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Präsident Recep Tayyip Erdogan verlässt eine Wahlkabine während der Kommunalwahlen.
© Lefteris Pitarakis/AP/dpa

Erdogan setzt Wahl-Wiederholung durch: Warum die neue Abstimmung in Istanbul für Erdogan wichtig ist

Die türkische Wahlkommission lässt in Istanbul erneut abstimmen. Der Präsident will Niederlage seiner AKP vom März ungeschehen machen. Eine Analyse.

In der Türkei wird der gewählte Bürgermeister der Metropole Istanbul abgesetzt: Unter massivem Druck der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan hat die Wahlkommission eine Wiederholung der Bürgermeisterwahl in der Metropole Istanbul angeordnet. Der neue Urnengang soll am 23. Juni stattfinden, wie die Kommission am Montag mitteilte. Erdogan will auf diese Weise die Niederlage seiner Partei AKP bei den regulären Wahlen vom 31. März ungeschehen machen.

Der im März zum Bürgermeister gewählte Oppositionspolitiker Ekrem Imamoglu soll nach Medienberichten bis zur Juni-Wahl von einem staatlichen Zwangsverwalter abgelöst werden. Erdogan-Kritiker sprachen von einem schweren Schlag gegen die Demokratie in der Türkei. Die Landeswährung Lira verlor nach Bekanntgabe der Entscheidung stark an Wert.

Imamoglu hatte die Wahl in der 15-Millionen-Stadt mit einem sehr knappen Vorsprung von 14.000 Stimmen gewonnen, doch schlagkräftige Beweise für angebliche Manipulationen hat die AKP nicht vorlegen können. So behauptete die Partei zunächst, mehr als 46.000 Wähler hätten wegen Vorstrafen oder anderen Gründen von der Stimmabgabe ausgeschlossen werden müssen, doch bei einer Überprüfung wurden die beklagten Unregelmäßigkeiten in nur rund 1000 Fällen festgestellt.

Auch Beschwerden der AKP gegen angeblich regierungsfeindlich eingestellte Leiter vieler Wallokale in Istanbul waren unhaltbar. AKP-treue Staatsanwälte haben mehr als hundert Wahllokal-Leiter zu Befragungen vorgeladen. Regierungsmedien wollen bei mehr als 40 von ihnen Verbindungen zur Bewegung des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen festgestellt haben.

Hoffnung nicht aufgeben

Doch erstens hätten die Vorwürfe gegen die Wahllokal-Leiter laut Gesetz bis zum 2. März der Wahlkommission gemeldet werden müssen, was nicht geschah. Und zweitens kann die AKP nicht erklären, warum die angeblichen Regierungsfeinde in den Wahllokalen nur bei der Oberbürgermeisterwahl gepfuscht haben sollen: Bei den Wahlen für die Istanbuler Stadträte, bei denen die AKP siegte, sah die AKP keine Manipulationen – obwohl die Wahlzettel alle im selben Umschlag steckten. Deshalb wird nun nur die Bürgermeisterwahl wiederholt, nicht die Wahlen zu den Stadträten.

In einer ersten Reaktion rief Imamoglu seine Anhänger auf, sie sollten die Hoffnung nicht aufgegeben. Der Politiker der Oppositionspartei CHP will bei der Wahl im Juni erneut gegen den Bewerber der AKP, Binali Yildirim, antreten. Der Türkei-Experte Aykan Erdemir von der amerikanischen Denkfabrik FDD kommentierte, der Beschluss der Wahlkommission sei ein Wendepunkt in der Geschichte des Landes und signalisiere den Übergang zu einem „offen autoritären System ohne auch nur den Anschein von Wähler-Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“.

Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth  (Grüne) kritisierte die Entscheidung der staatliche Wahlkommission, die Bürgermeisterwahl in Istanbul auf Antrag der Regierungspartei AKP nun doch für nichtig zu erklären. Die Abstimmung von Ende März muss wiederholt werden. „Ich bin extrem beunruhigt“, sagte Roth dem Tagesspiegel. „Das ist eine Kriegserklärung gegen die Reste der Demokratie.“

Wille des Volkes?

Erdogan hatte die Wahlkommission am Wochenende öffentlich zur Annullierung der Istanbuler Wahl aufgerufen. Das Volk verlange dies, sagte der Präsident. Auch in anderen Landesteilen machte Erdogans Partei Druck auf die Wahlbehörden und hatte damit teilweise Erfolg. So verweigerte die Wahlkommission mehreren gewählten Bürgermeistern der Kurdenpartei HDP die Ämter und ersetzte sie durch AKP-Politiker, die sehr viel weniger Stimmen erhalten hatten.

Politisch besonders bedeutsam ist jedoch die Entwicklung in Istanbul, der mit Abstand größten Stadt des Landes. Für die AKP war der Machtverlust am Bosporus nicht nur schmerzhaft, weil Istanbul die politische Heimat Erdogans ist und seit 1994 von islamisch-konservativen Politikern regiert wurde. Die Wirtschaftsmetropole verfügt über Milliardenbudgets, was der AKP die Möglichkeit gab, über die Vergabe von Subventionen und öffentlichen Aufträgen viele Vereine und Unternehmen an sich zu binden.

Seit Imamoglus Einzug ins Rathaus von Istanbul vor wenigen Wochen sind mehrere Beispiele von Korruption und Vetternwirtschaft bekannt geworden. So erhielten Stiftungen von Söhnen und Schwiegersöhnen des Präsidenten in den vergangenen Jahren offenbar rund 25 Millionen Euro von der AKP-Stadtverwaltung.

Erdogans harter Kurs ist in der AKP nicht unumstritten. Laut Medienberichten bereiten einige prominente Kritiker des Präsidenten in der Partei die Gründung einer eigenen Organisation an. Der Wahlkampf vor der Wahl im Juni wird im Zeichen einer sich verschärfenden Wirtschaftskrise stehen.

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