Groko: Warum Macron auf die Sondierung schaut
Die Ideen des französischen Präsidenten zur Reform der EU sind beim Thema Europa ein zentraler Punkt zwischen Union und SPD.
Berlin - Amtlich geht es hauptsächlich um Europa. Jeder Tag der Sondierungen zwischen CDU, CSU und SPD hat ein Großthema, dem sich der kleine Kreis der Partei- und Fraktionschefs widmet, und so steht am Tag Zwei die Zukunft der Gemeinschaft auf dem Plan. Auf dem Plan stand allerdings auch, dass während der fünf Sondierungstage alle den Mund halten. Doch am Montag setzt ein steter Strom von Flüstermeldungen aus den Arbeitsgruppen ein, die parallel zu den Chefs an den 14 vereinbarten Sachthemen arbeiten. Der Schweige-Vorsatz also geht schon mal nicht auf.
So erfährt das Publikum, dass Union und SPD das nationale deutsche Klimaschutzziel für 2020 nicht mehr für erreichbar halten. Die Zielmarke von 40 Prozent weniger Kohlendioxid im Vergleich zu 1990, vor elf Jahren ebenfalls von einer großen Koalition vereinbart, soll nach der Empfehlung der Energie- AG erst irgendwann in den frühen 2020er Jahren eingehalten werden. Beim EU-Klimaziel – minus 55 Prozent CO2 bis 2030 – soll es aber bleiben.
Richtig überraschend ist dieser Kurs nicht, den die Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU, NRW) und Stephan Weil (SPD, Niedersachsen) federführend absteckten. Schon bei den Jamaika-Verhandlungen war klar, dass das 2020er- Ziel nur mit drastischen Maßnahmen zu halten wäre, allen voran der Stilllegung von Braunkohle-Kraftwerken. Ohne die Grünen sitzen jetzt aber nur noch Vertreter klassischer Kohle-Parteien am Verhandlungstisch. Die Chefs müssen diesen Kurs noch billigen. Aber Laschet und Weil sind qua Amt Schwergewichte, denen man nicht ohne Not widerspricht.
Auf Zwischenstände zur Europapolitik wird man noch etwas warten müssen, denn die Chefs haben bisher ihr eigenes Schweigegelübde gehalten. Das Thema ist vor allem für zwei der Partner zentral: Für die SPD hat zuletzt der Parteichef und Herzenseuropäer Martin Schulz Fortschritte bei der Integration der EU zum Hauptanliegen erklärt. Die CSU im Allgemeinen und ihr im engsten Kreis vertretener Landesgruppenchef Alexander Dobrindt im Speziellen pflegen dagegen seit jeher skeptische Distanz zu „Brüssel“.
Dazwischen sitzt die Kanzlerin. Angela Merkel will dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron eine Antwort auf seine Reformvorschläge geben, die nicht nur in lauter Neins besteht. Mit der SPD wird das leichter als im Jamaika- Quartett mit FDP-Chef Christian Lindner, der Kompromisse der eigenen Europaexperten verwarf. Dafür muss jetzt wohl eher Merkel selbst bremsen.
Macron dürfte deshalb zu jenen nicht-deutschen Politikern gehören, die an den Verhandlungen der Sondierungsgruppe zu Europa besonderes Interesse haben. Der Präsident sucht nämlich dringend Verbündete für seine Ideen zur Reform und Neugründung Europas – und weiß, dass er dabei auf die deutschen Sozialdemokraten angewiesen ist. Nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen hatte Macron Schulz mehrfach aufgefordert, in eine große Koalition einzutreten und dort Verantwortung für die Zukunft Europas zu unternehmen.
Auch für den SPD-Chef, der Macrons Ideen unterstützt und zum Präsidenten seit Jahren gute Kontakte pflegt („Mein Freund Emmanuel“), ist eine Einigung mit der Union auf eine Weiterentwicklung der EU wichtig: Als langjähriger Europaparlaments-Präsident könnte er auf dem Parteitag am 21. Januar glaubwürdig dafür werben, dass es in der großen Koalition nicht nur um das Schicksal der SPD geht, sondern auch um die Zukunft des europäischen Projekts. Die Umwandlung der EU in die Vereinigten Staaten von Europa bis 2025, die Schulz auf dem Parteitag im Dezember gefordert hatte, ist übrigens keine Forderung seiner Partei in den Sondierungsgesprächen.
In ihrem Parteitagsbeschluss verlangt die SPD von der Union „endlich konkrete und substanzielle Fortschritte auf dem Weg zu einem sozialen Europa“. Die Bundesregierung müsse gemeinsam mit Frankreich die Initiative für einen Investitionshaushalt der Euro-Zone ergreifen. Nötig sei ein „breit angelegtes europäisches Investitionsprogramm“, die Einführung europäischer Mindestlöhne und die Austrocknung von Steueroasen. Wegen des Brexits, der Bekämpfung von Fluchtursachen und des Ausbaus der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik werde die EU neben mehr finanziellen Mitteln aus den nationalen Haushalten auch zusätzliche Eigenmittel brauchen, sagen die Sozialdemokraten voraus.
Die SPD-Unterhändler haben sich genau angesehen, was die Union in den Jamaika-Sondierungen mit FDP und Grünen zu Europa vereinbart hatte. Von einer Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion und „angemessene(n)“ Investitionen war in deren Protokoll die Rede. Allerdings lehnten damals die Liberalen den Vorschlag Macrons für einen eigenen Haushalt der Eurozone ab, aus dem er Zukunftsinvestitionen und Nothilfe für Länder in Wirtschaftskrisen finanzieren will. Die FDP verhinderte damals die Einigung auf den Satz, auch wenn es keine automatischen Transfers oder Schuldenvergemeinschaftung geben könne, sei es doch notwendig, Notsituationen abzufedern, die einzelne EU-Staaten überforderten. Dahinter dürfte die Union auch im Gespräch mit der SPD kaum zurückgehen.