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Nicht jeder kann es sich aussuchen: Das Einkommen ist ein Indikator dafür, wer im Öffentlichen Nahverkehr unterwegs ist.
© Britta Pedersen/dpa

Trotz höherer Gefahr einer Corona-Infektion: Vor allem Einkommensschwache müssen noch Bus und Bahn fahren

Ein Mobilitätsreport für Deutschland zeigt: Menschen mit niedrigem Einkommen nutzen den Nahverkehr noch stärker als im Frühjahr – weil es ihr Job erfordert.

Dass Menschen mit geringem Einkommen einem erhöhten Risiko unterliegen, sich mit dem Coronavirus zu infizieren, hatten Experten schon vermutet. Ein repräsentativer Mobilitätsreport für Deutschland zeigt: Das korreliert mit den Nutzungsdaten des Öffentlichen Nahverkehrs.

Das Institut für angewandte Sozialwissenschaft (infas) hat in Kooperation mit dem Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) bis Ende Oktober erneut mehr als 1000 Menschen zu ihrer Mobilität befragt – zum zweiten Mal nach Mai. Ergänzt wurde die Befragung mit einem Tracking der Mobilität. Der Report trägt den vielsagenden Untertitel „Gedämpfte Hoffnung auf die Verkehrswende“.

Die Erhebung zeigt: In fast allen Einkommensschichten ist die tägliche Nutzung von Bus und Bahn im Herbst im Vergleich zum Frühjahr zurückgegangen – ausgenommen in der untersten. Menschen mit niedrigem Einkommen nutzen den Öffentlichen Nahverkehr sogar doppelt so stark wie während der ersten Pandemie-Welle: Im Frühjahr war es noch jeder Zehnte aus dieser Gruppe, im Herbst dann jeder Fünfte.

Da sich jeder vierte Geringverdienende sorgt, durch das Virus gesundheitlich eingeschränkt zu werden, legt der Mobilitätsreport den Schluss nahe: Menschen mit niedrigem Einkommen sind aufgrund mangelnder Alternativen auf Bus und Bahn angewiesen – wo sie im Kontakt mit anderen Fahrgästen einer höheren Infektionsgefahr ausgesetzt sind.

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Darauf, dass Menschen mit geringem Einkommen dem Risiko weniger aus dem Weg gehen können, hatte schon Nico Dragano, Professor für Medizinische Soziologie am Uniklinikum Düsseldorf, im Interview mit dem Tagesspiegel hingewiesen. „Sie können seltener öffentliche Verkehrsmittel meiden, seltener im Homeoffice arbeiten“, sagt Dragano.

Dafür spricht, dass drei Viertel der Wege im Öffentlichen Nahverkehr Arbeitswege sind oder zumindest solche zu dienstlichen Zwecken – auch dort hat das Verkehrsaufkommen im Herbst im Vergleich zum Frühjahr zugenommen.

Dazu passt: In Berufen, in denen die Arbeitnehmer üblicherweise weniger verdienen, arbeitet nur rund jeder Zehnte im Homeoffice. Solche Berufe sind die in Produktion, Wartung und Logistik oder Pflege, Gastronomie und Sicherheit. In anderen Tätigkeitsbereichen – wie Kommunikation, Forschen und Lehren oder Ein- und Verkauf – liegt die Homeoffice-Quote bei mehr als 25 Prozent.

Gefahr einer schweren Erkrankungen für Geringverdienende höher

Allerdings rechnen im Vergleich zu höheren Einkommensgruppen weniger Geringverdienende in den kommenden sechs Monaten mit gesundheitlichen Einschränkungen: Erwarteten das im Frühjahr noch 23 Prozent der Geringverdienenden, so sind es im Herbst mit 25 Prozent unwesentlich mehr. Menschen mit mittlerem Einkommen sind da pessimistischer. Ihre Erwartung gesundheitlicher Einschränkungen stieg deutlich auf 31 Prozent. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Menschen mit hohem Einkommen (23 Prozent).

Dabei ist Professor Dragano zufolge die Gefahr für Menschen mit geringerem Einkommen, schwer an Corona zu erkranken, höher. „Menschen mit schwachen sozioökonomischen Status haben nicht nur ein höheres Risiko für eine Erkrankung, sondern auch für einen schwereren Krankheitsverlauf“, so Dragano. „Eine höhere Anfälligkeit könnte mit der ungleichen Verteilung von relevanten Vorerkrankungen, wie etwa Bluthochdruck oder Übergewicht, zusammenhängen.“

Viele sind auf das Fahrrad umgestiegen

Während Menschen mit geringem Einkommen zuletzt also häufiger Bus und Bahn nutzten als im Frühjahr, ist der Verkehr insgesamt im Vergleich nur unwesentlich gestiegen. Klar ist aber: Die Verkehrswende weg von motorisierten Fortbewegungsmitteln wie Autos hin zu grüneren Alternativen ist durch die Corona-Pandemie ausgebremst worden.

Im Öffentlichen Nahverkehr bleiben die Mobilitätszahlen sogar hinter dem Niveau von 2017 zurück – Grund dafür sind zunehmende Nutzung des Homeoffice, weniger Schulbetrieb und der Fakt, dass während der Pandemie viele Menschen nicht nur aufs Auto, sondern auch aufs Fahrrad umgestiegen sind.

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