Frankreichs Präsident Hollande: Warten auf Steinbrück
Frankreichs Präsident Hollande hat in einem Jahr nicht viel erreicht. Die Steueraffäre seines Ex-Haushaltsministers und die sinkende Wirtschaft belasten ihn umso mehr. Nun hofft er auf neue Partner in Berlin nach der Bundestagswahl.
Noch nie wurde ein Präsident im ersten Jahr seiner Amtszeit so viel kritisiert, belächelt und beschimpft wie François Hollande. Nicht einmal sein Vorgänger Nicolas Sarkozy. Ein Jahr nach seiner Wahl am 6. Mai 2012 ist Hollandes Image stark angeschlagen. In der Presse finden sich Schmähungen wie „ Monsieur Unpopulär“ oder „Monsieur Schwächling“. Am Sonntag demonstrierten allein in Paris Zehntausende, aufgerufen von der linken Opposition, gegen den Staatschef. Doch der Sozialist lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Auf die Frage, wie er es schafft, alles an sich abprallen zu lassen, sagt er einfach : „Wenn ich nur auf die Kritik hören würde, käme ich nicht voran.“
Die Enttäuschung ist wohl auch deshalb groß, weil die Erwartungen so hoch waren, dass Hollande alles besser macht als Sarkozy. Laut Umfragen sind nur noch 26 Prozent der Franzosen mit ihrem Präsidenten zufrieden, kurz nach der Wahl waren es 61 Prozent. Ihm wird vor allem vorgeworfen, dass er nicht genug durchgreift. Gemessen wird Hollande an konkreten Zahlen. Und die sehen schlecht aus. Seine Versprechen einer Trendwende auf dem Arbeitsmarkt und einer Reduzierung der Staatsschulden hat er bisher nicht eingelöst. Frankreich verfehlt die Sparziele, das Wachstum ist gleich null, die Wirtschaft schwächelt, der Vertrauensverlust ist groß.
Dazu kam der Skandal um ein illegales Auslandskonto von Ex-Haushaltsminister Jérôme Cahuzac, der die Wirtschaftskrise um eine moralische Dimension verschärfte. Ausgerechnet der Haushaltsminister, der auf Sparen setzte und die Steuerflucht bekämpfen sollte, wurde beim Steuerschwindel ertappt. Dabei wollte Hollande sich von den Korruptionsaffären seiner Vorgänger absetzen und hatte eine untadelige Regierung angekündigt.
Zu seinem ersten Jahrestag bekam Hollande auch noch Gegenwind aus Brüssel. Die EU senkte die Wachstumsprognose für Frankreich für das laufende und kommende Jahr. Danach geht die Wirtschaftskraft der zweitgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone in diesem Jahr um 0,1 Prozent zurück, bevor sie 2014 um 1,1 Prozent steigen soll. Noch im Februar war die EU-Kommission davon ausgegangen, dass Frankreichs Wirtschaft 2013 um 0,1 Prozent steigt, 2014 um 1,2 Prozent. Die EU betrachtet Hollandes Erwartungen als zu optimistisch. Dabei hatte die französische Regierung die Wachstumsprognose für dieses Jahr schon von ursprünglich 0,8 auf 0,1 Prozent gesenkt.
Frankreich verstößt in diesem und im kommenden Jahr auch gegen die EU-Defizitlinie der Neuverschuldung von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Die Kommission rechnet mit Defiziten von 3,9 und 4,2 Prozent. Paris dagegen hatte versprochen, dass das Defizit im kommenden Jahr auf 2,9 Prozent sinken soll. Auch die Prognosen der Gesamtverschuldung, die Frankreich abgegeben hat, hält Brüssel für zu optimistisch. Frankreich erwartet einen Anstieg des Schuldenstandes von 90,2 Prozent Ende 2012 auf 94,3 Prozent für das kommende Jahr, Brüssel dagegen hält gar 96,2 Prozent für wahrscheinlich. Deshalb soll Frankreich mehr Zeit zum Sparen bekommen.
Nicht nur die Staatsfinanzen, auch Frankreichs Arbeitslosenzahlen sind katastrophal. Die Arbeitslosenquote liegt bei 10,6 Prozent, über drei Millionen Menschen sind arbeitslos. Das ist ein historischer Höchststand. Hollande will den Anstieg ab Ende dieses Jahres stoppen. Doch die EU sieht auch hier schwarz und rechnet mit einer weiteren Zunahme auf 10,9 Prozent im Jahr 2014. Die im Wahlkampf versprochene Reichensteuer von 75 Prozent konnte Hollande nicht durchsetzen, der Verfassungsrat sprach sich dagegen aus. Um schnell Geld in die Staatskasse zu bekommen, wurden deshalb Konzerne und Arbeitnehmer mit höheren Abgaben belastet. Der Präsident wird kaum noch behaupten können, dass er nur den Reichen Geld abgenommen hat.
Weltweit werden Reformen von Frankreich gefordert. Aber Hollande schreckt vor einem strikten Sparkurs zurück, um seine linken Wähler nicht vor den Kopf zu stoßen. Er spricht von einem „Werkzeugkasten“, was genau den Charakter der zahlreichen kleinen Reformen trifft. Die Schuld für den Niedergang Frankreichs ist sicher auch bei den Vorgängerregierungen zu suchen, die ebenfalls die notwendigen Reformen versäumten. Hollandes Handlungsspielraum war angesichts der leeren Kassen nicht groß. Er hat selbst schon zugegeben, dass es schwieriger ist, als er sich vorgestellt hatte.
Doch mit größeren Reformen ist vor der Wahl in Deutschland sicher nicht zu rechnen. Hollande wartet auf bessere Zeiten und unterstützt SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück im Wahlkampf, von dem er eine Abmilderung des Spardiktates erhofft. Bei den Sozialdemokraten in Deutschland ist jedoch die Euphorie verflogen, die noch bei der Wahl Hollandes vor einem Jahr vorherrschte. Sie befürchten, mit seiner schwachen Wirtschaftsbilanz in Verbindung gebracht zu werden. In der Zwischenzeit gibt sich Hollande trotz aller schlechten Vorzeichen überzeugt, dass seine Politik wirken wird. Am Ende seiner Amtszeit werde Frankreich erneut „einflussreich und mächtig“ sein, sagt er. Mit dieser Zuversicht wehrt er Forderungen nach tiefgreifenden Reformen ab.
Tanja Kuchenbecker