Kurdische Gebiete in Nordsyrien: Warum eine türkische Intervention den IS stärken dürfte
Der bevorstehende Einmarsch des türkischen Militärs in kurdische Gebiete wird neue Spannungen schaffen. In der Region und in Europa. Ein Kommentar.
Die bevorstehende türkische Militärintervention in Syrien wird Folgen für Europa haben. Der angekündigte Rückzug der US-Truppen aus dem kurdisch beherrschten Gebiet entlang der türkischen Grenze wird neue Spannungen schaffen, die in Deutschland und anderen EU-Ländern auf verschiedenen Ebenen zu spüren sein werden.
Zunächst dürfte eine türkische Intervention im kurdisch beherrschten Gebiet Syriens neue Protestaktionen der kurdischen Diaspora in Deutschland und anderen europäischen Ländern auslösen. Die Terrorgruppe PKK wird versuchen, ihre Anhänger zu mobilisieren und Druck auf die europäische Politik zu entwickeln, um ihre Tochterorganisation YPG in Nord-Syrien vor den türkischen Truppen zu schützen.
Mit der Erlaubnis für den Einmarsch haben die USA der Türkei auch die Verantwortung für zehntausende Gefangene aus den Reihen des Islamischen Staates im Nordosten Syriens zugeschoben. Unter den IS-Kämpfern und ihren Angehörigen, die bisher von den Kurden bewacht werden, sind etliche Europäer und auch knapp 200 Deutsche. Die Türkei wird diese ausländischen Gefangenen rasch an ihre jeweiligen Heimatländer durchreichen wollen.
Der Druck auf die EU steigt
Die türkische Intervention könnte zudem indirekt zu einer neuen Stärkung des IS beitragen. Kurdische Truppen, die seit der militärischen Niederlage des Islamischen Staates im Frühjahr bisher zusammen mit dem US-Militär den Druck auf die Dschihadisten in Ost-Syrien aufrechterhalten haben, werden möglicherweise ihre Stellungen verlassen, um sich den türkischen Truppen entgegen zu stellen. Der IS könnte daher bald wieder Gebiet erobern – und damit für Extremisten in Europa wieder attraktiver werden.
Mit der Intervention wird die Türkei außerdem ihre Forderung an Europa verstärken, die Bildung der geplanten „Sicherheitszone“ im Norden Syriens zu unterstützen. Ankara will in der Zone mehrere Millionen syrische Flüchtlinge aus der Türkei ansiedeln und 140 neue Dörfer für die Rückkehrer bauen. An den Kosten von mehr als 20 Milliarden Euro soll sich Europa beteiligen. Bisher lehnen die Europäer das türkische Projekt ab. Doch weil die EU in der Flüchtlingsfrage stark von der Mitarbeit der Türkei abhängt, kommen schwierige Fragen auf die europäischen Staaten zu.