Fremdenhass in Sachsen: Vor einem Jahr: der rechte Mob in Heidenau
Vor einem Jahr gab es in Heidenau rassistische Krawalle gegen Flüchtlinge. Wie kam es zur Eskalation? Der 21. August 2015 in einer Twitter-Chronik.
Es waren die heftigsten rassistische Krawalle des vergangenen Jahres in Deutschland. Zwei Nächte lang kam es vor einem Jahr in der Kleinstadt Heidenau bei Dresden bei Protesten gegen eine Flüchtlingsunterkunft in einem ehemaligen Baumarkt zu schweren Ausschreitungen.
Ein NPD-Stadtrat hatte zum Protest aufgerufen. Anti-Asyl-Initiativen mobilisierten über Facebook gegen das Notaufnahmelager. Am späten Nachmittag des 21. August zogen zunächst 1000 Leute durch Heidenau, auch am Haus von Bürgermeister Jürgen Opitz (CDU) vorbei - Neonazis und Rechtsradikale darunter, viele junge Männer, aber auch Familien mit Kindern.
Ein großer Teil der Demonstranten marschierte anschließend weiter zum Baumarkt. Gegen Abend eskalierten dort die Proteste. Es flogen Steine, Flaschen, Bauzäune und Feuerwerkskörper. Allein bei der Demonstration kurz vor dem Einzug der ersten Flüchtlinge am Abend des 21. August wurden 31 Polizisten verletzt, Dutzende Flüchtlinge konnten spät in der Nacht die Unterkunft nur unter Polizeischutz beziehen.
Live berichteten auf Twitter am ersten Tag der Proteste nur wenige - unter anderem Alexej Hock und Johannes Schneider vom "Straßengezwitscher" aus Dresden, das zu diesem Zeitpunkt schon seit ein paar Monaten über Rassismus in Sachsen informiert, ein paar Flüchtlingsunterstützer, einige freie Journalisten sowie der NDR-Reporter Johannes Jolmes.
Zunächst die Frage: Ist die Polizei vorbereitet?
Flüchtlingsinitiativen kündigen ihre Unterstützung in Heidenau an, werden aber im Vergleich zu den rechten und rassistischen Demonstranten den ganzen Abend über klar in der Minderzahl bleiben.
Die rechte Demonstration setzt sich in Bewegung.
Die ersten Neonazis versammeln sich an einem Supermarkt in der Nähe des Baumarkts, in dem die Flüchtlinge unterkommen sollen.
Die Demonstranten schreien: "Wir wollen keine Asylantenheime".
Es wird immer klarer, dass es nicht allein bei der Demonstration bleiben soll.
Unterstützer der Flüchtlinge misstrauen der Polizei.
Die rechten Demonstranten fordern eine Bürgerwehr und hetzen gegen Flüchtlinge.
Unterstützer der Flüchtlinge und Journalisten fürchten um ihre Sicherheit.
Ein Teil der Demonstranten zieht Richtung Baumarkt.
Erste Böllerwürfe und Sitzblockaden, Attacken gegen Journalisten.
Die Polizei hat offenbar zu wenig Einsatzkräfte am Ort.
Erste Hinweise darauf, dass ein Bus mit Flüchtlingen vor Heidenau aufgehalten wird.
Viele der rechten Demonstranten betrinken sich.
Die Polizei rät Journalisten, den Ort des Geschehens zu verlassen.
Via Facebook wird weiter mobilisiert.
Es gibt Verletzte.
Die rechten Demonstranten errichten Straßenblockaden. Immer wieder Böllerwürfe.
Der MDR berichtet, es fehle in Heidenau an Polizisten und an Einsatzkräften des Roten Kreuzes.
Ist das Satire?
Keine Neonazis? Und ob!
Immer wieder Angriffe gegen Journalisten.
Mit der Ankunft der Flüchtlinge wird weiterhin gerechnet.
Der rechte Mob will die Unterbringung von Flüchtlingen verhindern - und beinahe jeden Preis.
Gewalt gegen die Polizei.
Die Polizei geht mit Tränengas gegen die Demonstranten vor.
Das Reporterteam von "Straßengezwitscher" und auch andere Beobachter geben auf.
Rechte Demonstranten bleiben.
Die Anti-Asyl-Initiative "Heidenau - hört zu" behauptet auf Facebook, das so nicht gewollt zu haben.
Viele Polizisten verletzt.
Kommen die Flüchtlinge doch nicht mehr in der Nacht?
Waren das Asylgegner oder rechte Demonstranten? "Spiegel online" ändert die Überschrift.
40 Minuten nach Mitternacht. Stunden später als ursprünglich geplant trifft ein erster Bus mit Flüchtlingen in Heidenau ein.
Die Ausschreitungen hatten bundesweit für Entsetzen gesorgt - Heidenau wurde weltweit zum Synonym für Fremdenhass und "Dunkeldeutschland". Auch Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) besuchten wenige Tage später die Unterkunft. Merkel wurde bei ihrem Besuch beschimpft und beleidigt, ähnlich erging es Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU). Gabriel bezeichnete die Randalierer - und ausdrücklich nur diese - bei seinem Besuch als "Pack".
Viele Täter stammten offenbar aus Heidenau und Umgebung
Knapp ein Jahr vor dem "Jahrestag" von Heidenau fragten die Grünen im sächsischen Landtag die Staatsregierung, woher die Täter rechtsextremistischer Straftaten in Freistaat stammen. Antwort des Innenministeriums auf ihre Kleine Anfrage: Von den seit 2015 insgesamt 2046 ermittelten Tatverdächtigen im Bereich "politisch motivierte Kriminalität Rechts" stammen 1859 Personen aus Sachsen. "Die Sachsen sind mitnichten immun gegen Rechtsextremismus", schlussfolgerte der Grünen-Abgeordnete Valentin Lippmann. "Wer anderes behauptet und von zugereisten rechten Gewalttätern spricht, hat nicht verstanden, wie es um die rechtsextremen Einstellungen im Freistaat bestellt ist."
Während im sachsenweiten Durchschnitt im "Phänomenbereich Rechts" 46 Tatverdächtige auf 100.000 Einwohner entfallen, liegen die Werte in manchen Teilen Sachsens deutlich darüber - zum Beispiel auch in Heidenau und den Orten der Umgebung, wo es umgerechnet 127 Tatverdächtige pro 100.000 Einwohner gibt. Lippmann kommentierte: "Dieses Lagebild legt den Schluss nahe, dass die Täter in aller Regel auch aus den Orten oder umliegenden Gemeinden stammen, in denen sich die Taten ereigneten. Offenbar fühlen sich die potenzielle Täter von einer starken, rassistischen Stimmung in diesen Orten angespornt und die Hemmschwelle zu den Taten wird gesenkt."
Nach den Ausschreitungen in Heidenau hatte es insgesamt 41 Ermittlungsverfahren gegeben, wie der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Dresden, Wolfgang Klein, dem MDR sagte. In 22 Fällen sei Anklage erhoben worden, unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
Einige wenige Verfahren seien noch offen, andere mussten eingestellt werden, da die mutmaßlichen Straftäter vermummt gewesen seien und eine nachträgliche Identifizierung nicht möglich sei. Klein sagte, es sei schwer, teils vermummte Personen zu überführen, wenn die Polizei zum Beispiel aus Eigenschutz keine Personalien vor Ort aufnehmen könne.
In Heidenau leben heute 145 Flüchtlinge, aus dem Baumarkt selbst wurden die letzten vor vier Monaten in anderen Unterkünfte verlegt. Bürgermeister Opitz selbst will über die Geschehnisse damals nicht mehr mit Journalisten reden - um dem Thema nicht abermals Aufmerksamkeit zu verschaffen, wie es laut "FAZ" aus dem Rathaus heißt.