Joe Biden legt sich mit Russland und China an: Vorsicht vor einer Remoralisierung der US-Außenpolitik
Putin sei ein „Killer“, China verübe einen „Völkermord“: US-Präsident Joe Biden rüstet rhetorisch auf. Das kann Folgen haben. Ein Kommentar.
Politik, die auf moralische Argumente verzichtet, wirkt kalt, berechnend, manchmal zynisch. In Deutschland wird eine solche Haltung durch Ex-Kanzler Gerhard Schröder personifiziert, der viele Schurken schönredet, mit denen sich Geschäfte machen lassen. In den USA war es Donald Trump, der ungeniert mit Nordkoreas Diktator Kim Jong Un Händchen hielt, sich von Saudi-Arabiens Herrscherclique umgarnen ließ, so gut wie nie über Menschenrechte sprach und Russlands Wladimir Putin jede Wahlmanipulation mit zwinkerndem Auge verzieh. Schröders und Trumps Hyperrealpolitik verursachte Empörung. Zu Recht.
Der neue US-Präsident, Joe Biden, ist von einem anderen Kaliber. Er nennt Putin einen „Killer“, der für seine Missetaten „einen Preis bezahlen“ muss. Er kritisiert Saudi-Arabien als „Paria-Staat“ und lässt einen Geheimdienstbericht veröffentlichen, in dem der saudische Kronprinz Mohammad bin Salman bezichtigt wird, den Mord am Dissidenten und Journalisten Jamal Khashoggi in Auftrag gegeben zu haben. Er wirft der chinesischen Führung vor, einen „Völkermord“ an den überwiegend muslimischen Uiguren zu verüben. Wird mit Biden die US-Außen- und Sicherheitspolitik remoralisiert? Stellt das Land seine Interessen auf ein festes Wertefundament?
Das heißt nicht, die eigenen Prinzipien zu verleugnen
Nein, so einfach ist das nicht. Die USA, Russland und China sind nukleare Großmächte. Sie haben Stimme und Vetorecht im UN-Sicherheitsrat. Ob beim Anspruch auf regionale Einflusssphären oder dem Versuch, die Proliferation von Atomwaffen zu erschweren, ob im Bereich der Energie, des Handels oder des Klimas: Ein kompromissloses Gegeneinander wäre zum Nachteil aller. Keiner darf Interesse an einer wie auch immer gearteten Eskalation haben.
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Daraus folgt weder, kleinlaut zu sein, noch, die eigenen Prinzipien zu verleugnen. Menschenrechtsrhetorik darf, ja muss gelegentlich offensiv sein. Aber Klarheit im Urteil sollte das Maß nicht verlieren. Ansonsten wird die Kluft zwischen emotional aufgeladener Anprangerung und nachfolgender Tatenlosigkeit zu groß.
Die gewaltsame Unterdrückung von rund einer Million Uiguren in der Provinz Xinjiang ist ein himmelschreiendes Unrecht. Menschen werden in Lager gesperrt, Frauen sterilisiert, Produkte durch Zwangsarbeit hergestellt. Aber ob dafür der Begriff des „Völkermords“ angemessen ist, begangen in der Absicht, „eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“, wie es in der UN-Konvention heißt, lässt sich bezweifeln.
Will der Westen das chinesische System diskreditieren?
Außerdem: Wem ist damit gedient? Auch die Biden-Administration wird sich mit der Führung in Peking auf vielen Ebenen arrangieren. Der Vorwurf des Völkermords wird praktisch folgenlos bleiben. Das aber untermauert eher die von den Kommunisten verbreitete Ideologie, der zufolge der Westen das chinesische System diskreditieren will, um sich einen strategischen Vorteil zu verschaffen. Die Berufung auf Moral habe in erster Linie instrumentellen Charakter.
Helmut Schmidt hat einmal gesagt: „Das Entscheidende ist nicht das moralische Argument, sondern die moralische Grundlage der eigenen Politik.“ Das sollte sich Joe Biden zu Herzen nehmen. Dessen Urteil über die Führung in Russland, China und Saudi-Arabien mag, zumal im Kontrast zu seinem Vorgänger im Amt, als wohltuend empfunden werden. Ein Ersatz für kluge Politik sind solche Worte nicht.