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Ein Bewaffneter vor einem Wahllokal in der ostukrainischen Stadt Donezk.
© dpa

Ukraine: Wahl schürt Angst vor einem neuem Krieg

In den sogenannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk gehen die Menschen zur Wahl - doch von einer normalen Abstimmung kann keine Rede sein. Kiew meldet derweil „intensive“ Truppenbewegungen aus Russland in die Ukraine.

Trotz scharfer Kritik aus Kiew und dem Westen haben die prorussischen Separatisten im Osten der Ukraine am Sonntag die Einwohner zu Wahlen an die Urnen gerufen. Für die als Parlaments- und Präsidentschaftswahlen deklarierten Abstimmungen in den sogenannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk ließen die von Russland unterstützten Aufständischen nach eigenen Angaben rund drei Millionen Stimmzettel drucken.

Von einer normalen Abstimmung kann jedoch nicht die Rede sein. Vor vielen Wahllokalen verteilten die Separatisten säckeweise Kartoffeln, Kohl oder Mohrrüben, um den Menschen ein Anreiz zu geben, zur Urne zu gehen. Im Vorfeld gab es zudem Hinweise darauf, dass die Rebellen den in der Krisenregion verbliebenen Einwohnern gedroht hätten, sie zu erschießen, wenn sie nicht an den Wahlen teilnehmen würden. Wählerlisten gibt es nicht, auch ist unbekannt, wie viele Menschen sich derzeit noch in den Gebieten aufhalten, in denen im Mai der Krieg zwischen pro-russischen Rebellen und der Ukraine ausbrach. Wahlberechtigt ist jeder, der einen gültigen Personalausweis vorzeigen kann. Damit ist der Mehrfachabstimmung Tür und Tor geöffnet.

Militärkonvois sollen aus Russland in die Ukraine rollen

Für das Präsidentenamt bewerben sich in Donezk Alexander Sachartschenko und in Lugansk Igor Plotnizki, beides selbsternannte Ministerpräsidenten. Außerdem kandidieren in Donezk die Partei Sachartschenkos, „Donezker Republik“, sowie „Freies Donbass“, angeführt von „Vize-Ministerpräsident“ Andrej Purgin. In Lugansk steht die „Friedenspartei“ von Plotnizki und die „Wirtschaftsunion“ des Gewerkschaftsführers Oleg Akimow zur Wahl.

Die Regierung in Kiew blickt mit zunehmender Sorge auf die Ereignisse im Osten der Ukraine. Am Samstag wurden Fotos verbreitet, die große Militärkonvois in den Städten Donezk, Illowaisk und Lugansk zeigen. Die ukrainische Armee meldet „intensive“ Truppenbewegungen aus Russland über die Grenze in den von Separatisten kontrollierten Osten der Ukraine. Militärausrüstung und Mannschaften „des Feinds“ würden über die Grenze der russischen Föderation ins Separatistengebiet verlegt, sagte Armeesprecher Andrej Lyssenko am Sonntag.

Ein ranghoher Vertreter der ukrainischen Regierung, der anonym bleiben wollte, sagte dem Tagesspiegel: „Wir beobachten ganz genau, was sich im Osten des Landes zusammenbraut. Ich rechne damit, dass der Nationale Sicherheitsrat sehr bald zu einer Sondersitzung zusammenkommen wird.“ Der Geheimdienst stellte derweil Strafanzeige gegen die Anführer der „Volksrepublik“. „Das ist keine demokratische Abstimmung, sondern ein Versuch, die verfassungsgemäße Ordnung zu stürzen“, schreibt die Behörde auf ihrer Internetseite.

Die EU distanziert sich von den Wahlen im Osten der Ukraine

Auch die EU hat sich erneut von den Wahlen distanziert. Elmar Brok (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments, sagte: „Die Europäische Union wird diese Pseudo-Abstimmung nicht anerkennen, weil sie die ukrainische Gesetzgebung verletzt und deshalb illegitim ist.“ Die Wahlen würden zudem das komplette Gegenteil zu dem bedeuten, was im Protokoll von Minsk am 5. September unterzeichnet wurde. „Diese sogenannten Wahlen untergraben den Friedensprozess“, sagte Brok der russischen Nachrichtenagentur Itar Tass.

Bei den Menschen in der Ukraine wächst die Angst, der Krieg könnte wieder aufflammen. Am Sonntag versammelten sich mehrere hundert Menschen in der Kiewer Innenstadt, um gegen die Abstimmung in Lugansk und Donezk zu protestieren. „Anfangs dachte ich, wir würden nur ein paar Wochen in Kiew bleiben, sind im Winter zurück in Donezk. Doch ich bin Realist, ich denke, die Heimat ist fürs Erste verloren“, sagt der 45-jährige Informatiker Oleg, der im Juni aus Donezk geflüchtet war. Obwohl er in Kiew eine Arbeit gefunden hat und mittlerweile seine gesamte Familie nachgekommen ist, dankt er darüber nach auszuwandern. „Ich weiß nicht, ob wir in Kiew vor den Russen sicher sind,“ sagt er.

Diese Befürchtungen sind nicht ganz unbegründet. Der Spitzenkandidat für das Präsidentenamt in Donezk, Alexander Sachartschenko, sagte beim Verlassen des Wahllokals: „Zu unserem Einflussgebiet gehört der komplette Donbass und die Nachbarregionen. Als Nächstes holen wir uns Mariupol.“ Die Hafenstadt im Süden der Ukraine ist seit Wochen zur Festung ausgebaut, vor der Küste liegen russische Militärschiffe, 20 Kilometer östlich hält die russische Armee seit August die Stadt Nowoazowsk besetzt.

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