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Stehen die USA vor einer Rückkehr des Isolationismus?
© picture alliance / Westend61

USA: Vor der Rückkehr des Isolationismus

Die USA und ihre Außenpolitik: Voraussagen einer Abwendung des Landes vom Rest der Welt gab es schon häufiger. Könnte es nun tatsächlich so weit sein?

Amerika wählt, und die ganze Welt schaut gebannt zu. In Washington vollzieht sich an diesem Dienstag der wichtigste Machtwechsel der Erde – die politische Richtung der Supermacht in den kommenden vier Jahren kann Auswirkungen für Menschen in den entlegensten Ecken der Welt haben. Doch wollen und können die USA auch weiter die Rolle der globalen Führungsmacht spielen, die für viele innerhalb und außerhalb des Landes zur Selbstverständlichkeit geworden ist? Einige Beobachter sehen das Ende des „amerikanischen Jahrhunderts“ und eine Rückkehr zum Isolationismus voraus.

Die Sicht auf sich selber als Ausnahme unter den Nationen und als Leuchtturm der Demokratie und der Freiheit auf der Welt gehört seit jeher zum amerikanischen Selbstverständnis. In den 1940er Jahren entwickelte der Publizist Henry Luce dazu den Begriff des „amerikanischen Jahrhunderts“: Er sah Amerika als Erbin des siechen britischen Weltreichs, das als globale Supermacht abdankte. Als neue Führungsmacht müssten die USA in den Zweiten Weltkrieg eingreifen, forderte Luce. Seine These blieb auch nach dem Sieg über Deutschland und Japan einflussreich. Der Kalte Krieg verankerte die Weltsicht einer Macht des Guten, die gegen das von der Sowjetunion gebildete „Reich des Bösen“ antritt.

Geopolitischer Platzhirsch

Nach dem Ende der bipolaren Weltordnung 1990 war die Rolle der USA als geopolitischer Platzhirsch zunächst unumstritten. Präsident Bill Clinton rechtfertigte 1996 das Eingreifen im Balkan-Konflikt mit dem Hinweis, es gebe Zeiten, in denen nur die USA zwischen „Freiheit und Unterdrückung“ stünden.

Doch inzwischen ist dieses Selbstbewusstsein tiefer Ernüchterung gewichen. Der Feldzug von George W. Bush im Irak – nach dem Schock der Anschläge vom 11. September 2001 als Beitrag zur Verankerung der westlichen Demokratie im Nahen Osten gedacht – kostete hunderttausende Menschenleben, verfehlte einige seiner wichtigsten Ziele und ließ die Unterstützung der amerikanischen Wähler für militärische Abenteuer weit jenseits der eigenen Grenzen abstürzen. Barack Obama gewann 2008 den Kampf um das Weiße Haus unter anderem mit dem Versprechen, die Kriege im Irak und in Afghanistan zu beenden und die Soldaten nach Hause zu bringen.

Obamas Entscheidung gegen eine aktive militärische Einmischung der USA in Syrien seit dem Beginn des Bürgerkriegs 2011 war deshalb folgerichtig. Doch gleichzeitig untergrub sie bei wichtigen Verbündeten Washingtons in der Region das Vertrauen in die Weltmacht. Die wichtigste Aufgabe für die neue amerikanische Regierung liege in der Wiedergewinnung von Vertrauen in Israel und in den Golfstaaten, sagt der Nahost-Experte Dan Arbell von der Brookings Institution in Washington.

Kritiker werfen Obama vor, mit seiner Politik dem alten Rivalen Russland in Nahost Tür und Tor geöffnet zu haben. Doch auch die neue US-Regierung wird angesichts der Stimmung unter den Wählern kaum in Versuchung geraten, zehntausende Soldaten nach Nahost zu schicken.

Ziehen sich die USA also wieder auf sich selbst zurück? Voraussagen einer Abwendung Amerikas vom Rest der Welt hat es schon häufiger gegeben. Es gibt Hinweise darauf, dass es diesmal wirklich so weit sein könnte. Dazu gehört der wachsende Wirtschaftsprotektionismus, der sich unter anderem in der weitverbreiteten Skepsis gegenüber internationalen Handelsabkommen zeigt.

Totgesagte leben länger

Schätzungen, wonach China die USA in wenigen Jahrzehnten als größte Volkswirtschaft der Erde ablösen wird, werden von einigen Beobachtern ebenfalls als Zeichen des zu Ende gehenden amerikanischen Jahrhunderts gewertet. Obamas Abzug aus Nahost zählt ebenfalls dazu. Vielleicht werden sich Amerikas Partner in aller Welt auf eine zunehmende Nabelschau in Washington einstellen müssen.

Doch Totgesagte leben länger, auch in der Weltpolitik. Wichtige Faktoren, die Amerikas Rolle als weltweit führende Supermacht verankern, dürften zumindest auf mittlere Sicht in Kraft bleiben. Beispiel militärische Machtprojektion: Die USA verfügen über mehr Flugzeugträger als alle anderen Länder der Erde zusammen. Ihre Volkswirtschaft ist größer als die kombinierte Wirtschaftsmacht von China und Russland. Es gibt derzeit kein anderes Land, das die USA als Weltmacht herausfordern könnte.

Die kulturell-technische Führungsrolle der USA – von der Popmusik bis zur Hochtechnologie – ist ebenfalls so stark wie eh und je. Nach wie vor strömen Kinobesucher in aller Welt in den neuesten Hollywood-Blockbuster, nicht in den neuesten russischen Reißer. Mit mehr als 300 Nobelpreisen und mehr als 1100 olympischen Goldmedaillen sind die USA zudem in Forschung, Wissenschaft und Sport einsame Spitze. Die Vorstellung eines neuen iPhones ist ein Weltereignis.

Die USA bleiben also auf vielen Gebieten übermächtig, doch aus der Rolle des Weltpolizisten ziehen sie sich zurück. Washington dürfte in den kommenden Jahren die militärische Zurückhaltung der Obama-Zeit beibehalten, falls sich die USA nicht durch einen neuen Angriff wie im September 2001 zum Handeln gezwungen sehen. Bedrängte Verbündete Amerikas können nicht mehr immer und überall mit der Kavallerie rechnen, und Konkurrenten wie Russland oder China werden das für sich auszunutzen versuchen. Das amerikanische Jahrhundert dauert an – ist aber keine Garantie für weltpolitische Stabilität.

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