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Hoffen auf Gerechtigkeit: Auch als Ex-Kanzlerin bleibt Angela Merkel (Martina Eitner-Acheampong) ein Pflichtmensch, der Verantwortung für sein Handeln übernimmt. Das beeindruckt den Vorsitzenden Richter Hans-Walter Klein (Edgar Selge, 2.v.l.) bei dem Prozess gegen die Bundesrepublik Deutschland.
© RBB/zero one film/ Julia Terjung

TV-Justizthriller „Ökozid“: Deutschland am Klimapranger

Im ARD-Film „Ökozid“ zerrt eine Allianz des Südens die Bundesrepublik vor den Internationalen Gerichtshof. Der Prozess ist fiktiv, die Fakten aber sind real.

Mit ihren Entscheidungen habe sie oftmals ihre eigenen Weggefährten überfordert, wird Angela Merkel (Martina Eitner-Acheampong) während der Verhandlung vor dem Internationalen Gerichtshof mit Verweis auf Atomausstieg und Flüchtlingsaufnahme sagen. Persönlich fühlt sich die Ex-Bundeskanzlerin in dem im Jahr 2034 angesiedelten ARD-Justizthriller „Ökozid“ jedoch nicht davon überfordert, während des ganzen Prozesses gegen die Bundesrepublik Deutschland auf der Beklagtenbank zu sitzen und sich die Vorwürfe gegen die Klimapolitik des Landes in den Jahren von 1998 bis 2020 anzuhören. Ihr Vorgänger im Amt des Regierungschefs, Gerhard Schröder, sieht sich in diesem TV-Event hingegen nicht genötigt, diesem Prozess beizuwohnen – er befinde sich zu Gesundheitsbehandlungen in Russland, führt der Verteidiger der Bundesrepublik aus.

Der ARD-Film „Ökozid“ gehört zur Themenwoche „Wie wollen wir leben?“. In diesem Kontext davon entstand vor zwei Jahren direkt nach den bayerischen Landtagswahlen und dem überraschend guten Abschneiden der Grünen die Idee für eine Doku-Serie über die deutsche Klimapolitik in den beiden Jahrzehnten nach Verabschiedung der Kyoto-Protokolle. Als dann die Fridays-for-Future-Bewegung den Klimaschutz immer mehr ins öffentliche Bewusstsein brachte, gewann man den Eindruck, dass ein solches dokumentarisches Projekt mit der Realität nicht mehr Schritt halten könne, erläutert die RBB-Film- und Dokuchefin Martina Zöllner die Genese dieses außergewöhnlichen TV-Experiments.

[„Ökozid“, ARD, Mittwoch, 20 Uhr 15]

In der Folge entwickelten Regisseur Andres Veiel („Der Kick“) und Drehbuchautorin Jutta Doberstein einen Gerichtsfilm, der in 90 Minuten die zentralen Vorwürfe gegen die deutsche Klimapolitik und die wichtigsten Argumente für das Handeln der Bundesregierungen unter Schröder und Merkel gegeneinander abwägt – wobei die Fakten durch die ausführlichen Recherchen gesichert sind.

Dabei steht „Ökozid“ in der Tradition amerikanischer Justizthriller, auch wenn in diesem Fall ein Richterkollegium unter Vorsitz des auf Ausgleich bemühten Hans-Walter Klein (Edgar Selge) und keine Geschworenenversammlung entscheidet. Das Konzept des Menschrechts-Gerichtshofs in Den Haag wird indes um den Aspekt des Klimaschutzes als Voraussetzung für menschenwürdiges Leben erweitert.

Präzedenzfall Deutschland

Die Konstruktion des Gerichtsverfahrens erscheint keineswegs abwegig: 31 Staaten des globalen Südens – vom indischen Subkontinent über Afrika bis Südamerika – haben sich zu einer Kläger-Allianz zusammengeschlossen. In einem Präzedenzverfahren soll ein Staat für die Folgen seiner verfehlten Klimapolitik haftbar gemacht werden. Auch auf die Frage, warum statt Deutschland nicht die USA, China oder Russland angeklagt sind, hat der Film eine Antwort: Weil diese Staaten solche Gerichtshöfe wohlweislich ihrer Verfehlungen gar nicht erst anerkennen.

Für einen internationalen Prozess ziemlich deutsch besetzt. Nina Kunzendorf, Friederike Becht, Ulrich Tukur und Edgar Selge (v.l.n.r.) sind die Hauptdarsteller von "Ökozid".
Für einen internationalen Prozess ziemlich deutsch besetzt. Nina Kunzendorf, Friederike Becht, Ulrich Tukur und Edgar Selge (v.l.n.r.) sind die Hauptdarsteller von "Ökozid".
© RBB/zero one film/Julia Terjung

Die Kläger, darunter Bangladesh, Haiti und Mosambik, werden gleich von zwei Anwältinnen vertreten. Chefanklägerin Wiebke Kastager (Nina Kunzendorf) gibt sich eher rational, ihrer jungen Kollegin Larissa Meybach (Friederike Becht) merkt man dagegen ihre Zeit als Klimaaktivistin an. Victor Graf, der Vertreter der Bundesrepublik, zieht unterdessen sämtliche Register des Anwaltsberufs. Ulrich Tukur füllt die Rolle mit sichtbarer Schauspielfreude aus.

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Auch dramaturgisch kann die Fiktion überzeugen. Spannung ergibt sich bereits aus der Frage, ob die Klage zugelassen und wie sie am Ende entschieden wird? Für Störfeuer sorgt zudem professionelle Stimmungsmache per Fake News und Trollarmeen mitsamt dadurch ausgelöster gewalttätiger Proteste und Bedrohungen der Klägeranwälte. TV-Einspieler – vorgetragen unter anderem von einem leicht ergrauten „Tagesthemen“-Moderator Ingo Zamperoni – veranschaulichen die mitunter etwas zahlenlastige Materie, in der es um abgeschwächte Klimaziele, wirkungslose Emissions-Zertifikate und eine industriefreundliche Unterstützung für profitbringende SUV-Klimakiller geht.

Der Anlass bestimmt den Anspruch

Dabei scheut der Film nicht davor zurück, Firmen wie RWE und Vattenfall sowie BMW und Daimler-Benz beim Namen zu nennen und den Lobbyismus zu thematisieren. Sicher: Der Anlass – die Themenwoche #WieLeben – bestimmt den Anspruch des TV-Experiments. „Der Fernsehfilm ,Ökozid‘ führt uns die Konsequenzen eines Nichthandelns drastisch vor Augen“, sagt so auch der scheidende ARD-Programmchef Volker Herres, der betont, dass er an sich ein Gegner permanenter Alarmstimmung der Medien sei.

Es gibt einiges, was man der Produktion vorhalten könnte. Zum Beispiel, dass die Anwälte der Klägerseite und der beklagten Partei aus Deutschland stammen. Wie wahrscheinlich wäre dies in einem echten Verfahren? Dass der Prozess in Berlin stattfindet, weil Den Haag erneut unter einer Sturmflut leidet, könnte 2034 eher möglich sein.

Abgesehen davon sollte aber allen Verantwortlichen die Vorstellung, dass Deutschland tatsächlich einmal an einem solchen Pranger steht, eine zusätzliche Motivation sein, sich der Verantwortung für das Klima zu stellen. Ganz im Sinne des Plädoyers von unerwarteter Seite am Ende dieses Films.

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