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Oft reicht ein Klick nicht aus, um Lügen wieder aus der Welt zu schaffen.
© Franziska Gabbert/dpa-tmn

Debatte über Fake News: Wahr, falsch? Bullshit!

Lügen werden immer mehr zum Bestandteil des politischen Diskurses. Das gefährdet unsere Demokratie. Aber man kann etwas dagegen tun. Ein Gastkommentar.

Am vergangenen Dienstag schaltete sich US-Präsident Donald Trump via Twitter in den aktuellen Asylstreit in Deutschland ein: Die Kriminalität in Deutschland sei um zehn Prozent gestiegen, seit Migranten „akzeptiert“ würden. Er deutete an, dass deutsche Behörden diese Zahlen nicht melden würden – womit er automatisch die Antwort auf Widerspruch liefert. Auf welcher Grundlage er diese Aussage getroffen hat, bleibt unklar. Die polizeiliche Kriminalstatistik gibt für das Jahr 2015, als die Einwanderungszahlen ihren Höhepunkt erreichten, rund 5,93 Millionen Straftaten an. Ungefähr die gleiche Menge wie 2014. 2016 und 2017 ist diese Zahl gesunken. Warum also ein solcher Tweet? Die Antwort findet sich im letzten Satz seines Tweets „Be smart America!“ Trump stellt eine Kausalität zwischen Einwanderung und Kriminalität her, die sich aus den vorliegenden Daten zwar nicht ableiten lässt, aber sein politisches Vorhaben, die Möglichkeiten der Einwanderung massiv einzuschränken, unterstützt.

War Trumps Tweet eine Lüge – oder mehr?

Lügen in der Politik sind kein neues Phänomen. Es finden sich Beispiele in der älteren und neueren Vergangenheit. Uwe Barschel gab öffentlich sein „Ehrenwort“ um zu versichern, dass er keine Schmierkampagne gegen seinen Rivalen plante – und trat nur eine Woche später zurück, nachdem sein Medienberater die Vorwürfe und Barschels Verwicklung zugab. Die Ceausescu-Regierung in Rumänien fälschte sogar Wetterberichte, um der Bevölkerung weiszumachen, dass sie nicht frieren würde.

Wenn jeder Fakt nur noch eine Meinung ist

Aber diese Lügner wussten, dass ihre Lügen enttarnt wären, sobald bestimmte Fakten öffentlich würden. Lügner akzeptieren eine bestimmte Definition von Wahrheit und Fakten als Grundlage des demokratischen Diskurses. Man kann mehr oder weniger alles behaupten, aber wenn jemand Beweise dagegen präsentiert, verliert man an Überzeugungskraft. Dieses gemeinsame Verständnis davon, was Fakten sind und was nicht, bildet die Basis für Debatten trotz unterschiedlicher politischer Einstellungen. In jüngster Zeit beobachten wir aber immer häufiger, dass Fakten ihre Bedeutung als Diskussionsgrundlage verloren haben. Stattdessen sind sie zu einem Werkzeug geworden, das sich flexibel anwenden lässt, um Weltanschauungen zu begründen. Was bedeutet es für die politische Kultur, wenn Zahlen und Daten keine Grundlage mehr zur Begründung von Maßnahmen darstellen?

Ein Beispiel ist ein Foto, das die AfD für einen Flyer zum Thema innere Sicherheit in Deutschland verwendete. Das Bild entstand während Ausschreitungen in Athen und zeigt einen Demonstranten, der mit einem Stock zum Schlag auf einen am Boden liegenden Polizisten ausholt. Das Bild wurde bearbeitet, und der Demonstrant bekam ein großes Antifa-Logo auf den Rücken. Auf die Fälschung angesprochen, behauptete ein Sprecher der AfD, dass die Bearbeitung des Fotos nichts daran ändern würde, dass sich die Sicherheitslage in Deutschland verschlechtere und dass offensichtlich sei, wer den Anstieg der Gewalt verantworte. Der Informations- und Wahrheitsgehalt des Bildes war für die AfD irrelevant. Es diente einem politischen Zweck und nicht als Diskussionsgrundlage.

Nichts sehen, nichts hören - nur fühlen

Der Philosophieprofessor Harry Frankfurt nennt so etwas Bullshit. Die Lüge kann mit Fakten widerlegt werden, wodurch der Lügner gezwungen wird, seine Aussagen anzupassen oder zurückzuziehen. Der Bullshit blendet unwillkommene Fakten hingegen einfach aus: Was die Botschaft bekräftigt, ist wahr, was ihr zuwiderläuft, ist falsch. Der Wahrheitsgehalt spielt keine Rolle mehr, politische Debatten verlieren ihre empirische Basis. Stattdessen beruhen sie nur noch auf Weltanschauungen, Gefühlen und Werten. Über die lässt sich dann allerdings kaum streiten, da sie grundsätzlich weder wahr noch falsch sind.

Es fehlen die Gatekeeper und Meinungsführer

Oft reicht ein Klick nicht aus, um Lügen wieder aus der Welt zu schaffen.
Oft reicht ein Klick nicht aus, um Lügen wieder aus der Welt zu schaffen.
© Franziska Gabbert/dpa-tmn

In modernen, repräsentativen Demokratien finden Diskurse und Debatten öffentlich statt. Aber die Öffentlichkeit selbst hat sich in den vergangenen Jahrzehnten immens verändert. Neue Technologien lassen jeden zum Prosumer (Produzent und Konsument von Nachrichten) werden, und soziale Medien bieten unzählige Echokammern, in die man sich zurückziehen kann. Es fehlen die Gatekeeper und Meinungsführer, die Debatten strukturieren.

In den USA galt der Nachrichtensprecher Walter Cronkite über viele Jahre als der vertrauenswürdigste Mann der Nation. Als er 1968 nach einer Reise durch Vietnam in einem Editorial Kritik an dem US-Einsatz äußerte, sagte der ansonsten unerschütterliche Präsident Lyndon Johnson: „Wenn ich Walter verloren habe, habe ich die Mitte Amerikas verloren.“ Cronkites Bericht wurde als sehr persönlich gewertet. Heute würde man ihm wohl „Fake News“ vorwerfen.

Wo sind die Meinungshüter?

Im deutschen Nachrichtenfernsehen werden Politiker immer wieder mit Fakten konfrontiert, die deren Aussagen konterkarieren. 2010 gab beispielsweise der damalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Stefan Mappus, der ZDF-Moderatorin Marietta Slomka ein Interview, in dem er die Polizeieinsätze im Zuge der Proteste gegen das Bauprojekt Stuttgart 21 rechtfertigte. Slomka konterte, dass es auch verletzte Kinder und Senioren gab, während umgekehrt das Innenministerium zugeben musste, dass die Wurfgeschosse der Demonstranten Kastanien gewesen seien. Sie holte Mappus damit auf den Boden der Tatsachen zurück, den er zuvor verlassen hatte, um seine politische Agenda voranzutreiben.

Solche Diskursordner verlieren an Einfluss. Ihre Autorität entspringt dem Vertrauen, das das Publikum ihnen schenkt. Wenn aber die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge immer mehr verschwimmen, wird auch dieses Vertrauen immer geringer. Im Internet lassen sich innerhalb von Sekunden vermeintliche Beweise gegen jede Nachrichtenmeldung und jedes politische Statement finden. Die schiere Masse an Informationen macht es immer schwieriger zu entscheiden, was wahr und was falsch ist. Diese Entscheidung wird mittlerweile weniger von Fakten bestimmt und umso mehr von der eigenen Einstellung.

Wir brauchen gemeinsame Diskussionsgrundlagen

Sobald wir aber keinen gemeinsamen Standard mehr dafür haben, welche Fakten wir als wahr akzeptieren und welche nicht, verlieren wir die Grundlage für einen offenen Dialog mit unseren politischen Gegnern. Wenn unsere Sichtweisen und Werte sich unterscheiden, brauchen wir ein gemeinsames Verständnis davon, was wir als gegeben akzeptieren. Wenn dieses Verständnis fehlt, gibt es nichts zu diskutieren, sondern nur unterschiedliche politische Ansprüche.

Der Bullshit wird nicht verschwinden, weil er an tief verwurzelte Werte und Meinungen anknüpft. Deshalb müssen Fachleute, Experten und Journalisten mehr Ressourcen darauf verwenden, den Bullshit und seine Beliebigkeit zu entlarven und dabei möglichst faktenbasiert argumentieren. Auf lange Sicht müssen wir die Fähigkeit entwickeln, die verfügbaren Informationen zu bewerten und Bullshit zu erkennen. Wir müssen ihm mit Fakten-Checks, Debatten und auch Streit begegnen. Je weniger Widerstand ihm entgegenschlägt, umso mächtiger wird er.

Die Autorin ist Professorin für Communication in Politics and Civil Society an der Hertie School of Governance in Berlin.

Andrea Römmele

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