Türkische Präsidentschaftswahl in Deutschland: Wahlauftakt mit Hindernissen
Die Auslandstürken können ab Donnerstag ihre Stimme für die Präsidentschaftswahl abgeben. Klarer Favorit ist Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Und der will offenbar alles unter seine Kontrolle bringen.
In Deutschland und anderen europäischen Ländern läuft die erste Direktwahl eines türkischen Präsidenten an: Von diesem Donnerstag an können insgesamt rund 2,7 Millionen türkische Auslandswähler an die Urnen gehen. Abgestimmt wird in insgesamt 54 Ländern; allein in der Bundesrepublik leben 1,4 Millionen türkische Wähler. Das Berliner Olympiastadion und andere Arenen werden zu gigantischen Wahllokalen umfunktioniert. Zum ersten Mal können Auslandstürken wählen, ohne persönlich in die Türkei zu reisen. Doch beim Wahlauftakt gibt es Probleme.
Wie türkische Medien am Mittwoch meldeten, haben sich nur wenige Wähler im Ausland einen Termin für die Stimmabgabe zwischen dem 31. Juli und dem 3. August geben lassen. Die Terminvergabe hatte den Sinn, einen unkontrollierten Massenandrang von Wählern an den Wahllokalen zu vermeiden. Nach einem Bericht der Zeitung "Hürriyet" haben in Deutschland nur 92.000 Wähler einen Termin. In Österreich sind es nur 6600 von mehr als 100.000 Wählern. Offenbar hätten viele von der Terminvergabe nichts gewusst, berichtete das Blatt.
Für die Mehrzahl der Wähler ermittelte die türkische Wahlbehörde YSK deshalb einen Stimmabgabe-Termin nach dem Zufallsprinzip. Den einzuhalten, dürfte für einige aber schwierig werden. Der für die Auslandstürken zuständige Vizepremier Emrullah Isler erinnerte die Wähler in Europa vorsorglich daran, dass sie wie gewohnt auch an allen Grenzübergangsstellen der Türkei bis zum 10. August abstimmen könnten. An den Grenzen sind die Urnen bereits seit der vergangenen Woche geöffnet.
Unter dem Strich könnte die Wahlbeteiligung der Auslandstürken wegen der Probleme mit der Terminvergabe niedrig ausfallen. Die YSK ging bisher von einer Wahlbeteiligung von 30 bis 35 Prozent bei den Auslandstürken aus. Bei früheren Wahlen, bei denen es keine Stimmabgabe an den jeweiligen Wohnorten gab, lag die Beteiligung der Auslandswähler bei nur fünf Prozent.
Erdogan ist haushoher Favorit
Der haushohe Favorit für die Wahl, Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, hatte ebenso wie einige Oppositionspolitiker in den vergangenen Monaten in Deutschland und anderen europäischen Ländern um Stimmen geworben. In den Umfragen liegt Erdogan bei bis zu 55 Prozent, was ihm den Sieg im ersten Wahlgang sichern würde. Bleibt Erdogan unter 50 Prozent, muss er sich am 24. August einer Stichwahl stellen.
Erdogans wichtigster Herausforderer, Ekmeleddin Ihsanoglu, liegt knapp unter 40 Prozent. Auf den Kurdenkandidaten Selahattin Demirtas entfallen je nach Unfrage sechs bis acht Prozent. Insbesondere die Entwicklung bei Demirtas wird in der Türkei aufmerksam verfolgt: Sollte der Kurdenkandidat mehr als zehn Prozent der Stimmen auf sich vereinigen, könnte dies einen Sieg Erdogans in der ersten Runde verhindern. Demirtas versucht, über das Potenzial der Kurden hinaus regierungskritische Wähler anzusprechen.
Erdogan hat angekündigt, als Präsident das Land regieren zu wollen – bisher hatte das Präsidentenamt vor allem repräsentative Funktionen. Doch Erdogan will als Staatschef die Kabinettssitzungen leiten und auch sonst die Richtlinien der Regierungspolitik bestimmen. Wer unter ihm Ministerpräsident werden soll, ist bisher unklar. Als Präsident muss Erdogan seine Mitgliedschaft in der AKP aufgeben, was in der Partei zu Befürchtungen geführt hat, die sieggewohnte AKP werde ohne ihr wichtigstes Zugpferd bei der Parlamentswahl im kommenden Jahr eine Niederlage erleben.
Kritiker des Ministerpräsidenten befürchten, dass ein Sieg des 60-Jährigen aus der Türkei einen autoritären Staat machen würde, in dem alles auf nur einen Mann zugeschnitten ist. Selbst ehemalige Weggefährten Erdogans teilen diese Sorge. Der Kurdenpolitiker und AKP-Mitbegründer Dengir Mir Mehmet Firat, der lange zu den engsten Beratern Erdogans gehörte, rechnete jetzt mit dem Premier ab.
Firat trat aus der AKP aus und kritisierte, die Partei verrate mit Korruption und Machtgier die eigenen Grundsätze. Niemand in der Umgebung Erdogans wage es, dem Ministerpräsidenten zu widersprechen oder Dinge anzusprechen, die Erdogan nicht hören wolle. Firat selbst unterstützt jetzt den Kurdenkandidaten Demirtas.
Susanne Güsten