Ein Jahr nach der US-Wahl: Warum Donald Trump länger bleiben wird
Impeachment, Rücktritt, Niederlage? Zwölf Monate nach seinem überraschenden Sieg ist klar: Dieser Präsident stürzt nicht so rasch. Ein Kommentar.
Die zwölf Monate seit dem sensationellen Ausgang der US-Präsidentschaftswahl waren ein verlorenes Jahr für die USA. In vielerlei Hinsicht: Umgang mit Zureisenden, Experimente mit der Gesundheitsversorgung, Klima- und Umweltschutz, Zuspitzung internationaler Konflikte, Infragestellung des offenen Welthandels. Es war auch ein verlorenes Jahr für die Herausforderung an Deutschland, eine Antwort auf Donald Trump zu finden.
Die öffentliche Debatte erschöpft sich darin, sich wahlweise über ihn zu empören oder lustig zu machen. Oder sein Impeachment herbeizureden. Man tut so, als sei er ein Betriebsunfall und ein rasch vorübergehendes Phänomen ohne dauerhafte Folgen. Also müsse man ihn nicht ernst nehmen und keine Langfriststrategie für den Umgang mit seinem Amerika entwickeln.
Donald Trumps Präsidentschaft mag als Betriebsunfall begonnen haben. Die Kombination aus dem amerikanischen Wahlsystem und der Stimmenverteilung in den 50 Bundesstaaten machte Trump zum Präsidenten, obwohl die Demokratin Hillary Clinton landesweit drei Millionen Stimmen mehr erzielte. Der Ausgang kam unerwartet. Umso wichtiger ist es, nun nicht weiter auf falsche Erwartungen zu bauen. Dieser Mann verschwindet nicht so schnell.
Trump hat Erfolg, also werden andere ihn kopieren
Trump wird bleiben. In mehrfacher Form. Erstens bleibt er Präsident. Eine Amtsenthebung oder ein Rücktritt sind unwahrscheinlich. Zweitens bleibt sein Stil, mit „alternativen Fakten“ und emotionaler Aufwallung von den eigentlich entscheidenden Themen abzulenken – derzeit zum Beispiel vom Projekt einer Steuerreform, die „Joe Average“, dem Durchschnittsbürger wenig bringt, große Firmen und die Superreichen begünstigt und den öffentlichen Kassen hohe Defizite bescheren wird. Er hat mit dieser Strategie Erfolg, also wird er daran festhalten, und andere werden ihn kopieren.
Drittens ist inzwischen sogar denkbar, dass Trump 2020 die Wiederwahl gelingt. Die Ironie dabei ist, dass seine Aussichten sogar steigen, wenn Entwicklungen eintreten, auf die seine Gegner hoffen. Generell gilt: Vorgänge, die auf den ersten Blick schädlich für Trump erscheinen, können Risiken und Nebenwirkungen entfalten, die ihm am Ende nutzen.
Misserfolge schaden ihm nicht
Die politische Auseinandersetzung gehorcht nicht mehr den Regeln, die viele Bürger und Journalisten unausgesprochen voraussetzen: Lügen und Fehltritte werden bestraft? Populisten, die nicht liefern, was sie versprochen haben, entzaubern sich? Ein Jahr nach der Wahl hat Trump kein zentrales Wahlversprechen erfüllt. Barack Obamas Gesundheitsreform wurde nicht abgeschafft, die Mauer an der Grenze zu Mexiko nicht gebaut, die Auswirkungen der Globalisierung nicht gestoppt, die parteipolitische Blockade nicht aufgebrochen.
Trump kann nicht einmal den Umstand nutzen, dass seine Partei, die Republikaner, die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses hat. Es gibt fast immer ein paar Abweichler, die ein Gesetzesprojekt torpedieren. Lediglich bei der Ernennung konservativer Richter am Supreme Court und den Appellationsgerichten kann er Erfolg vermelden.
Misserfolg schadet Trumps Ansehen unter seinen Anhängern aber nicht. Sie sehen darin eine Bestätigung, dass Trump mit seiner Klage recht hat: Das Establishment beider Parteien, Demokraten wie Republikaner, verhindere die nötigen Reformen.
Der Unterschied zwischen Lüge und Wahrheit verschwimmt
Auch die Kurzatmigkeit des Nachrichtenzyklus nützt Trump. Kaum eine Streitfrage wird nüchtern und systematisch durchdiskutiert. Jeder neue Aufreger verdrängt die vorige Schlagzeile. Trump fordert Todesstrafe für den New-York-Attentäter? Sogleich sinkt das Interesse an den Anklagen gegen seinen Wahlkampfmanager Paul Manafort in der Russland-Affäre.
Auf ähnliche Weise hatte Trump zuvor von seinen Niederlagen im Kongress in Sachen Gesundheitsreform und vor Gericht in Sachen „Muslim-Ban“ abgelenkt, indem er einen Streit über den Umgang mit gefallenen Soldaten vom Zaun brach. Wenn Trump Lügen oder Rechtsbruch vorgehalten werden, wehrt er sich nicht einmal ernsthaft. Er neutralisiert den Vorwurf, indem er behauptet, dass seine Gegner auch Dreck am Stecken haben. Seine Russland-Affäre sei in Wahrheit eine Clinton-Affäre. Seine Gegner bringt das zur Weißglut. Seine Anhänger glauben ihm. Der Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Fakten und „Fake News“ verschwimmt.
Einzelne Republikaner opponieren, es ist keine Massenbewegung
Die Amtsenthebung durch den Kongress wird unwahrscheinlicher. Impeachment ist ein politisches Verfahren, kein strafrechtlicher Prozess. Die Mehrheit des Repräsentantenhauses muss für die Einleitung stimmen. Für die Absetzung des Präsidenten ist eine Zweidrittel-Mehrheit im Senat nötig. In beiden Kammern des Kongresses haben die Republikaner die Mehrheit.
Einzelne Konservative stimmen gegen einzelne Gesetzesvorhaben und verhindern sie. Doch auch wenn die Unzufriedenheit der Republikaner mit Trump groß ist, wird daraus keine Absetzbewegung. Das Vorgehen der Senatoren Bob Corker und Jeff Flake, die ihre Opposition gegen Trump erst publik machten, als sie sich entschieden hatten, nicht wieder anzutreten, zeigt: Republikaner, die von der Basis zur Wiederwahl nominiert werden wollen, stellen sich nicht offen gegen den Präsidenten.
Linke träumen von Impeachment, die Mitte hat andere Sorgen
Der linke Flügel der Demokraten möchte die Kongresswahl 2018 zu einer „Impeachment-Wahl“ machen. Ihr Argument: Gebt uns die Mehrheit, nur dann wird die Amtsenthebung möglich. Moderate Demokraten lehnen das ab. Eine solche Polarisierung sei kontraproduktiv. Für die meisten Wähler seien Jobs, Steuern, Gesundheitssystem und andere Alltagsfragen wichtiger als ein Impeachment. Wegen der Wahlkreiseinteilung ist es ohnehin fraglich, ob die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus gewinnen können. Selbst wenn es gelänge und sie ein Impeachment einleiten, fehlt die Zweidrittelmehrheit im Senat zur Verurteilung Trumps.
Deutschland sollte sich darauf einstellen, dass Trump die vollen vier Jahre im Amt bleibt. Und überlegen, wie es seine nationalen Interessen in einer Welt verfolgt, in der die USA nicht mehr automatisch für die liberale Ordnung, den Freihandel und die militärische Sicherheit Europas eintreten.
Wenn es dumm läuft, wird Trump 2020 wiedergewählt
Wenn es dumm läuft, kann Trump 2020 wiedergewählt werden. Von den 46 Prozent der Wähler, die ihm vor einem Jahr ihre Stimme gaben, hat er zwar viele verloren. In aktuellen Umfragen unterstützen ihn 36 bis 39 Prozent. Das reicht nicht, wenn Trump als Kandidat der Republikaner gegen einen aussichtsreichen Demokraten antritt.
Gut möglich ist freilich, dass andere Republikaner angesichts seiner Schwäche eine Chance wittern und mit ihm 2020 um die Präsidentschaftskandidatur konkurrieren werden. Würde die Partei Trump nicht erneut aufstellen, wäre das auf den ersten Blick eine herbe Niederlage. Paradoxerweise würde sie aber seine Chancen auf Wiederwahl verbessern. In einem „Three way race“ gegen einen „Establishment“-Kandidaten der Demokraten und einen „Establishment“-Kandidaten der Republikaner, wie Trump das darstellen wird, um sich wie 2016 zur einzigen Anti-Establishment-Hoffnung zu stilisieren, wäre er nicht aussichtslos.
Christoph von Marschall arbeitet derzeit als erster Helmut-Schmidt-Fellow der Zeit-Stiftung und des German Marshall Fund of the United States in Washington DC an einem Projekt zur Zukunft der Transatlantischen Beziehungen.
Der Tagesspiegel kooperiert mit dem Umfrageinstitut Civey. Wenn Sie sich registrieren, tragen Sie zu besseren Ergebnissen bei. Mehr Informationen hier.