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Muss jetzt vor dem Untersuchungsausschuss aussagen: Heinz-Christian Strache, ehemaliger FPÖ-Parteivorsitzender.
© Herbert Neubauer/APA/dpa

Parlament untersucht Strache-Skandal: Warum das Ibiza-Video noch immer die österreichische Politik beschäftigt

Was wusste Kanzler Kurz? Was ist dran an Straches Behauptungen über ein Korruptionssystem? Der Ibiza-Untersuchungsausschuss hat Sprengkraft.

Zwölf Stunden, 32 Minuten, 38 Sekunden – es ist der wohl längste Polit-Thriller aller Zeiten, den die österreichischen Ermittler der Soko „Tape“ Ende April auf einer Speicherkarte gefunden haben, nach fast einem Jahr Suche.

Die Dateien enthalten neben allerlei Bonusmaterial die Uncut-Version des Videos von jenem berühmten Abend auf einer Finca auf Ibiza. Darin wollte der Rechtspopulist und damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache die halbe Republik an eine Frau verschachern wollte, die sich als reiche Russin ausgab.

Am 17. Mai 2019 tauchte ein Zusammenschnitt als „Ibiza-Video“ in den Medien auf und löste einen der größten politischen Skandale der europäischen Nachkriegsgeschichte aus. 

Tags darauf trat Vizekanzler Heinz-Christian Strache unter Tränen zurück, nur Stunden später beendete Bundeskanzler Sebastian Kurz die umstrittene Koalition seiner ÖVP mit den Rechtsaußen der FPÖ vorzeitig.

„So sind wir nicht, so ist Österreich einfach nicht“

„So sind wir nicht, so ist Österreich einfach nicht“, sagte der grüne Bundespräsident Alexander Van der Bellen damals. Ein Urteil, das nun auf dem Prüfstand steht.

Am Donnerstag startet der parlamentarische Untersuchungsausschuss zur Ibiza-Affäre, bei dem ein Who’s who der österreichischen Politik auflaufen wird: Zuerst Hauptdarsteller Heinz-Christian Strache und sein damaliger Adlatus Johann Gudenus, am 24. Juni Bundeskanzler Sebastian Kurz, dazu Dutzende ehemalige und aktuelle Minister und Staatssekretäre. Die Befragungen haben noch nicht angefangen, der politische Streit ist schon in vollem Gange.

Wurden Ermittlungen verzögert?

Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses werfen dem Innenministerium Verzögerung vor, weil die Soko „Tape“ das Material fast sechs Wochen nach dem Fund noch immer nicht an die Justiz weitergeleitet hat.

Ein zuständiger Staatsanwalt hat vom Fahndungserfolg erst aus den Medien erfahren. „Das ist absurd und rechtswidrig“, sagt die Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper dem Tagesspiegel. Die Hoffnung, das vollständige Video noch vor der ersten Sitzung am Donnerstag sichten zu können, hat sie aufgegeben.

Politik und Wirtschaft sind teils untrennbar verfilzt

Grünen-Abgeordnete Nina Tomaselli vermutet ein „Ablenkungsmanöver“, das die großen Fragen in den Hintergrund drängen soll.

Der Ausschuss, offiziell „Untersuchungsausschuss betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung“, wird sich mit altbekannten Problemen in Österreich beschäftigen, allen voran dem Postenschacher: Seit dem zweiten Weltkrieg haben ÖVP und SPÖ das Land nach Parteibuch aufgeteilt, Politik und Wirtschaft sind teils untrennbar verfilzt, vor allem in den staatsnahen Betrieben. Die Regierung aus Kurz’ ÖVP und Straches FPÖ, so der Verdacht, hat da keine Ausnahme gemacht.

Aber nun stürzen sich die Medien wieder auf die bunten Geschichten rund um die Hintermänner – und auf den Lockvogel. „Bist du deppert, ist die schoaf!“, hatte Heinz-Christian Strache auf der Finca über die angebliche Oligarchennichte geschwärmt.

Seit vergangenen Montag kann der Boulevard endlich Bilder von „Alyona Makarov“ abdrucken, Fahndungsfotos, herausgegeben von der Soko „Tape“. Das Gratisblatt „Österreich“ ließ einen privaten Ermittler mutmaßen, die Frau sei vielleicht bereits tot.

Seinen Rückzug hat Strache schnell rückgängig gemacht

Ein weiterer Garant für Geschichten: Strache selbst, der seinen Rückzug aus der Politik im Oktober 2019 schnell rückgängig gemacht hatte. Von seinen einstigen Weggefährten um Herbert Kickl im Dezember 2019 aus der Partei geschmissen, verkündete er drei Monate später als Spitzenkandidat für die Wien-Wahl sein Comeback mit dem „Team HC Strache“.

Umfragen zufolge kann er zwar nicht mit dem Bürgermeistersessel rechnen, aber durchaus mit einem Sitz im Gemeinderat. Auch dank einer Resozialisierung im Eilverfahren: Zum Jahrestag der Ibiza-Affäre posierte er mit Frau Philippa für eine Homestory in der „Kronen“-Zeitung, die er auf Ibiza noch „Zack, Zack, Zack“ auf Linie bringen wollte.

Der öffentliche-rechtliche „ORF“ ließ den Ex-Vizekanzler von kritischen Fragen unbehelligt über seinen Offenbarungseid plaudern, den er neuerdings nicht mehr als „bsoffene Geschicht’“ bezeichnet, sondern als „nichtphilosophischen Abend“.

Kann man in Österreich Macht und Einfluss kaufen?

Eine Formulierung, die den Verdacht trifft, dem der Ibiza-Untersuchungsausschuss nachgehen will: Hat Strache nicht nur angeschickert geprahlt, sondern nüchtern dargelegt, wie sich reiche Leute in Österreich Macht und Einfluss kaufen können? Indizien finden sich schon im bekannten Teil des Ibiza-Videos zur Genüge, detailliert beschrieb Strache etwa, wie sich am Rechnungshof vorbei Gelder an Parteien schleusen lassen. Besonders ein Satz ließ aufhorchen: „Novomatic zahlt alle.“

Der Glücksspielkonzern pflegt außergewöhnlich gute Beziehungen in die Politik, mittlerweile hat sich der Verdacht erhärtet, dass die Novomatic im Gegenzug für die Bestellung eines FPÖ-Mannes zum Vorstand der staatsnahen Casinos AG neue Lizenzen erhalten hat.

Auch der ÖVP-Finanzminister Hartwig Löger soll in den Deal involviert gewesen sein. Entsprechende Hinweise fanden Ermittler auf dem Handy von Strache, offenbar eine wahre Goldgrube: Erst am Wochenende wurde ein neuer Korruptionsverdacht öffentlich. Archivierte Chats legen nahe, dass Strache einem Klinikbetreiber und FPÖ-Spender Zugriff auf einen Finanzierungsfonds verschafft hat.

Regierungschef damals wie heute: Sebastian Kurz. Noch führt keine direkte Verbindung vom Kanzleramt nach Ibiza, aber Kurz wird sich fragen lassen müssen, was er wusste vom Postenschacher in seinem Kabinett. Und ob der „neue Stil“, den er den Wählern versprochen hat, wirklich neu war – oder das alte Österreich.

Christian Bartlau

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