Ein Mord und seine Folgen: Warum Hongkong sein Auslieferungsgesetz ändern wollte
Die Demonstrationen in Hongkong hatten sich im Juni an dem inzwischen zurückgezogenen Auslieferungsgesetz entzündet. Warum wollte die Regierung es ändern?
Die Hongkonger Stadtverwaltung unter der Führung der pekingtreuen Carrie Lam hatte im Juni eine vermeintliche Verbesserung des Auslieferungsgesetzes von Flüchtigen und Strafverdächtigen angekündigt. Denn die ehemalige britische Kronkolonie hat seit der Rückgabe an China 1997 lediglich mit 20 Staaten, darunter Deutschland, ein Auslieferungsabkommen. Die Volksrepublik China wurde ausgeschlossen, da ihr Justizsystem nicht unabhängig ist.
Nun aber wollte die Hongkonger Regierung die Ausklammerung Chinas im Auslieferungsgesetz aufheben, so dass künftig Chinas Regierung die Auslieferung von verdächtigen Personen und Kriminellen verlangen könnte. Als Grund dafür wurde der Fall Chen Tongjia genannt, der sich wie ein „Tatort“-Krimi liest.
Anfang 2018 urlaubten der Hongkonger Chen mit seiner schwangeren Freundin Pan Xiaoying in Taiwan. Dort fand er heraus, dass seine Freundin von einem anderen Mann schwanger war. Im Streit tötete er sie, nahm ihr Geld und ihre Kreditkarten an sich und kehrte nach Hongkong zurück. Der Vater von Pan Xiaoying fand mit Hilfe der Taiwaner Polizei den Mord an seiner Tochter heraus.
Taiwan forderte die Auslieferung des mutmaßlichen Mörders. Allerdings wird Taiwan von Hongkong und China offiziell als Teil der Volksrepublik angesehen, nicht als unabhängiger Staat. Daher war eine Auslieferung an Taiwan für Hongkong nicht ohne weiteres möglich. Der Vater der Toten konnte stattdessen immerhin bewirken, dass Chen in Hongkong wegen Kreditkartenbetrugs zu 29 Monaten Haft verurteilt wurde. Denn dieser hatte kaltblütig mit den Kreditkarten der Ermordeten seine Schulden in Hongkong beglichen. Im Oktober wird er aus der Haft entlassen.
Auch jetzt reicht Pekings Arm nach Hongkong hinein
Laut Regierungschefin Lam sollte die Gesetzesänderung deshalb schnellstmöglich durch den Legislativrat gebracht werden, um Chen noch vor der Freilassung ausliefern zu können. Das Gesetz wurde binnen zwanzig Tagen beschlossen – so schnell wie kein Gesetz jemals zuvor – und musste nur noch vom Legislativrat, der mehrheitlich aus Pro-Peking-Mitgliedern besteht, durchgewunken werden. Dann kamen die Demonstrationen. Inzwischen ist es offiziell auf Eis gelegt.
Das demokratische Lager wirft Carrie Lam vor, den Fall zu benutzen, um mit der Gesetzesänderung das Justizsystem auszuhöhlen. Zukünftig werde es China möglich sein, die Auslieferung von politischen Unruhestiftern und Kritikern zu fordern und sie damit mundtot zu machen.
Auch jetzt reicht der Arm Pekings nach Hongkong hinein. Unliebsame Aktivisten werden durch fadenscheinige Anklagen inhaftiert. Wie der 23-jährige Joshua Wong, der das Gesicht der Demokratiebewegung von 2014 war. Die Befürchtung ist groß, dass solche Verhaftungen durch das Auslieferungsgesetz künftig an der Tagesordnung wären. Auch Taiwan verurteilte das neue Auslieferungsgesetz und bekundete, dass eine Einigung auch ohne Gesetz möglich wäre. Durch die Schwere der Tat könnte Chen auch nach Einzelfallprüfung durch den Legislativrat ausgeliefert werden.
Minh An Szabó de Bucs