 61 Sitzen nicht weitermachen. „In der derzeitigen Situation ist es die richtige Sache für die Bürger Israels und die israelische Wirtschaft, so schnell wie möglich Wahlen abzuhalten“, sagte er vergangene Woche.
Dass die Regierung 2015 mit genau dieser Stimmzahl ihre Arbeit aufgenommen hatte – Liebermans Partei stieg erst ein Jahr später mit ein – scheint derzeit keine Rolle mehr zu spielen. Wohl aber die Tatsache, dass die Umfragewerte für Netanjahus Likud-Partei vergangene Woche von 30 auf 29 Sitze gesunken sind.
Ein Grund dafür dürfte Netanjahus Gaza-Politik sein. 74 Prozent der Befragten sind unzufrieden, wie der Premier mit der Eskalation umgegangen ist. Zuletzt gingen Hunderte Bewohner aus dem Süden auf die Straße. Sie wollen langfristig Ruhe – und befürworten daher eine umfassende Militäraktion. Netanjahus Koalitionspartner scheinen die Gunst der Stunde nun für Neuwahlen nutzen zu wollen.