Umfragehoch der Grünen: Warum der Hype diesmal bis zur nächsten Wahl dauern könnte
Vom One Hit Wonder zum Evergreen: Die Umfrageergebnisse der Grünen lassen sich in Stimmen umsetzen. Und das liegt nicht nur an Robert Habeck. Ein Gastbeitrag.
Im Bundestag stellen sie immer noch die kleinste Fraktion. Seit Wochen aber schneiden die Grünen in Wahlumfragen bundesweit sehr gut ab. In einigen Umfragen sogar ähnlich gut wie die Union. Das liegt auch an der Bedeutung des Klimathemas – der nächste Jahrhundertsommer innerhalb von zwei Jahren und Fridays for Future lassen grüßen – sowie der Stellung der Grünen im Parteiensystem als Anti-AfD.
Außerdem gibt es, wie in der Wirtschaft, auch in der öffentlichen Wahrnehmung von Parteien Konjunkturzyklen. Oppositionsparteien punkten normalerweise dann, wenn es nichts zu gewinnen gibt; also besonders wie derzeit eben, zur Mitte der Legislaturperiode.
Insbesondere die Grünen konnten sich schon oft als Halbzeit-Umfrageköniginnen feiern lassen, nur um dann bis zum nächsten Wahltag keine Stimmen daraus schlagen zu können. Stimmungen gewinnen eben keine Wahlen, vor allem wenn keine Wahlen anstehen. Und wie sieht es dieses Mal mit den Grünen aus? Plus ça change, also?
Sie haben „Sisterhood Potential“
Wir glauben, dass es sich lohnt, den Blick auf einige unbeachtete Aspekte zu lenken, warum der derzeitige Hype der Grünen sich bei der nächsten Wahl auch tatsächlich in Stimmen auf hohem Niveau umsetzen lassen könnte. Da ist zum einen das „Sisterhood Potential“ der Grünen. Die Partei vereint glaubhaft Personen und Inhalte und kann so von der Frauenschwäche der Konkurrenz profitieren. Angela Merkels Frauen-Bonus, auf den sie sich in den vergangenen Wahlen verlassen konnte, verblasst bereits deutlich. Bei der letzten Bundestagswahl hatte die CDU in absoluten Stimmen etwa 35 Prozent mehr Wählerinnen als Wähler.
[Die Autoren sind Politikwissenschaftler an der Universität Mannheim.]
Aktuelle Umfragen zeigen, dass sich das Geschlechterverhältnis der CDU von Unterstützerinnen einerseits und Unterstützern andererseits wieder deutlich in Richtung der Männer verschoben hat. Das überrascht nicht. Warum sollten moderne Frauen weiterhin die CDU unterstützen? Es ist schon richtig, keine andere Partei kann derzeit so viel weibliche Macht demonstrieren wie die CDU mit dem Trio Angela Merkel, Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer.
Den ehemaligen Unterstützerinnen von Merkel bleibt aber folgendes nicht verborgen: Angela Merkel tritt nicht wieder an, Ursula von der Leyen ist in Brüssel und der Feminismus von Annegret Kramp-Karrenbauer lädt sie nicht gerade zum Verweilen ein. Profitieren können davon vor allem die Grünen.
Die SPD ist abgehängt
Diese neuen Unterstützerinnen untermauern auch den zweiten Faktor für einen möglicherweise anhaltenden Erfolg der Grünen: die neu gewonnene Führungsposition der Grünen im links-liberalen Lager. Zum ersten Mal in der Geschichte der Meinungsforschung in der Bundesrepublik haben sich die Grünen in Umfragen – konsistent und bei allen relevanten Instituten – vor der SPD festgesetzt. Das haben die Grünen bei ihrem letzten Höhenflug 2011 nicht geschafft.
Bemerkenswert ist auch, wie lange dieser Führungswechsel nun schon anhält: seit mehr als 40 Wochen. In den Musikcharts wären die Grünen damit schon lange kein One Hit Wonder mehr. Als stärkste politische Kraft im links-liberalen Lager werden die Grünen für Wählerinnen und Wähler attraktiv, die normalerweise eher die politische Konkurrenz unterstützen und insbesondere die SPD gewählt haben. Denn mit einer Stimme für die Grünen wählt man nicht nur eine Partei aus diesem Lager, sondern unterstützt damit auch die Partei der möglichen nächsten Kanzlerin oder des nächsten Kanzlers.
Aus der Forschung wissen wir, dass Parteien, die glaubhafte Kandidierende für die Regierungsspitze stellen, attraktiver sind als Parteien, die keine entsprechenden Kandidierenden haben (weil sie keine aufstellen oder weil sie nicht glaubhaft sind). So bekommen die Führungsparteien der konkurrierenden politischen Lager noch einen zusätzlichen Stimmenbonus von Wählerinnen und Wählern, die neben einer Partei auch strategisch für oder gegen eine mögliche Regierungskoalition samt Kanzlerschaft stimmen.
Beispiel Baden-Württemberg
Zum Beispiel von FDP- oder SPD-nahen Wählerinnen und Wählern, die beispielsweise nicht Annegret Kramp-Karrenbauer als Kanzlerin in einer Deutschlandkoalition wollen. Diese müssten dann schon für die Grünen stimmen. Die Kombination, dass eine Stimme für die stärkste Partei im präferierten Lager gleichzeitig Auswirkungen auf eine mögliche Regierungskoalition samt Kanzlerschaft hat, führt selbst bei Parlamentswahlen mit Verhältniswahlsystem zu Konzentrationseffekten, von denen die stärksten Parteien der politischen Lager regelmäßig profitieren.
In Deutschland sieht man diesen Effekt etwa am Aufstieg der Grünen in Baden-Württemberg. Vor der Wahl 2011 war die Führungsposition im links-liberalen Lager umkämpft zwischen SPD und den Grünen mit jeweils eigenen Spitzenkandidaten. Die Grünen waren bei der Wahl 2011 aber etwas erfolgreicher als die SPD.
Nach der Wahl änderte sich nur die Tatsache, dass von nun an der bisher einzige grüne Ministerpräsident regiert. In Kombination von zweifelsfrei populärem Kandidaten und dem Amt wurde die Führungsposition der Grünen glaubhaft ausgebaut und die Partei hängte seither die SPD in den Umfragen klar ab. Diesen Bonus als Führungspartei des links-liberalen Lagers, den die Grünen momentan einstreichen, können sie natürlich wieder leicht verspielen, etwa wenn sie die damit einhergehenden neuen Herausforderungen nicht ernsthaft annehmen.
Gerade eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihrer zugewachsenen neuen Rolle als Führungskraft im links-liberalen Lager muss dazu führen, dass die Grünen die K-Frage klären und diese nicht leichtfertig als ritualisierte Politik abtun. Wenn die Grünen ihre neue Rolle allerdings glaubhaft annehmen, dann spricht aus unserer Sicht viel dafür, dass sich der derzeitige Hype der Grünen bei der nächsten Wahl wirklich auf hohem Niveau in Stimmen umsetzen lassen kann.
Thomas Gschwend, Marcel Neunhoeffer, Marie-Lou Sohnius