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Eine Regenwaldregion in Brasilien nach einem Feuer.
© Bruno Kelly/REUTERS

Klimaschutz: Warum die Debatte um den "Ökozid" nützlich ist

Aktivisten wollen, dass der "Ökozid" ein Verbrechen wird, das auf einer Stufe mit dem Völkermord steht. Warum diese Debatte wichtig ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Max Tholl

Im Jahr 2034 verantwortet sich Ex-Kanzlerin Angela Merkel stellvertretend für die Bundesrepublik vor dem Internationalen Gerichtshof, die Anklage lautet: Ökozid. Es ist die Prämisse des gleichnamigen Justizthrillers, der vergangenen November nach seiner Ausstrahlung in der ARD für viel Diskussion sorgte. Das internationale Netzwerk „Stop Ecocide“ arbeitet nun daran, einen juristischen Rahmen für dieses fiktive Szenario zu schaffen. Die Aktivist:innengruppe will durchsetzen, dass Ökozid als Verbrechen gegen den Frieden definiert wird und somit vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt werden kann.

Ein internationales Netzwerk will, dass "Ökozid" auf eine Stufe mit Völkermord gestellt wird

Umweltzerstörung auf einer Stufe mit Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Die Forderung bekommt zunehmend politischen Rückhalt. Mehrere europäische Staaten wie Spanien, Schweden oder die Benelux-Länder wollen Ökozid als internationales Verbrechen durchsetzen, auch das EU-Parlament unterstützt ein solches Vorgehen, und selbst der Papst deklarierte Ökozid als eine katholischen Sünde. Im Juni will das Netzwerk „Stop Ecocide“ nun eine konkrete juristische Definition des Begriffes präsentieren, die als Entscheidungsbasis dienen soll.

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Wie schwer das ist, zeigt sich derzeit in Frankreich, wo die Nationalversammlung jüngst für eine Einführung des Straftatbestands Ökozid votierte. Umweltverschmutzer:innen könnten zukünftig mit Bußgeldern in Millionenhöhe oder bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden. Die Opposition nennt das Vorhaben einen „Sprachmissbrauch“, der in eine „normative Hölle“ führe. In Frankreich und auf internationaler Ebene streiten sich nun Jurist:innen über den Begriff Ökozid und dessen juristische Konsequenzen. Auch wenn sich noch keine Umweltsünder in Den Haag verantworten müssen, erzeugt die Diskussion bereits die notwendige Dringlichkeit.

Ein Hauch Apokalypse steckt im Wort "Ökozid" - aber kein falscher Alarmismus

2019, auf dem bisherigen Höhepunkt der Klimabewegung, riefen Städte und Länder den Klimanotstand aus und Protestgruppen wie „Extinction Rebellion“ rückten das Artensterben ins gesellschaftliche und politische Gewissen. Ein Hauch Apokalypse als letzter Warnschuss. Dahinter steckt keinesfalls falscher Alarmismus, sondern die Hoffnung, dass der Erregungszustand der Aktivist:innen auch in die Schaltzentralen der Macht überschwappt. Denn die Wortwahl schafft oftmals erst das nötige Bewusstsein, um ein Problem zu bewältigen. In ihrem Essayband „Die Dinge beim Namen nennen“, schreibt die US-Autorin Rebecca Solnit, es fehle oft die richtige Sprache, um systemische Gewaltakte zu benennen.

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Ungeachtet der juristischen Erfolgsaussichten und semantischen Unterschiede, provoziert ein Begriff wie Ökozid eine notwendige emotionale Reaktion. Kommt das nicht gerade jetzt, nach mehr als einem Jahr täglicher Krisenerfahrung zur richtigen Zeit? Haben die Regierungen in der Pandemie nicht gezeigt, was möglich ist, wenn alles auf dem Spiel steht?

Es kann nur guttun, dem mangelnden Bewusstsein für die Klimakrise mit etwas dystopischer Stimmung nachzuhelfen

Im Gegensatz zum Virus wird die Umweltkrise aber noch nicht als unmittelbare Bedrohung wahrgenommen, sondern allenfalls als Gefahr am Horizont. Es kann nur guttun, da mit etwas dystopischer Stimmung nachzuhelfen. Dazu bedarf es eigentlich keines Justizthrillers, ein Blick auf die wissenschaftliche Evidenz sollte schon reichen.

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