Neue Studie: Warum Flüchtlinge aus Nordafrika häufiger kriminell werden
Jung, männlich, perspektivlos: Bei Flüchtlingen ohne Chance auf Asyl steigt das Risiko, in die Kriminalität zu rutschen. Welche Mittel bleiben der Politik?
Nachdem eine 15-Jährige in der Kleinstadt Kandel von ihrem afghanischen Ex-Freund erstochen wurde, ist sie wieder aufgeflammt: die Debatte über Gewalt und Kriminalität unter Flüchtlingen. Eine neu erschienene Studie zeigt nun, dass die Gewaltkriminalität seit 2014 zwar durch den Flüchtlingszuzug gestiegen ist – Zuwanderer aber nicht pauschal krimineller sind als Deutsche. Der Anteil der Straffälligen unterscheidet sich stark von Herkunftsland zu Herkunftsland. Besonders Zuwanderer aus Nordafrika fallen durch Gewalt auf.
Was genau sagt die Studie und ist sie repräsentativ?
Das Bundesfamilienministerium hatte Anfang 2017 die Kriminologen Dirk Baier, Christian Pfeiffer und Sören Kliem beauftragt, die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen und Flüchtlingen am Beispiel Niedersachsens zu untersuchen. In Bezug auf Flüchtlinge wurden dabei besonders die Jahre 2014 bis 2016 in den Blick genommen. Da das nördliche Bundesland in gewisser Weise eine Art deutsche Durchschnittsregion darstellt, sind die Daten durchaus repräsentativ.
Im Ergebnis belegen die Untersuchungen, dass die Gewaltkriminalität in Niedersachsen in den Hochzeiten der Flüchtlingskrise um 10,4 Prozent angestiegen ist. Zu 92,1 Prozent sei diese Zunahme Flüchtlingen zuzurechnen, heißt es in der am Mittwoch veröffentlichten Studie. Anders ausgedrückt rechnet die Polizei jede achte Gewalttat einer Person zu, die entweder Asyl beantragt, irgendeine Art von Schutz erhalten hat, als Schutzsuchender abgelehnt wurde oder sich illegal in Deutschland aufhält.
Da es in jeder Bevölkerungsgruppe Kriminalität gibt, sei mit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen auch ein Anstieg der Kriminalitätsrate zu erwarten gewesen. Dass die Kriminalität aber klar überproportional zum Anstieg der Flüchtlingszahlen gestiegen ist, führen die Forscher darauf zurück, dass besonders viele junge Männer nach Deutschland gekommen sind. 14- bis 30-Jährige fielen unabhängig von ihrer Herkunft stets durch besonders viele Gewalt- und Sexualstraftaten auf, schreiben sie. Die Wissenschaftler sagen aber auch, dass die kulturelle und religiöse Prägung durchaus Einfluss auf die Gewaltbereitschaft eines Menschen hat. Wer in einer Machokultur groß wird neigt demnach eher zu Gewalt.
Welche Flüchtlinge werden kriminell und warum?
Laut Studie fallen vor allem junge Männer durch Gewalt auf, die keine Aussicht auf eine Anerkennung als Flüchtling oder einen Asylstatus haben. Das betrifft besonders Marokkaner, Algerier und Tunesier. Sie stellten 2016 nur 0,9 Prozent der in Niedersachsen registrierten Flüchtlinge, aber 17,1 Prozent der Tatverdächtigen. Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Afghanistan werden dagegen selten kriminell.
Der Kriminologe Christian Walburg von der Uni Münster erklärt dieses Phänomen auch mit der Zusammensetzung der Flüchtlingsgruppen. „Aus Syrien etwa ist eher ein Querschnitt der Bevölkerung gekommen, während bei den Zuwanderern aus Nordafrika junge Männer aus prekären gesellschaftlichen Milieus überrepräsentiert sind.“ Dazu käme eben die Perspektivlosigkeit durch meist abgelehnte Asylbescheide. „Zurückzugehen ist oft keine attraktive Option und so versuchen sie, sich hier über Wasser zu halten – und sei es mit Kriminalität“, sagt Walburg.
Christian Pfeiffer machte im ZDF außerdem fehlende Sprachkurse und Beschäftigungsmöglichkeiten für die Zuwanderer aus Nordafrika für die Entwicklung mitverantwortlich. Auch die teilweise schwierigen Lebensbedingungen in überfüllten Flüchtlingsunterkünften fördern Aggressionen.
Wie wirkt sich das auf die Akzeptanz von Flüchtlingen in Deutschland aus?
Laut dem Kriminalwissenschaftler Walburg ist das Thema Flüchtlingskriminalität bereits seit der Silvesternacht 2015/2016 sehr präsent. Die damaligen Übergriffe auf Frauen auf der Kölner Domplatte, aber auch andere schwerwiegende Taten seien sehr intensiv wahrgenommen worden. Dazu zähle auch der jüngste in Kandel. Solche Vorfälle bestärkten die Befürchtungen derer, die ohnehin skeptisch seien. Zum Teil würden sie auch zur Stimmungsmache genutzt. Unter diesen Rahmenbedingungen sei es gesellschaftlich schwierig, Nordafrikanern, deren Rückführung sich verzögert, Perspektiven in Deutschland zu bieten. Ein langjähriges Leben am Rande dieser Gesellschaft sei aber keine gute Option.
Wie entwickeln sich die Rückführungszahlen nach Nordafrika?
Das Bundesinnenministerium nennt die mangelnde Kooperation von Ausreisepflichtigen allgemein als „wichtigstes Vollzugshindernis“ bei Abschiebungen. Die Kooperationsbereitschaft der Herkunftsländer habe sich dagegen deutlich verbessert, teilte das Innenministerium auf Anfrage mit. Ausdrücklich genannt werden dabei die Maghrebstaaten Marokko, Algerien und Tunesien, mit denen seit 2016 „intensive Verhandlungen über die Verbesserung der Rückkehrzusammenarbeit“ geführt worden seien. Das Ergebnis nimmt sich dennoch mager aus. So wurden 2017 (Stand Ende November) nur 455 Algerier, 219 Tunesier und 590 Marokkaner in ihre Heimat abgeschoben. Ausreisepflichtig waren Ende November indes insgesamt fast 10000 Staatsangehörige der drei Länder.
Was muss getan werden?
Die Autoren der Studie um Christian Pfeiffer regen eine Doppelstrategie an: „Für diejenigen, die wegen erheblicher Straftaten verurteilt werden, die konsequente Ausweisung, für die anderen dagegen ein breit angelegtes Programm für ihre freiwillige Rückkehr.“ Dessen Attraktivität solle sich dadurch erhöht werden, dass sie auch den Flüchtlingen ohne Bleibeperspektiven den Zugang zu Sprachkursen und Praktikumserfahrungen ermöglichen. Der SPD-Politiker Thomas Oppermann hält ein solches groß angelegtes Rückkehrprogramm für eine gute Idee. Auch der CSU-Politiker Stephan Mayer sagt: „Wir müssen noch mehr tun, um die freiwillige Rückkehr interessant zu gestalten. Das heißt aber nicht, immer größere Finanzhilfen für die Rückkehrer zu gewähren – das könnte sonst einen Anreiz schaffen, nach Deutschland zu kommen.“ Er halte es für zielführender, zu versuchen, der Person eine Reintegration ins Heimatland und speziell in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
Entwicklungsminister Gerd Müller verfolgt bereits einen Plan. „Wir müssen die Flüchtlingspolitik effizienter gestalten und die richtigen Anreize setzen“, sagt der CSU-Politiker: „Das bedeutet: Sozialleistungen in Europa angleichen, damit keine Sogwirkung entsteht. Die Hoheit über die EU-Außengrenzen zurückgewinnen. Die Schleuser dürfen nicht darüber entscheiden, wer in die EU kommt und wer nicht. In den Herkunftsländern müssen wir die Regierungen unterstützen, vor Ort Perspektiven zu schaffen.“
Was wird bereits getan?
Für das im März 2017 gestartete Rückkehrerprogramm des Entwicklungsministeriums (BMZ) standen im vergangenen Jahr 150 Millionen Euro bereit. Rückkehrer wurden finanziell unterstützt. „Wir senden eine klare Botschaft: Niemand muss als Verlierer in seine Heimat zurückgehen.“, sagt der Minister. Damit die Rückkehr gelinge, unterstützt das BMZ bei Jobvermittlung, Aus- und Weiterbildung, von der auch die einheimische Bevölkerung nicht ausgeschlossen sei. „Das schafft Bleibeperspektiven und vermeidet neue soziale Spannungen“, glaubt Müller. Die Beratungszentren in den westlichen Balkanländern laufen laut seinen Angaben gut, in Afrika und Nahost will das BMZ in diesem Jahr sein Angebot 2018 gezielt ausbauen. Sieben solcher arbeiten bereits. Von den Partnerländern verlangt die Bundesregierung, die Rückkehrer auch aktiv aufzunehmen. „Nur dann werden wir unsere Entwicklungszusammenarbeit verstärken", kündigt der Minister an: „Wer aktiv kooperiert, wird von uns verstärkt mit gezielter Hilfe unterstützt.“ Mitarbeit: Hans Monath