Flüchtlingsdrama an der türkisch-griechischen Grenze: Vorspiel einer noch größeren Katastrophe
Leiden Flüchtlinge weit weg von Europa, interessiert das nicht. Der Westen wacht auf, wenn sie an den Grenzen auftauchen. Die EU muss handeln. Ein Kommentar.
Europäische Politiker sind in diesen Tagen womöglich nicht in der Stimmung, Recep Tayyip Erdogan zuzuhören, aber wo der türkische Präsident recht hat, hat er recht.
Monatelang habe er den Europäern gesagt, dass sein Land die Tore für Flüchtlinge in Richtung Westen öffnen werde, wenn es von Europa nicht mehr Unterstützung zur Bewältigung des Problems erhalte, sagte Erdogan am Montag. Doch Europa habe die Warnungen in den Wind geschlagen.
Erst seit er die Tore vorige Woche dann wirklich geöffnet habe, erhalte er besorgte Anrufe von europäischen Politikern.
Dass die türkische Regierung auf dem Rücken der Flüchtlinge, die an der griechischen Grenze festsitzen, Politik macht, ist ein Skandal und unfair den betroffenen Menschen gegenüber, die nichts wollen als ein besseres Leben für sich und ihre Familien.
Trotzdem steckt in Erdogans Bemerkung ein Kern Wahrheit: Der Westen wacht erst auf, wenn die Flüchtlinge an seinen Grenzen auftauchen – so lange Männer, Frauen und Kinder weit weg von Europa in Dreck und Kälte leiden, interessiert das nicht.
Ein Treffen der EU-Außenminister wurde anberaumt, als die Flüchtlinge an der griechischen Grenze ankamen, und nicht etwa, als hunderttausende Menschen von den Kämpfen in der syrischen Provinz Idlib an die Grenze zu Türkei getrieben wurden.
Das neue Flüchtlingsdrama an der türkisch-griechischen Landgrenze ist möglicherweise nur ein Vorspiel einer größeren Katastrophe.
Bald könnten noch viel mehr Flüchtlinge kommen
Wenn es keine Einigung auf eine Lösung in Idlib gibt, wo fast eine Million Schutzsuchende auf Hilfe warten, könnten bald noch wesentlich mehr Flüchtlinge an Europas Grenzen auftauchen. Europa muss deshalb im Syrien-Konflikt politisch aktiv werden. Das wäre zwar spät, aber immer noch besser als das Nichtstun wie bisher.
Gute Optionen gibt es in Syrien längst nicht mehr. Mit mehr europäischem Geld für die Flüchtlingshilfe in der Türkei und Milliarden für den Wiederaufbau von Syrien ist es nicht getan.
Die EU wird sich mit Akteuren wie dem syrischen Staatschef Assad, einem mutmaßlichen Kriegsverbrecher, befassen müssen. Sie wird auf Erdogan einwirken und türkische sowie russische Interessen berücksichtigen müssen – eine schwierige und undankbare Arbeit. Aber die Alternative ist wesentlich schlimmer.