Konstantin Kuhle: Der FDP-Mann, der bei den Grünen ankommt
Wenn man nur Parteichef Lindner nachbrabbelt – „dann wird man nichts“: Konstantin Kuhle könnte dazu beitragen, dass die FDP bald wieder mitregiert.
Eigentlich ist es noch zu kalt zum Draußensitzen. Aber in Konstantin Kuhles Lieblingsbar in Berlin-Mitte sind drinnen alle Plätze belegt. Der FDP-Abgeordnete – schwarzes Jeanshemd, neue Turnschuhe – trinkt an diesem Frühlingsabend im April deshalb vor der Bar noch ein Bier. Er will gleich auf einen Fraktionsempfang. „Wir brauchen Leute mit eigener Meinung in der FDP. Wenn man immer nachbrabbelt, was Lindner sagt, wird man nichts“, sagt er.
Kuhle hat kürzlich auf Twitter erklärt, er werde die AfD-Kandidatin nicht zur Bundestagsvizepräsidentin wählen – kurz nachdem Parteichef Christian Lindner verkündet hatte, er werde für sie stimmen. Kuhle widersprach Lindner vergangenen Sommer, als der meinte, die FDP stehe der CSU im aktuellen Asylstreit näher als Kanzlerin Angela Merkel. Und Kuhle findet es gut, wenn Schüler ihre Versammlungsfreiheit wahrnehmen – und sei es in der Schulzeit. Während Lindner zu den „Fridays for Future“-Demos sagte, man solle den Klimaschutz den Profis überlassen.
Seitdem er 13 ist, engagiert sich Kuhle bei den Liberalen, war Bundesvorsitzender der FDP-Jugendorganisation, wurde FDP-Generalsekretär in Niedersachsen, innenpolitischer Sprecher im Bundestag, sitzt im FDP-Bundesvorstand. In seiner Partei gilt der Jurist als ehrgeizig und aufstrebend. Doch bei den Liberalen ist Christian Lindner der unangefochtene Anführer, die „One-Man-Show“.
Der Satz von Christian Lindner hängt nach
Jetzt könnten ausgerechnet FDP-Abgeordnete wie Kuhle dazu beitragen, dass die Partei demnächst das Land mitregiert. Seit Monaten treffen sie sich mit Grünen-Politikern zu abendlichen Runden, um Vertrauen zu schaffen und gemeinsame Projekte zu identifizieren. Eine davon tagt in der noblen Berliner Bar „Lebensstern“ – mit dabei neben Kuhle etwa der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz, die Grünen-Fraktionsmanagerin Franziska Brantner und der FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae. Eine anderer gelb-grüner Kreis nennt sich Pasta-Connection, angelehnt an die legendäre Bonner Pizza-Connection, bei der sich Grüne und CDUler näherkamen.
Die letzten Jamaika-Verhandlungen scheiterten auch an den massiven Differenzen zwischen FDP und Grünen. Noch einmal eine Regierungsbeteiligung abzusagen, kann sich die FDP nicht leisten. Der Satz „Lieber nicht regieren als falsch regieren“ hängt ihr nach. Würde sie das wiederholen, man würde ihr den Regierungswillen absprechen.
Im politischen Berlin wird vor allem ein Szenario ventiliert: Merkel dankt nach der Europawahl ab, die SPD will CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer nicht zur Kanzlerin wählen, die bildet mit Grünen und FDP eine Koalition. Eine Gleichung mit vielen Variablen. Aber die Liberalen möchten vorbereitet sein.
Beim FDP-Parteitag, der am Freitag in Berlin beginnt, will die Partei ihr inhaltliches Profil schärfen – ein Schwerpunkt ist die Klimapolitik. Die Partei weiß, dass sie bei dem Thema schlecht dasteht. Wenn die nächsten Jamaika-Verhandlungen nicht wieder im Desaster enden sollen, ist aber vor allem eines nötig: Vertrauen. Besonders zwischen Grünen und FDP.
Ein Liberaler mit klarer Kante gegen die AfD? Geil!
Kuhle gilt dabei als einer der umtriebigsten Brückenbauer zwischen Gelb und Grün. Es hilft, dass der 30-Jährige mit den kurzen dunklen Haaren nicht dem Klischee eines FDPlers entspricht. Er bezeichnet sich selbst als „glühenden Europäer“, setzte mit den Jungliberalen die Legalisierung von Cannabis als Parteiforderung durch. Kuhle steht dem linksliberalen FDP-Altvorderen Gerhart Baum nahe. Der Schutz von Bürgerrechten und Skepsis gegenüber staatlichen Überwachungsmaßnahmen sind große Themen für ihn. Kuhle steht in der FDP, relativ gesehen, am linken Rand. Manchen finden ihn sogar zu links für die FDP.
Bei den Grünen kommt genau das gut an. Als Kuhle kürzlich im Bundestag der AfD ihre Russland-Verbindungen unter die Nase reibt und sich danach ein lautstarkes Wortgefecht mit AfD-Fraktionschef Alexander Gauland liefert, bekommt er viel Beifall.
Der 30-Jährige selbst sagt vor der Lieblingsbar: „Es freut mich, wenn einer sagt: Geil, ein FDPler mit klarer Kante gegen die AfD.“ Und: „Es wird wertgeschätzt, dass die FDP entgegen manchen Klischees aus unterschiedlichen Persönlichkeiten besteht.“ Kuhle kann den Liberalen als lebender Beweis dienen, dass die Partei aus mehr Leuten besteht als Christian Lindner. Das dürfte einer der Gründe dafür sein, dass sich Kuhle selbst bei Lindner nicht unbeliebt macht, wenn er ihm widerspricht. Es ist im Interesse des Chefs.
Kuhles Weg in der FDP begann früh. Spricht man mit Parteikollegen aus Niedersachsen, kommt die Rede recht schnell auf den „dunklen Fleck“ in Kuhles Biografie – was scherzhaft gemeint ist. Als 13-Jähriger wollte er bei den Jungen Liberalen, den JuLis, mitmischen – das geht aber eigentlich erst ab 14. Also machte er sich kurzerhand ein Jahr älter. Die Anekdote gilt als Beleg dafür, wie unbedingt Kuhle in die Politik wollte.
„Eine vierjährige Shitshow“
Zu dieser Zeit habe die FDP, habe die Politik insgesamt ein enorm verstaubtes Image gehabt, erzählt Kuhle. Der damalige FDP-Chef Guido Westerwelle versuchte es anders zu machen. Ging in den Big-Brother-Container, fuhr im Guido-Mobil herum – Kuhle gefiel das. Es gibt ein Foto von 2002, es zeigt Kuhle mit Westerwelle. Kuhle hat da blond gefärbte Haarspitzen und trägt ein zu großes Karohemd. Bei der FDP fühlte er sich ernst genommen. „Wenn man am Wochenende mit den Julis unterwegs war, haben dort Leute, die fünf Jahre älter waren, mit einem geredet wie mit einem Erwachsenen. Das hat mich fasziniert.“ Ihm gefällt, dass die FDP „wirtschaftliche Freiheit mit gesellschaftlicher Selbstbestimmung“ verbindet.
Ab 2009 sitzt Kuhle im Bundesvorstand der Jungen Liberalen. Es folgt die Zeit der schwarz-gelben Regierung. „Das war eine vierjährige Shitshow“, sagt Kuhle. Da ist die Mövenpick-Affäre, als die FDP von einem Hotelunternehmer eine Millionenspende erhält – was zusammen mit der von der FDP forcierten Senkung der Mehrwertsteuer im Hotelgewerbe ein starkes Geschmäckle bekommt. Da ist FDP-Entwicklungsminister Dirk Niebel, der sich im Dienstflugzeug einen Teppich aus Afghanistan nach Hause fliegen lässt. Und Westerwelle, der sich in einer seiner Pressekonferenzen als Außenminister weigert, auf Englisch zu antworten, mit dem Spruch: „Es ist Deutschland hier.“ 2011 der FDP-Mitgliederentscheid zur Euro-Rettung, bei dem die Gegner nur knapp scheitern.
Kuhle, der die Euro-Rettung für richtig hält, ist Ende 2011 gerade zum Erasmus-Semester in Paris. Am Wochenende zu Hause in Deutschland habe er sich anhören müssen, „was für ein linker, von spanischen, griechischen und französischen Kommilitonen beeinflusster, freigiebiger Typ ich bin“. In Paris hätten ihm die Kommilitonen erzählt, was er für ein „böser deutscher Austeritäts-Typ“ sei. „Fürchterlich“, sagt Kuhle und lacht.
Als die Liberalen 2013 schließlich kurz davor sind, aus dem Bundestag zu fliegen, ist auch Kuhle angeschlagen. Mandelentzündung. Normalerweise bekommt er die erst nach Wahlkämpfen, wenn der Adrenalinspiegel abfällt. Aber eine Woche vor der Bundestagswahl wird 2013 in Bayern gewählt und die Liberalen holen nur 3,3 Prozent. Da ist vielen schon klar: Das wird eng. Dann stößt der Spitzenkandidat Rainer Brüderle mit dem Spruch „Wer Merkel haben will, wählt FDP“ die FDP-Wahlkämpfer vor den Kopf. Am traumatischen Wahlabend gibt es bei der FDP niedersächsisches Bier zu trinken. „Das nehmen die Niedersachsen der Partei bis heute übel“, scherzt Kuhle.
Manche finden, dass er sich zu oft zu Wort meldet
Viele Junge in der FDP stellen nach 2013 ihr politisches Engagement infrage. „Ich habe gedacht: Ich bin noch nicht fertig. Ich will mitspielen, wenn es wieder bergauf geht und man wirklich was erreichen kann“, sagt Kuhle.
Kuhles Ehrgeiz fällt auf. Der Sohn einer Lehrerin und eines Kapitäns bei der Handelsmarine hat nach der Schule einen Studienkredit aufgenommen, um an einer renommierten Privathochschule in Hamburg studieren zu können. In der Zeit nach 2013 – den „dunklen Jahren“ – beendet Kuhle sein Jurastudium und arbeitet in einer Anwaltskanzlei. Doch sein Ziel ist der Bundestag.
Vergangene Woche ist Kuhle, gerade zurückgekehrt von einem Besuch bei seinem Freund, unterwegs mit dem ICE in die niedersächsische Provinz. Er soll dort mit der FDP-Spitzenkandidatin bei der Europawahl, Nicola Beer, auftreten. Aus dem Berliner Hauptbahnhof rausgerollt, muss er noch schnell einen Post für Instagram fertig machen. Gelbe Karte von Niedersachsen, roten Pfeil aufs Reiseziel, ein paar Europaflaggen und eine Ankündigung der Veranstaltung dazu, fertig.
Sichtbarkeit ist wichtig. Über Instagram lässt er seine Follower an seinem Alltag teilhaben – in manchem ähnelt er eben auch Parteichef Christian Lindner. Auf seinem Profil mixt Kuhle Schnappschüsse mit professionellen Aufnahmen. Und er weiß sich ins Gespräch zu bringen. Als Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus mit seiner Aussage, er könne sich einen muslimischen Bundeskanzler vorstellen, für eine Debatte sorgt, twittert Kuhle: „Lieber ein moderner Moslem mit einer klaren Zukunftsvision fürs Land als eine verkrampfte Saarländerin mit homophoben Komplexen.“ Manche in der Fraktion finden, dass sich Kuhle ein wenig zu oft zu Wort meldet.
Im Zug erzählt Kuhle von den Jamaika-Verhandlungen. Kuhle ist damals Verhandler für Innenpolitik. Dort gibt es mit den Grünen große Überschneidungen. Von dem Grünen-Fraktionsvize von Notz habe er viel lernen können. Bei Themen wie der Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung sei man auf einer Seite gewesen. Die „Hauptkampflinie“ sei gegen die Union gegangen.
Keine Machtperspektive ohne die Grünen
Dass es am Ende nicht geklappt hat, liege auch daran, dass die Union die FDP falsch eingeschätzt habe. „Die FDP steht in dem Ruf, leicht in Koalitionen zu gehen.“ Doch nach 2013 habe sich die Schwelle verschoben – und 2017 sogar höher gelegen als bei den Grünen, meint Kuhle. Dass sich seine Partei jetzt weiter mit der Ökopartei auseinandersetzt, ist für ihn nur logisch. „Wir müssen mal ehrlich sein: Es gibt derzeit für die FDP keine Machtperspektive ohne die Grünen.“
Die Runden mit den FDP-Kollegen und den jungen Grünen zählen für ihn zu den „angenehmsten Terminen, die man so hat“. Die Sympathien, die hier entstehen, können sich bei den nächsten Jamaika-Verhandlungen auszahlen.
Für den Fall, dass es bald so weit kommt, hat Parteichef Lindner ein „Ready for government“-Programm gestartet. Dabei soll jeder Fachbereich Projekte identifizieren, die innerhalb von zwei Jahren Restlegislatur und ohne Bundesrat umsetzbar wären.
Von all diesen Berliner Spekulationen ist die Veranstaltung, auf der Kuhle in Niedersachsen auftreten soll, weit weg. Sie findet in einem Hotel in Bad Zwischenahn statt, einer Gemeinde vier Zugstunden von der Hauptstadt. Kuhle hat nach der Fahrt seinen blauen Norwegerpulli gegen einen dunkelblauen Anzug und ein weißes Hemd getauscht. Im Saal drängen sich vor allem ältere Parteimitglieder, weißhaarige Herren im Sakko, Damen mit Kostüm und Föhnfrisur. Hier am Zwischenahner Meer sind die Liberalen stärker als anderswo in der Region.
Kuhle sind die Besuche in Niedersachsen wichtig. In seinem Wahlkreis in Göttingen hat er auch eine Wohnung, sodass er dort außerhalb der Sitzungswochen nicht nur zu Besuch ist. Demnächst will er von einer Auslandsreise früher zurückkommen, um am traditionellen Parlamentarierschießen der Schützengesellschaft im niedersächsischen Duderstadt teilzunehmen. Nur aktuelle und ehemalige Abgeordnete dürfen auf die Scheibe schießen. Kuhle will dieses Jahr gewinnen.
„Nur weil man nett ist und empathisch, ist man nicht links“
Bei seiner Ansprache in Bad Zwischenahn muss Kuhle das, was die Menschen vor Ort bewegt, mit dem großen Thema Europa zusammenbringen. Er sagt, die Trauer um Notre Dame zeige, „dass das Zusammenwachsen in Europa vielen Menschen nahegeht“. Es gehe einem nahe, wenn in Ungarn und Polen der Rechtsstaat peu à peu abgebaut werde. Und es gehe einem nahe, wenn Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken. „Europa geht uns nahe und deshalb muss diese Europawahl Anlass sein, unsere europäischen Werte gemeinsam zu verteidigen.“ Es gibt Applaus.
Eines, fügt Kuhle hinzu, liege ihm noch am Herzen – er will ein paar Worte zu den „Fridays for Future“-Demonstrationen verlieren. „Ich finde das gut, wenn junge Menschen sagen: Ich mache von meiner Versammlungsfreiheit Gebrauch. Und es steht uns überhaupt nicht zu als Politik, zu bewerten, ob der Inhalt gut oder schlecht ist.“
Auch wenn Kuhle ihn nicht nennt: Es ist klar, dass er damit Parteichef Lindner angreift. Ein bisschen innerparteiliche Opposition schadet ihm nicht – im Gegenteil.
Kuhle hat natürlich den Satz „Dann geh doch zu den Grünen“ schon gehört. Er sagt aber: „Nur weil man nett ist und empathisch, ist man nicht links.“
Der 30-Jährige hat jetzt nach den guten Erfahrungen mit den grün-gelben Gesprächsrunden angefangen, auch Kontakte zu jungen SPDlern zu knüpfen. Man kann ja nie wissen.