Populismus: Warum rechte Elitenkritik erfolgreich ist
Trump, Le Pen, Weidel, Farage: Was Multimillionäre und Großbürgerkinder meinen, wenn sie gegen „die da oben“ wettern. Ein Essay.
Als Donald Trump Ende Juni in Fargo, North Dakota, eine Rede hielt, kam er auf eines seiner Lieblingsthemen zu sprechen: die Kritik an den Eliten. Seiner gewohnten Tirade gegenüber „diesen Leuten“, die „Elite genannt werden“, fügte er eine erstaunlich dialektische Pointe an: „Warum sind sie die Elite?“, fragte er mit Blick auf linksliberale Führungsriegen, und setzte nach: „Ich habe ein viel besseres Apartment als sie. Ich bin klüger als sie. Ich bin reicher als sie. Ich wurde Präsident und sie nicht.“ Dann bezog er seine Anhänger direkt mit ein: „Ihr arbeitet härter, und ihr seid klüger als sie. Bezeichnen wir uns also von jetzt an als Superelite.“
Diese Einlassungen Trumps sind in zweierlei Hinsicht symptomatisch für den politischen Gegenwartsdiskurs. Zum einen, weil hier exemplarisch deutlich wird, dass Elitenkritik nicht mehr nur von links, sondern einem politischen Paradigmenwechsel gleich auch von rechts kommt: Das Verdammen von „denen da oben“ avanciert zunehmend zum Kerngeschäft rechter Populisten, und viele Linke verteidigen jene Institutionen und Personen, die bis vor Kurzem noch zu ihren bevorzugten Gegnern gehörten. Sei es das internationale Freihandelssystem, die „bürgerliche Presse“, Bundeskanzlerin Angela Merkel oder Ex-FBI-Chef James Comey.
Zum Zweiten offenbart die Rede des US-Präsidenten ein Paradox, das sich auch bei anderen Rechtspopulisten zeigt: Die Eliten werden nicht aus antielitärer, sondern aus „superelitärer“ Perspektive kritisiert. Ob Multimillionär Trump, Schlossbesitzerin Marine Le Pen oder die Ex-Investmentbanker Alice Weidel und Nigel Farage: Die Führungsfiguren von US-Republikanern, Rassemblement National, AfD oder Ukip gehören biografisch und ökonomisch zu den Privilegiertesten.
Linke Elitenkritiker verbergen ihre Privilegiertheit - rechte stellen sie aus
Das unterscheidet sie historisch gesehen nicht grundsätzlich von linken Elitenkritikern – siehe Robespierre, Marx, Che Guevara oder Gudrun Ensslin, alles Adels- oder Bürgerkinder –, doch lässt sich ein zentraler Unterschied ausmachen: Während linke Elitenkritiker ihre eigene Privilegiertheit entweder verschwiegen, kritisch hinterfragten oder in Arbeiter- und Guerillero-Kostümen versteckten, stellen reaktionäre Populisten ihren Elitismus geradezu aus: Trump protzt mit seinem Vermögen, Nigel Farage kleidet sich wie das Klischee eines britischen Landlords und auch die AfD-Führungsriege um Alexander Gauland und Alice Weidel könnte mit ihrem großbürgerlichen Habitus kaum privilegierter wirken.
Den rechten Elitenkritikern erwächst daraus zumindest in der Binnenperspektive kein Glaubwürdigkeitsproblem, denn rechte Elitenkritik folgt einer anderen Logik als linke. Erstere richtet sich gar nicht gegen Eliten an sich. Im Gegenteil: Reaktionäres Denken war immer schon mit der Idee einer starken Anführerschaft verbunden.
Ausgangspunkt einer rechten Elitenkritik ist vielmehr die Behauptung einer verloren gegangenen Harmonie zwischen Herrschenden und Beherrschten. Demnach gab es in einer vormaligen Zeit eine durch Religion, Tradition und Staat eingehegte Ordnung, in der soziale Rollen und Autoritäten klar verteilt waren und jeder seinen Platz hatte. „Plötzlich aber“, schreibt der US-Ideenhistoriker Mark Lilla in seinem Buch „Der Glanz der Vergangenheit“, „kommen von außen Ideen auf, deren Vertreter Intellektuelle – Schriftsteller, Journalisten und Professoren – sind. Sie stellen die Harmonie infrage, und der Wille der Herrschenden, die Ordnung aufrechtzuerhalten, wird geschwächt.“ Lilla folgert: „Im Zentrum jeder reaktionären Geschichte steht der Verrat der Eliten.“
Der reaktionäre Populismus der Gegenwart, dessen Slogans bezeichnenderweise „Make America Great again“, „Take back control“ oder „Wir holen uns Deutschland zurück“ lauten, offenbart sich deshalb zunächst als eine Politisierung von Nostalgie, oft sogar als eine Form der Retrofiktion. Denn jene Vergangenheit, die wiederhergestellt werden soll, ist eine idealisierte oder gänzlich erfundene.
Dennoch führt sie im reaktionären Denken zu einer Aufspaltung des Elitenbegriffs: hier die funktionalen, „volksfernen“ Verwalter eines degenerierten Systems, die durch Multikulturalismus, Werterelativismus und Pluralisierung die Interessen der Nation verraten, dort die plebiszitären, „wahren“ Eliten, die die vermeintlich harmonische Vergangenheit in die Zukunft zurückzuholen. Dass Trump ein Multimillionär ist, tut seiner Elitenkritik binnenlogisch keinen Abbruch, weil nicht Geld oder Status im reaktionären Elitendiskurs entscheidend sind, sondern das nostalgische Verhältnis zur Vergangenheit.
Benachteiligte Minderheiten werden als herrschende Elite definiert
Doch wer gehört im reaktionären Diskurs nun zu dieser „wahren“ Elite? Die Antwort ist simpel (alle weißen, heterosexuellen, nichtliberalen, nichtlinken Deutschen, Amerikaner, Briten, Franzosen usw.), ihre Herleitung komplizierter. Weil Rechtspopulisten heutzutage nicht mehr offen biologisch-rassistisch argumentieren, wenn sie politisch relevant bleiben wollen, wählen sie einen Umweg: Zunächst definiert sich das rechtspopulistische Führungspersonal – und teilweise auch deren Anhängerschar – aus der tatsächlichen Elite heraus und positioniert sich dieser gegenüber als „Superelite“. Das führt dann zu jener Mischung aus Opferstatus und Überlegenheit, die für Rechtspopulisten charakteristisch ist.
Dieser Move wird danach mit einem Widerstandsgestus kombiniert, indem all jene, die im reaktionären Diskurs den Verlust der vermeintlich harmonischen Vergangenheit buchstäblich verkörpern – Nichtweiße, Muslime, Ausländer, Homosexuelle –, in die tatsächliche Elite hineindefiniert werden. Dass deutsche Chefetagen, Ministerien und Zeitungsredaktionen immer noch weitestgehend weiß und männlich sind, macht die rechtspopulistische Rede von Gender-, Homo- oder Multikulti-Lobby kontrafaktisch, aber nicht wirkungslos.
Ideologisch funktioniert die reaktionäre Elitenkritik wie eine eierlegende Wollmilchsau: In einer paradoxen Selbstbeschreibung als überlegenes Opfer denkt man sich in einen aggressiven Protestmodus, während benachteiligte Minderheiten in die Rolle der zu bekämpfenden Herrschenden fantasiert werden.
Der entscheidende Vorteil dieser Selbstinszenierung: Im Unterschied zu linken Eliten können rechte Eliten die eigene Privilegiertheit offen zur Schau stellen. Müssen linke Elitenkritiker gemäß ihrem Gerechtigkeitsideal einer der vielen werden, können rechte Elitenkritiker mit dem Versprechen punkten, dass ihren Anhängern durch den Ausschluss von vermeintlichen Schmarotzern (Flüchtlingen etc.) bald ein Stück von jenem Reichtum zukommt, den die Trumps dieser Welt bereits genießen. Diese rechte Verheißung verfängt heute immer mehr. „Die Reaktionäre unserer Zeit haben entdeckt“, schreibt Mark Lilla, „dass Nostalgie eine machtvolle politische Motivation ist, vielleicht noch stärker als die Hoffnung. Hoffnungen können enttäuscht werden, Nostalgie aber ist unwiderlegbar.“
Gerade deshalb kann sich die Linke nicht einfach mit leeren Beschwörungen der Zukunft begnügen. Auch sie muss womöglich zunächst einmal in die Vergangenheit tauchen, um all jene Traditionsbestände ans Licht zu holen, die sie in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter abgelegt hat. Dieses alte Werteinventar hat sogar einen Namen. Es heißt Sozialdemokratie.
- Dieser Artikel erschien zuerst im Dossier „Brauchen wir Eliten?“ des aktuellen „Philosophie Magazin“ (Nr. 06/2018, erschienen am 20. September). Mehr unter: philomag.de
Nils Markwardt