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Eine Pflegerin schiebt eine ältere Frau im Rollstuhl durch einen Flur in einem Seniorenzentrum.
© Christophe Gateau / dpa

Mehr Anerkennung für soziale Arbeit: Warme Worte allein genügen nicht

Noch immer gibt es zu wenig Anerkennung für soziale Arbeit. Das muss sich ändern - auch mit Blick auf die Frauen in diesen Berufen. Eine Kolumne.

Tagesspiegel-Kolumnistin Hatice Akyün.
Eine Kolumne von Hatice Akyün

Wäre ich bei einer Zeitung fest angestellt, bekäme ich als Berufsanfängerin nach Tarif 3395 Euro Gehalt. Hätte ich mich allerdings für den Beruf der Pflegerin oder Erzieherin entschieden, wären es etwa 1000 Euro weniger. Ich denke darüber nach, weil Gesundheitsminister Jens Spahn den Mindestlohn für Pflegekräfte auf 14 Euro erhöhen möchte. Er sagte: „Gerade in der Altenpflege verdienen Zigtausende zum Teil deutlich weniger als diese 2 500 Euro.“ Das erklärt dann auch, warum laut Bundesagentur für Arbeit knapp 40 000 Stellen in der Alten- und Krankenpflege und noch mal 100.000 Stellen in der Kinderbetreuung unbesetzt sind.

Jetzt frage ich mich also, warum jemand, der sich tagtäglich um Menschen kümmert, deutlich weniger verdient als jemand, der vor dem Computer sitzt und Buchstaben aneinander reiht? JournalistInnen, MaklerInnen, BankerInnen, VersicherungsvertreterInnen, ManagerInnen und PolitikerInnen – sie alle werden besser bezahlt, als PflegerInnen und ErzieherInnen. Dabei sind sie es, die den humaneren Wert für die Gesellschaft erarbeiten.

Diese Menschen ermöglichen meinen Eltern im Pflegeheim einen würdigen Lebensabend, versorgen meinen Partner im Krankenhaus und erziehen mein Kind in der Kita, wodurch ich erst meinem Beruf als Journalistin nachgehen kann. PflegerIn und ErzieherIn wird man nicht wegen des Geldes, sondern aus Überzeugung. Umso wichtiger ist es, ihre Arbeitsleistung nicht nur mit warmen Worten zu würdigen, sondern auch mit deutlich mehr Gehalt.

Und noch etwas hat sich seit Jahrzehnten nicht geändert. Noch immer sind es überwiegend Frauen, die in sozialen Berufen arbeiten. Gehen Sie in eine Kita, gehen Sie in ein Krankenhaus oder in ein Altenpflegeheim. Überall, wo Menschen direkt für Menschen da sind, sind es Frauen, die diese Arbeit trotz mieser Bezahlung machen.

Das erinnert mich an mein allererstes Bewerbungsgespräch. Der Chef fragte mich, was ich mir an Gehalt vorstellen würde. Ich sagte ziemlich direkt: 4000 Euro. Er erwiderte: „Für das Geld kann ich auch einen Mann einstellen.“ Damals sagte ich nichts und ließ mich auf 3000 Euro runterhandeln. Heute würde ich antworten: „Dann viel Erfolg bei der Suche!“ Diese Erfahrung machte ich übrigens vor etwa 20 Jahren, aber in der Ungleichheit bei der Bezahlung hat sich nichts geändert.

Hierarchien bei der Bezahlung durchbrechen

Der Tarif macht keinen Unterschied zwischen Mann und Frau, aber dafür ist das Einkommensgefälle zu sozialen Berufen umso größer. Vielleicht liegt die schlechte Bezahlung aber auch daran, dass die Wertschätzung für soziale Arbeit in den 1960er-Jahren hängen geblieben ist – also nicht viel wert ist. Was mich an das alte Lied von Johanna von Koczian erinnert: „Das bisschen Haushalt macht sich von allein, sagt mein Mann.“

In der Marktwirtschaft heißt es doch immer, dass die Nachfrage den Preis bestimme. Nach dieser Regel müssten Fachkräfte in sozialen Berufen viel mehr verdienen. Gleichzeitig gibt es viel zu viele inkompetente Politiker oder Bankmanager, die auch noch viel mehr verdienen. Erst, wenn es ein politisches und gesellschaftliches Umdenken bei der Anerkennung sozialer Arbeit gibt, wird es überhaupt möglich sein, diese Hierarchien bei der Bezahlung zu durchbrechen. Und erst wenn es ein verbrieftes Recht auf mehr Geld gibt, wird es irgendwann wirkliche Gerechtigkeit geben.

Wenn ich als Journalistin heute ausfallen würde, könnten Sie einige Zeit meine Kolumnen nicht mehr lesen. Wenn im Krankenhaus oder Altenheim PflegerInnen fehlen, dann sind Menschenleben in Gefahr.

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