Experten warnen: Warum das Homeoffice zur Falle werden kann
Ist es wirklich erstrebenswert, im Homeoffice zu arbeiten? Längst nicht für alle Beschäftigten, sagen Wissenschaftler und Psychologen.
Es klingt nach einer schönen Idee: Jeder, der möchte, soll künftig von zu Hause arbeiten dürfen. Zumindest, wenn es nach der SPD geht. Rund 40 Prozent der Beschäftigten sollen davon profitieren, mehr Zeit für die Familie haben, zufriedener sein. Aber was bedeutet es genau, im Homeoffice zu arbeiten?
Erst einmal mehr Verantwortung, sagt Oliver Stettes. Der Ökonom beschäftigt sich am Institut der Deutschen Wirtschaft Köln mit der Entwicklung der Arbeitswelt. Im Homeoffice würden die Angestellten ihre Zeit sehr flexibel planen können. „Doch nicht jede Person kann mit dieser Souveränität über die eigene Zeit umgehen“, sagt er. Wer von zu Hause arbeite, spüre häufig einen höheren Druck, erreichbar zu sein und besonders gute Arbeit zu leisten. „Niemand kann nachvollziehen, wie sehr ich mich angestrengt habe, wenn das Ergebnis nicht überzeugt.“
Außerdem wolle nicht jeder die Grenze zwischen Privatleben und Job verwischen. „Ein Anruf aus der Firma kann das gemeinsame Lernen mit dem Sohn unterbrechen, genauso wie ein schreiendes Baby eine Telefonkonferenz stören kann.“ Um solche Konflikte zu vermeiden, würden Forschungen zufolge etwa zwei Drittel der Beschäftigten freiwillig auf die Arbeit im Homeoffice verzichten.
Beschäftigte sollten Entscheidung gut abwägen
„Besonders hart trifft es diejenigen, die in der Rushhour ihres Lebens stecken und sich um Kinder sowie pflegebedürftige Eltern kümmern müssen“, sagt Arbeitspsychologe Karl-Heinz Sonntag von der Universität Heidelberg. Von zu Hause zu arbeiten, gestalte sich dann sehr schwierig. Sonntag empfiehlt deshalb sorgfältig abzuwägen, ob das Homeoffice tatsächlich eine gute Alternative zur Arbeit im Büro darstellt. „Im häuslichen Kontext gibt es zusätzliche Belastungsmomente – durch den Ehepartner, die Kinder, die Eltern.“
Der demografische Wandel spiele beim Homeoffice eine ebenso große Rolle wie die Digitalisierung, sagt er. Anstatt vom Büroalltag entlastet zu werden, könnten diese Faktoren zu mehr Stress führen. „Als junge Mutter oder junger Vater kann es auch mal ganz schön sein, zu Hause rauszukommen und ins Büro zu gehen“, sagt Sonntag. Anstatt berufstätige Eltern zu entlasten, kann das Homeoffice mitunter zu mehr Problemen führen.
Aber auch, wenn zu Hause keine Familie versorgt werden will, kann das Modell zur Belastung werden. Etwa, wenn man sich selbst keine Pause vom Arbeiten gönnt. „Es ist wichtig, selbstständig für Erholung zu sorgen, um sich nicht zu viel zuzumuten“, sagt Tim Vahle-Hinz, Arbeitspsychologe an der HU Berlin. Ansonsten wirke sich die Heimarbeit negativ auf die Gesundheit aus.
Gefahr auch für das Betriebsklima
Es komme aber auf die Arbeitssituation an. „Hat man das Gefühl, immer sehr schnell auf E-Mails reagieren zu müssen, damit nicht der Eindruck entsteht, man sei faul, ist das Homeoffice eher mit Stress verbunden und ungesund.“ Auch Oliver Stettes empfiehlt, mit dem Chef klare Kommunikationsregeln aufzustellen, damit dieser keine E-Mails um 23 Uhr verschickt und erwartet, sofort eine Antwort zu bekommen.
Nicht nur auf Seiten des Arbeitnehmers kann das Homeoffice negative Effekte haben. „Jetzt kann sich ein Unternehmen ein optimales Setting für die Beschäftigung aussuchen, mit dem Recht auf Homeoffice wäre das anders“, sagt Stettes. Abteilungen, in denen es darauf ankommt, dass ein Team von Mitarbeitern vor Ort zusammenarbeitet, würden dadurch gestört, dass sich einzelne Personen ausgliedern.
Das Betriebsklima sieht Stettes ebenfalls gefährdet. „Es gebe dann die Privilegierten, die von zu Hause arbeiten dürfen, und die anderen.“ Innerhalb der Belegschaft könne sich eine Spaltung ergeben, etwa zwischen Fließbandarbeitern und Büroangestellten. Nicht jeder Job lässt sich schließlich an einen anderen Ort verlegen.
Auch Felix Hartmann, Arbeitsrechtler an der FU Berlin, sieht den Homeoffice-Plan der SPD als Eingriff in die Rechte der Arbeitgeber. „Unternehmen müssen vorgeben können, in welcher Form sie mit dem Angestellten zusammenarbeiten wollen.“ Diese Freiheit sei vom Grundgesetz geschützt. Dazu gebe es arbeitszeitrechtliche Probleme, weil der Arbeitgeber nicht kontrollieren könne, ob sich der Mitarbeiter im Homeoffice an die vorgegebene Arbeitszeit hält.
Ina Bullwinkel
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