Debatte um Sozialstaat: Warum der Kern von Hartz IV bleiben sollte
Es stimmt, das System von Hartz IV ist nicht fehlerfrei. Aber man sollte sich auch daran erinnern: Das System davor war ein Desaster. Ein Kommentar.
Es wird behauptet, früher sei alles besser gewesen. Als es noch Arbeitslosenhilfe statt Hartz IV gab, sei es den Arbeitslosen gut gegangen. Die Menschen damals seien nicht verarmt, wenn sie sehr lange arbeitslos waren. Sie hätten in Ruhe und Würde eine neue Stelle suchen können.
Leider ist das nicht mehr als ein Mythos. Die Wirklichkeit der Jahre vor 2005 sah ganz anders aus. Fünf Millionen Menschen waren damals arbeitslos – viele ohne Aussicht, jemals wieder eine Stelle zu finden. Das damalige Regime war nicht nur teurer, es war auch zynischer.
Die Arbeitslosenhilfe ließ die Zahl der Langzeitarbeitslosen steigen
Bevor die Agenda 2010 in Kraft trat, war die Arbeitslosenhilfe für die meisten längst auf das Sozialhilfeniveau abgeschmolzen worden. Erdacht in den 50er Jahren als Instrument für eine kleine Schar Erwerbsloser, war die Arbeitslosenhilfe über die Jahre zu einer milliardenschweren Sozialleistung geworden.
Seit den 90er Jahren wurde sie deshalb immer weiter zurückgeschnitten. Vermögen oder das Einkommen des Ehepartners wurden ähnlich rigoros bewertet wie heute. Dennoch stieg die Langzeitarbeitslosigkeit über alle Konjunkturzyklen hinweg an.
Wer länger als ein Jahr ohne Arbeit war, hatte nahezu keine Aussichten mehr, eine neue Stelle zu bekommen. Schlimmer noch: Die Arbeitslosenhilfe selbst sorgte dafür, dass immer weniger Langzeitarbeitslose zurück in die Arbeitswelt fanden. Sie wurden ziemlich kühl aussortiert und vergessen. Das System der Jahre 1990 bis 2005 war arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitisch ein Desaster.
Kaum jemand behauptet, das Hartz-IV-System sei fehlerfrei. Es ist richtig, an den Fehlern zu arbeiten. Vielleicht ist es sogar gut, wenn man der Hilfe für Langzeitarbeitslose einen neuen Namen gibt und sie aus dem gesellschaftlichen Minenfeld führt. Doch die Kernelemente aufzugeben und zu den alten Methoden zurückzukehren, wäre nicht nur falsch.
Es wäre verantwortungslos und widerspräche allen Erkenntnissen der Arbeitsmarktforschung seit 2005. Wer sich für die Abschaffung von Hartz IV starkmacht, sollte sich das in Erinnerung rufen – statt darüber nachzudenken, Langzeitarbeitslosen dann und wann eine neue Waschmaschine zu spendieren.
Ursula Weidenfeld