FDP-Vize verteidigt Vorstoß im Bundestag: Warum ich gegen eine allgemeine Impfpflicht bin
Es ist eine Gewissensentscheidung, für die es gute Gründe gibt. Und bitte mehr Respekt für Gegenmeinungen! Ein Gastbeitrag.
Wolfgang Kubicki ist stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP und Bundestagsvizepräsident.
Die Debatte über eine allgemeine Impfpflicht ist eröffnet. Am Donnerstag habe ich gemeinsam mit mehreren Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion unsere Vorstellungen der Öffentlichkeit zur Kenntnis gegeben. Mittlerweile sind die Unterstützer aus den eigenen Reihen noch etwas mehr geworden, aktuell sind es über 30.
Dieser Antragsentwurf ist ein Diskussionsbeitrag und gründet auf der richtigen Entscheidung, eine ethisch-medizinische Frage von solcher Tragweite nicht zu einer Frage von Parteibindungen und Fraktionsdisziplin zu machen. Es ist eine Gewissensentscheidung.
Ich würde mich freuen, wenn man diese individuelle Entscheidung – egal, wie sie ausfällt – respektiert und die andere Seite nicht abqualifiziert und unlautere Motive unterstellt. Denn die Diskreditierung führt nicht dazu, dass eine solche Debatte am Ende befriedet wird, sondern dass sie vielmehr zu einem Machtkampf um „Richtig“ und „Falsch" stilisiert wird. Bei Gewissensentscheidungen gibt es aber kein „Richtig“ und „Falsch“.
Drei Beispiele, wieso ich die Impfpflicht ablehne
Erstens: Die allgemeine Impfpflicht gegen SARS-CoV-2 ist aus meiner Sicht verfassungswidrig. Sie ist ein schwerer Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Dieses Recht kann zwar auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden, die Verhältnismäßigkeit muss jedoch bei einem solchen Schritt gewahrt bleiben. Es ist richtig, in der Geschichte der Bundesrepublik gab es bereits Impfpflichten. Bei der Pocken- oder Masernimpfung war jedoch der entscheidende Unterschied, dass die realistische Chance bestand, diese Krankheiten auszurotten. Corona lässt sich leider nicht ausrotten. Eine weitgehend sterile Immunität bieten die aktuell verfügbaren Impfstoffe leider nicht. Deshalb wäre die Verpflichtung zur Impfung nicht verhältnismäßig.
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Zweitens: Es ist zum aktuellen Zeitpunkt völlig unklar, wann die Pflicht der Bürgerinnen und Bürger enden soll – nach der ersten Boosterimpfung, nach der vierten? Oder wird die Impfung dann zum verpflichtenden Dauer-Abo nach vier oder sechs Monaten? Wir wissen es nicht. Das ist jedoch keine ausreichende Grundlage für einen so schweren staatlichen Eingriff.
Drittens: Eine Impfpflicht wäre ein schwerer Vertrauensbruch. Nachdem hochrangige Regierungsmitglieder, von Angela Merkel über Helge Braun bis Jens Spahn, immer wieder beteuerten, eine allgemeine Impfpflicht werde nicht kommen, hinterlässt der Bruch dieses heiligen Versprechens tiefe gesellschaftliche Spuren. Wer sich für eine Impfpflicht ausspricht, muss dies immer im Hinterkopf haben. Das Argument, die überwältigende Mehrheit der Deutschen sei jetzt für diese Pflicht, halte ich für problematisch. Man sollte nicht seine eigenen Grundsätze deshalb über Bord werfen, weil die Mehrheit es gerade anders sieht.
In der Politik ist es immer besser, nicht nur gegen etwas zu sein, sondern auch Gegenvorschläge zu liefern, die ebenfalls das Problem zu lösen versuchen.
Hier wären meine drei Gegenvorschläge – die Aufzählung ist nicht abschließend
Erstens: Wir haben noch nicht alle Mittel ausgeschöpft. Allein der Vergleich zwischen dem vorbildlichen Bremen, wo mehrsprachige Teams durch sogenannte Problemviertel gezogen sind und Menschen systematisch angesprochen haben, und Bayern, das eine ziemlich schlechte Impfquote hat, zeigt, dass es Verbesserungsmöglichkeiten unterhalb des Zwanges gibt. Wir müssen vor Baumärkten, Kneipen oder Einkaufszentren niedrigschwellige Angebote machen – zu den Menschen hingehen. Da wäre noch viel Luft nach oben. Hätten alle Bundesländer vergleichbare Impfquoten wie Bremen oder Schleswig-Holstein, wären wir besser durch diese Welle gekommen.
Zweitens: Wir brauchen eine Impfkampagne, die auch wirkt. Ich habe immer noch die Kampagne „Gib Aids keine Chance“ vor Augen, die die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung schon in den 80ern gemacht hat. Niemandem konnte dieser Slogan damals entgehen. Warum ist den meisten Menschen nicht eine solche Aktion rund um Corona und die Impfung bekannt?
Drittens: Wir brauchen unbedingt bessere Zahlen. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat jetzt dem Land Niedersachsen eine ziemliche Klatsche erteilt und die 2G-Regelung im Einzelhandel wegen fehlender Evidenz gekippt. Wie ist es möglich, dass wir nach fast zwei Jahren Pandemie immer noch nicht annähernd genau wissen, welche Maßnahme wie wirkt? Damit könnten dann viel zielgenauere Maßnahmen ergriffen werden. Dass Länder wie Hamburg oder Bayern mit falschen Zahlen hantiert haben, um Ungeimpfte gefährlicher erscheinen zu lassen, halte ich übrigens für unverantwortlich.
Mir ist wichtig in dieser Debatte, dass immer das Ende einer solchen Maßnahme mitgedacht wird. Setzt der Staat eine Impfpflicht ein, sollte er im Zweifel auch wissen, wie er sie durchsetzt. Ob dies von allen Befürwortern der Impfpflicht schon bis zum Ende gedacht wurde, bezweifele ich.
Wolfgang Kubicki
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