Bürgerrechte und Datenschutz: Vorratsdatenspeicherung erstmal erschöpft
Ab Juli sollte die Vorratsdatenspeicherung starten. Doch dazu kommt es vorerst nicht. Unternehmen und Richter haben Einwände, die Regierung fürchtet eine Kette von juristischen Niederlagen
Nur drei Tage vor dem Inkrafttreten der Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung hat die Bundesnetzagentur den Speicherzwang für Internet-Provider und Telefonanbieter vorläufig ausgesetzt. Die Behörde reagierte am Mittwoch auf einen wegweisenden Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen aus der vergangenen Woche. Bis zum Urteil im Hauptverfahren werde die Speicherpflicht nicht durchgesetzt. Kritiker der Vorratsdatenspeicherung sehen sich nun in ihren Bedenken bestätigt und fordern den kompletten Abschied von dem Instrument.
Während der Bundestag erst kürzlich neue Daten-Zugriffe für Zwecke der öffentlichen Sicherheit beschlossen hat, Stichwort Trojaner-Einsatz, wird ein politisch lange umkämpftes Instrument jetzt also langsam eingefroren: Die Mindestspeicherfrist für Telekommunikationsdaten - besser bekannt als Vorratsdatenspeicherung (VDS). Im Dezember 2015 trat eine abgeschwächte Version in Kraft, die zum 1. Juli für alle Anbieter von Telekom- und Internetdiensten bindend gewesen wäre.
Doch jetzt hat die Bundesnetzagentur angekündigt, die Speicherpflicht vorerst auszusetzen, weil das Oberverwaltungsgerichts in Münster darin einen Verstoß gegen EU-Richtlinien festgestellt hat. Dass es so kommt, ist konsequent – aber dennoch überraschend.
Seit Jahren wird politisch und vor Gerichten über die Überwachungsmöglichkeit gestritten
Die Vorratsdatenspeicherung sorgt seit Jahren für politischen Streit. Schon mehrfach hatten oberste Gerichte in Deutschland und der EU Einwände - und kippten die Vorgaben. 2015 hatte die Große Koalition schließlich eine Wiedereinführung des Instruments beschlossen - im Namen des Kampfes gegen Terror und schwere Verbrechen.
Das Sammelprojekt, das auch andere EU-Länder für Zwecke der inneren Sicherheit unternehmen, war immer wieder Gegenstand von Gerichtsverfahren, auch vor dem Europäischen Gerichtshof. Der hatte 2016 noch einmal klare Worte gefunden: Das Unionsrecht untersage eine allgemeine und unterschiedslose Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten, hieß es. Parallel laufen Klagen vor dem deutschen Verfassungsgericht.
Bei dem Vorhaben handelt es sich um einen heiklen Eingriff: Zwar bleiben die Inhalte von Kommunikationen den Behörden entzogen, doch soll nach dem Willen des Gesetzgebers für die Dauer von zehn Wochen beim jeweiligen Service-Anbieter gespeichert bleiben, wer mit wem wie lange telefoniert. Auch vergleichbare SMS-Daten werden erfasst. Eine vierwöchige Frist gilt für die noch sensibleren Handy-Standortdaten.
Bürger fühlen sich überwacht, Unternehmen fürchten Vertrauensverlust
Belastet fühlen sich dadurch Bürger, die meinen, sie würden überwacht. Aber es sind auch die Unternehmen, denen die Pflicht nicht geheuer ist, zumal sie per Gesetz verdonnert werden, aufwändige Vorsorge für Datensicherheit zu treffen. Deshalb hatte ein Münchner Netz-Dienstleister in einem Eilverfahren geklagt – und vor Gericht in Münster Recht bekommen.
Mit der nicht mehr anfechtbaren Entscheidung sind prinzipiell nur die Streitparteien gebunden. Damit hätte sich die Bundesnetzagentur, die für die Durchsetzung der Maßnahme zuständig ist und für diesen Zweck auch Bußgelder verhängen kann, auf den Standpunkt stellen können, dass alle anderen Unternehmen weiter verpflichtet sind, die Daten zu sammeln. Besonders rechtsstaatlich wäre solch eine Haltung jedoch nicht, zumindest dann nicht, wenn das Gericht – so wie hier – auf die grundsätzliche Sicht der Dinge auch für andere Fälle verweist. Außerdem hätten sich auch andere Firmen mit denselben Argumenten die Befreiung von der Speicherpflicht im Eilrechtsschutz einklagen können. Dann wäre eine Zwei-Klassen-Gesellschaft der Netzdienste entstanden: Solche, die sich dem Gesetz fügen, und solche, die dagegen aufbegehren. Jeder weitere Gerichtsbeschluss wäre eine erneute Niederlage für die Regierung gewesen.
Die Entscheidung wird wohl Jahre dauern
Nun muss abgewartet werden. Entweder auf ein Wort aus Karlsruhe, oder aber auf das Hauptsacheverfahren in der Sache der Münchner Firma, die die zuständigen Gerichte weiter verhandeln werden. Das kann dauern: Mit ein bis drei Jahren ist für solche Verfahren zu rechnen.
Die Provider Telekom und Vodafone sowie Vertreter von Branchenverbänden begrüßten den Schritt erwartungsgemäß. „Für so einen sensiblen Eingriff in Persönlichkeitsrechte muss Rechtssicherheit gegeben sein. Das haben wir von Anfang an betont“, erklärte Thomas Kremer, Telekom-Vorstand für die Themen Datenschutz, Recht und Compliance. Vodafone kündigte an, bis zur einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren keine Daten zu speichern.
Die Opposition fordert das endgültige Aus der VDS
Politiker von Linken, Grünen und FDP fordern nun das endgültige Aus der Vorratsdatenspeicherung. Linksfraktionsvize Jan Korte sagte, die VDS müsse „ein für alle Mal beerdigt werden“. Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz erklärte, die Entscheidung der Netzagentur sei eine „vernichtende Niederlage für die Überwachungspolitik dieser Bundesregierung“.
Die Bundesregierung hält solche Folgerungen dagegen noch für verfrüht. Sprecher des Innenministeriums und des Justizressorts mahnten, zunächst sei die Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten. Ein Sprecher des Innenressorts sagte, es könne nicht von einer Verschlechterung der Sicherheitslage geredet werden, eher vom „Ausbleiben der beabsichtigten Verbesserung“. Er betonte: „Es wäre ja jetzt erst losgegangen.“
FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki forderte ebenfalls, die Regelung wieder komplett abzuschaffen. „Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung wurde wieder eingeführt - ohne jeden Nachweis der Geeignetheit“, schrieb Kubicki in der „WirtschaftsWoche“.
Kritik am "Zick-Zack-Kurs"
Der Branchenverband eco bezeichnete die Entscheidung als „absolut konsequent“. Das OVG habe mit seinem Urteil den ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht. „Jetzt aber brauchen wir endlich die Grundsatzentscheidung, um die Vorratsdatenspeicherung endgültig zu stoppen“, sagte Oliver Süme, eco-Vorstand Politik und Recht.
Der Branchenverband Bitkom forderte ein Ende des „Zick-Zack-Kurses“. Firmen hätten „einen hohen Millionenbetrag investiert, die nötigen Organisationseinheiten aufgebaut und Personal abgestellt, um einer Verpflichtung nachzukommen, die nun laut Gericht gegen geltendes Recht verstößt“, klagte Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder.
CDU und SPD sehen keinen Schaden - und wollen abwarten
Die Bundesregierung hält Schlussfolgerungen zur Zukunft der Vorratsdatenspeicherung für verfrüht. Sprecher des Innenministeriums und des Justizressorts mahnten, zunächst sei die Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten. Ein Sprecher des Innenressorts sagte, es könne nicht von einer Verschlechterung der Sicherheitslage geredet werden, eher vom „Ausbleiben der beabsichtigten Verbesserung“. Er betonte: „Bisher gibt es ja keine Vorratsdatenspeicherung in dem Sinne. Es wäre ja jetzt erst losgegangen.“ (mit dpa)