Machtkampf um Maaßen: Warum die große Koalition so instabil ist
Der Machtkampf um die Zukunft Maaßens zeigt: Schwarz-Rot steckt in einer tiefen Vertrauenskrise. Blick auf eine nervöse Berliner Woche.
Wohin steuert die große Koalition? Was wird aus dem Regierungsbündnis, das erst seit sechs Monaten die Geschäfte führt – und dessen Führungsleute doch schon wirken wie Getriebene? Das sind die Fragen, die sich am Ende einer nervösen Berliner Woche stellen: den Beteiligten, namentlich Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), SPD-Chefin Andrea Nahles und ihren Wählern.
Monatelang mussten die Deutschen nach der Bundestagswahl auf eine neue Regierung warten, nur um nun festzustellen – auf Stabilität und Handlungsfähigkeit dieser Koalition ist nicht unbedingt Verlass. Denn die drei Regierungsparteien haben es fertiggebracht, die Zukunft ihres Bündnisses von einer Personalie abhängig zu machen – davon, ob Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen im Amt bleibt oder nicht.
Die drei Parteien haben sich eine Atempause verschafft
Eineinhalb Stunden saßen Merkel, Seehofer und Nahles am Mittwochnachmittag bei einem kurzfristig einberaumten Krisentreffen im Kanzleramt zusammen. Maaßen müsse gehen, weil er mit seinen öffentlichen Zweifeln an den Berichten zu den Ausschreitungen von Chemnitz jedes Vertrauen verspielt habe, verlangte die SPD. Dessen Dienstherr Seehofer, der dem Nachrichtendienst-Chef zuvor das Vertrauen ausgesprochen hatte, war offenbar nicht umzustimmen. Jedenfalls endete das Treffen ohne Ergebnis. Da Parteichef Seehofer am Wochenende in München zum Parteitag muss, wurde das Problem auf Dienstag vertagt.
Mit einem selbstverordneten Schweigen im Machtkampf um Maaßen haben sich die drei Parteioberen immerhin eine Atempause verschafft. Nahles, aber auch Merkel hoffen darauf, dass der Verfassungsschutzchef selbst erkennt, dass er sein Amt unter diesen Voraussetzungen nicht mehr ausfüllen kann. Ein Rücktritt Maaßens aus eigener Entscheidung würde die Koalition aus der Zwickmühle befreien, in die sie sich selbst manövriert hat. Besonders optimistische Regierungsvertreter sagten Maaßens Rückzug noch für dieses Wochenende voraus. Die Kanzlerin selbst versicherte bei einem Besuch in Vilnius, die Koalition werde nicht wegen des Streits um Maaßen platzen.
Doch selbst wenn der Geheimdienstchef den Koalitionären den Gefallen tut, ist die Gefahr eines Regierungsbruchs nur fürs Erste gebannt. Die inneren Widersprüchen des Bündnisses sind so groß, dass sich jeder Streit zur Krise auswachsen kann.
Ob die Koalition heute noch von zwei Dritteln der SPD getragen wird, ist fraglich
Da ist zum einen der immer wieder aufflammende Konflikt zwischen Seehofer und Merkel in der Flüchtlingsfrage. Den können Formelkompromisse zwar kurzzeitig einhegen, aber nicht aus der Welt schaffen. Und da ist eine SPD, in der starke Kräfte jeden Anlass nutzen wollen, um die ungeliebte große Koalition schnell hinter sich zu lassen. Ein Drittel der Genossen hatte der Parteiführung im Frühjahr die Gefolgschaft verweigert und in der Mitgliederbefragung gegen die große Koalition gestimmt. Ihre grundsätzliche Ablehnung haben sie nie überwunden. Jede Äußerung von Seehofer bestätigt sie in ihrem Urteil.
Weil die SPD nach sechs Monaten Regierung in den meisten Umfragen noch schlechter dasteht als bei der Bundestagswahl, vergrößert sich die Zahl der Unzufriedenen ständig. Optimale Voraussetzungen für die Grokogegner, die SPD-Spitze um Nahles vor sich herzutreiben mit dem Vorwurf, die eigene Führung knicke vor der Union ein.
So war es auch im Fall Maaßen. Juso-Chef Kevin Kühnert, rhetorisch versierter Wortführer aller Grokogegner, gab die Linie vor. Wenn Merkel ihren Verfassungschützer Maaßen gewähren lasse, „sind wir morgen raus“, drohte er am Mittwoch in den sozialen Netzwerken. Einen Tag später ließ Nahles von Generalsekretär Lars Klingbeil erklären, für die SPD-Führung sei „klar, dass Maaßen gehen muss“.
„So manövriert man sich ins Aus.“
Damit entschied sich die SPD-Chefin für ein Vabanque-Spiel. Bis zum späten Freitagnachmittag zumindest blieb unklar, was die SPD tun würde, wenn Maaßen stur bleiben und die CSU ihn decken sollte. Ausstieg aus der Koalition? Neuwahlen kann die SPD-Führung bei derart schlechten Umfragen nicht riskieren, zumal das Verständnis in der Bevölkerung für ein solches Experiment gering sein dürfte. Bleibt im Ernstfall nur die Alternative nach großem Getöse kleinbei zugeben.
„Nicht bis zu Ende gedacht, kopflos und emotional“, urteilte ein SPD-Regierungsmitglied. „So manövriert man sich ins Aus.“ Und ein einflussreicher SPD-Bundestagsabgeordneter wundert sich, dass Nahles den Juso-Chef keine klaren Grenzen setzt. „Wer bei jedem noch so wichtigen Dissens droht, die Koalition zu verlassen, muss offensichtlich an Eines erinnert werden“, sagt der Parlamentarier: „Der Koalitionsvertrag wurde in einem Mitgliederentscheid mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit angenommen.“
Ob die Koalition auch heute noch von zwei Dritteln der SPD getragen wird, ist jedoch mehr als fraglich. Auch Sozialdemokraten aus den Ländern schlugen am Ende dieser nervösen Berliner Woche Töne an, die nach Trennung klingen. „Wie es aussieht, ist Seehofer entschlossen, sich weiter wie eine wilde Sau aufzuführen“, sagte Vorstandsmitglied Serpil Midyatli dem „Spiegel“. Es werde schwierig, „mit unserer Glaubwürdigkeit, wenn wir ihm das jetzt durchgehen lassen. Für mich ist das Maß voll, was Seehofer angeht. Es reicht.“
Der Fraktionschef der SPD im nordrhein-westfälischen Landtag, Thomas Kutschaty, brachte gar ein Ende der Koalition ins Spiel, sollte Seehofer noch weiter im Kabinett bleiben. „Das eigentliche Problem ist Herr Seehofer“, sagte Kutschaty: „Wenn Herr Seehofer Innenminister bleibt, weiß ich nicht, ob die Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode halten wird.“