Merkel und die Wohnungsnot: Vor welchen Hindernissen die Bundesregierung steht
Jetzt entdeckt auch die Kanzlerin das Thema Wohnungsnot. Aber die große Koalition muss Wirtschaft wie Mietern gleichermaßen gerecht werden. Fragen und Antworten.
Angela Merkel ist im roten Blazer gekommen, das passt irgendwie. Die Kostenampel steht für viele Mieter schon längst auf rot. Ein Heimspiel hat sie hier beim Deutschen Mietertag in Köln nicht. Es gibt kaum Applaus, viel Kritik schlägt ihr entgegen. „Die Wohnungspolitik ist eigentlich fast zwei Jahrzehnte verschlafen worden“, sagt der scheidende Mieterbund-Präsident Franz-Georg Rips. Und nun haben sich die Probleme in Form von Rekordsteigerungen derart aufgetürmt, dass der Ruf nicht nur in Berlin nach staatlichen Preisdeckeln immer lauter wird.
Was verspricht Merkel?
Dass Merkel hier in Köln auftritt, zeigt, das Thema ist die neue soziale Frage in Deutschland – denn Deutschland hat mit rund 54 Prozent die höchste Mieterquote in Europa. „Wir werden in dieser Legislaturperiode 13 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau, das Baukindergeld, das Wohngeld und die Städtebauförderung zur Verfügung stellen“, sagt sie. Aber das hängt letztlich auch immer von der Haushaltslage ab. Allein fünf Milliarden Euro sollen die Bundesländer bekommen, um mehr Sozialwohnungen zu bauen.
Dafür wurde eigens das Grundgesetz geändert. Der Empfängerkreis beim Wohngeld soll deutlich auf rund 660.000 Menschen ausgeweitet werden. Sie geht mit keiner Silbe auf die Berliner Pläne für einen Volksentscheid ein, mit dem Enteignungen von Wohnungskonzernen mit mehr als 3000 Wohnungen möglich werden sollen – gegen Entschädigungen. Ebenso geht sie nicht auf die Forderung des kommissarischen SPD-Chefs Thorsten Schäfer-Gümbel ein, die Mieten bundesweit in Großstädten für fünf Jahre einzufrieren, um Zeit zu gewinnen, damit mehr gebaut werden kann, um den Mietmarkt zu entlasten.
Sie betont, es müsse noch interessant sein, in Neubauten zu investieren. Und lobt Köln, wo 2018 rund 80 Prozent mehr Wohnungen fertiggestellt worden sind als 2017. „Ein Lichtblick.“
Warum hat Merkel das Problem nicht früher gesehen?
Verantwortlich sind Bund, Länder und Kommunen. In Berlin, wo der rot-rot-grüne Senat als erstes Bundesland ab 2020 einen Mietendeckel einführen will – mit all seinen Nebenwirkungen – haben gerade SPD-Regierungschefs wie Klaus Wowereit dem Ausverkauf der Stadt lange zugeschaut. Investoren griffen dankbar zu. In Berlin sind heute 250.920 Wohnungen in der Hand von zwölf Großinvestoren und Wohnungskonzernen, oft sind sie nicht erreichbar, es gibt reihenweise Klagen über undurchsichtige, überhöhte Nebenkostenabrechnungen.
Zudem verkaufte die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, die einer der größten Immobilienbesitzer im Land ist, lange Zeit Liegenschaften des Bundes in Filetlagen an den meistbietenden Privatinvestor. Das freute den Bundeshaushalt, schuf aber keine preisgünstigen Wohnungen. Jetzt ist nicht mehr viel da, zudem braucht der Bund wieder alte Liegenschaften plötzlich, da mehr Zollbeamte und Bundespolizisten eingestellt und geschult werden.
Eine Landflucht, rein in die Städte, ein Trend hin zu Singlehaushalten, der Zuzug von geflüchteten Menschen, all das verschärfte die Wohnungsnot, die ein Stadtproblem ist. Auf dem Land gibt es viel Leerstand.
Warum bekommt man die Mieten nicht in den Griff?
Gerade CDU/CSU waren es, die oft schärfere Regelungen bei der Mietpreisbremse blockierten, um bei Neuvermietungen satte Aufschläge zu unterbinden – diese darf heute maximal zehn Prozent über dem ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Bei Bestandsmieten gilt für Erhöhungen der örtliche Mietspiegel als Messlatte, aber es gibt viele Schlupflöcher.
Ein großes Problem sind zum Beispiel möblierte Wohnungen, die ausgenommen sind. Merkel ist für das Drehen an weiteren Stellschrauben, statt der großen Keule – da bleibt sie sich treu. Sie stellt neue Regelungen in Aussicht, um stärker gegen Mietwucher und ungerechtfertigte Erhöhungen vorzugehen. „Wir müssen mit Instrumentarien des Ordnungsrechts schon arbeiten, weil wir ansonsten der Dinge sehr, sehr schwer Herr werden.“
Warum ist auch der Berliner Deckel so umstritten?
Er soll für Mehrfamilienhäuser in der ganzen Stadt gelten – Verstöße könnten mit Geldbußen von bis zu 500.000 Euro geahndet werden. Das Problem: Genossenschaften mit niedrigen Mieten könnte ohne moderate Erhöhungen das Geld fehlen, weitere, bezahlbare Mietwohnungen zu bauen. Und es dürfte kaum noch modernisiert oder repariert werden. Die SPD-Spitze will das Modell trotzdem bundesweit – und auf die Tagesordnung bei Kanzlerin Merkel setzen. „Ziel muss sein, dass Menschen höchstens ein Drittel ihres Einkommens für das Wohnen ausgeben müssen“, sagt Schäfer-Gümbel. Man müsse Zeit gewinnen, damit in den fünf Jahren eines Moratoriums hunderttausende neue Wohnungen fertig gestellt werden.
Doch die Frage ist, ob die gebaut werden, wenn Investoren und Genossenschaften damit rechnen müssen, dass auch danach wieder ein Deckel aufgesetzt werden könnte. Es müsse noch ein Klima geben, „in dem gerne gebaut wird“, sagt Merkel. Gerade in Berlin wird das Klima rauer. Dort nahm die Initiative für ein Volksbegehren zu Wohnungsenteignungen mit der Übergabe von 77.000 Unterschriften am Freitag eine wichtige Hürde – trotz des geplanten Mietendeckels, soll das Enteignungsziel von Konzernen wie „Deutsche Wohnen“ weiterverfolgt werden, die Enteignungen würden zweistellige Milliardenbeträge kosten – dortige Mieten würden stabilisiert – aber keine einzige neue Wohnung geschaffen.
Gibt es auch Lobbyinteressen, die harte Maßnahmen ausbremsen?
„Die Immobilienwirtschaft ist sehr eng mit der Politik verflochten“, sagt Christina Deckwirth, Sprecherin für den Bereich Wohnungspolitik bei der Organisation Lobbycontrol. „Allein bei den beiden großen Immobilienlobbyverbänden GdW und ZIA sitzen mit Axel Gedaschko und Klaus-Peter Hesse zwei frühere CDU-Politiker in Spitzenpositionen.“
Problematische Verflechtungen gebe es auch im Bundestag. Der CDU-Abgeordnete Michael Hennrich ist Vorsitzender von Haus und Grund Württemberg und erhalte für diese ehrenamtliche Tätigkeit „mindestens 1000 Euro monatlich“. In den Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl 2017 habe er sich „gegen die Mietpreisbremse ausgesprochen – und damit eine zentrale Position seines Vereins eingefordert“, kritisiert Deckwirth. Auch der Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak falle im Bundestag immer wieder dadurch auf, dass er der Immobilienwirtschaft sehr nahe stehe. „Er ist neben seinem Mandat in einer Wirtschaftskanzlei tätig, die auch Mandanten aus der Immobilienwirtschaft vertritt.“ Es gäbe eine starke Schieflage.
Was fordert der Mieterbund?
Die Organisation fordert ein einklagbares Grundrecht auf bezahlbares Wohnen im Grundgesetz. Ein zwischenzeitlicher Mietenstopp könnte eine Option sein. Danach müssten grundsätzlich Mieten, die mehr als zehn Prozent über der Vergleichsmiete lägen, „als Ordnungswidrigkeit geahndet werden“, fordert die Interessensvertretung der Mieter. Denn bisher drohen kaum Strafen bei Wucherpreisen. Zudem müsse die Modernisierungsumlage, wonach acht Prozent der Kosten auf die Jahresmiete aufgeschlagen werden dürfen, abgeschafft werden – sie ist auch ein Einfallstor für heftige Erhöhungen. Zudem müsse es ein zentrales Immobilienregister geben, „in dem die Eigentümerstrukturen transparent dargestellt und zum Beispiel die Zustellanschrift des Eigentümers in Deutschland niedergelegt ist“.
Überall lautet das Zauberwort „Verdichtung“: Supermärkte bekommen ein paar Geschosse aufs Dach gesetzt, Stadtautobahnen wie in Berlin könnten überbaut werden. An Ideen mangelt es nicht – aber der Druck auch für Merkel ist groß. Wie beim Klimaschutz sind kleine Schritte kaum noch die Lösung, auch das Auf-Sicht-Fahren nicht. Die Bürgerwut wächst.