Kleiner Geldbeutel, hohes Gesundheitsrisiko: Corona greift öfter Ärmere an – ein Experte erklärt die Gründe
Corona scheint prekär lebende Menschen besonders stark zu treffen. Ein Gespräch mit Medizinsoziologe Nico Dragano warum das so ist und was getan werden kann.
Nico Dragano ist Professor für Medizinische Soziologie am Universitätsklinikum in Düsseldorf und erforscht die Zusammenhänge zwischen sozioökonomischen Bedingungen und Gesundheit.
Herr Dragano, erste Studien aus verschiedenen Ländern zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen sozialem Status und Coronavirus-Erkrankungen gibt. Aus Ihrer Sicht: Sind ärmere Menschen eher gefährdet, an Corona zu erkranken, als ökonomisch besser gestellte?
Nach allem, was wir bisher sehen, scheint das so zu sein. Das Infektionsrisiko scheint höher für Menschen zu sein, die ein geringes Einkommen haben, geringe Bildung und prekäre Jobs. Auch wenn wir Daten regional betrachten, sieht man: In ärmeren Vierteln gibt es höhere Inzidenzen.
Woran liegt das?
Abschließend kann man das nicht beantworten. Vermutungen gehen zum Teil auf Studien zurück, die die Verbreitung der Influenza untersucht haben. Sie zeigen, dass von Armut betroffene Menschen dem Risiko weniger aus dem Weg gehen können: Sie können seltener öffentliche Verkehrsmittel meiden, seltener im Homeoffice arbeiten.
Eine aktuelle Studie zum Coronavirus aus den USA hat Handybewegungsdaten ausgewertet. Die Daten haben gezeigt, dass es Menschen aus ärmeren Vierteln seltener möglich war, weniger mobil zu sein und sie sich oft an risikoreichen Orten, wie etwa vollen Supermärkten, aufgehalten haben.
Können diese Ergebnisse Aufschluss über die Situation in Deutschland geben?
Die Daten aus den USA können natürlich nicht eins zu eins auf Deutschland angewendet werden. Aber die Prozesse, die sichtbar wurden, könnten bei uns genauso greifen.
Gibt es auch Unterschiede bei der Schwere der Krankheitsverläufe, je nach sozialem Status?
Ja, das ist so. Eine höhere Anfälligkeit könnte mit der ungleichen Verteilung von relevanten Vorerkrankungen, wie etwa Bluthochdruck oder Übergewicht, zusammenhängen. Das gibt es übrigens immer schon: Gesundheitliche Ungleichheit ist die ganze Zeit präsent.
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Menschen mit schwachen sozioökonomischen Status haben nicht nur ein höheres Risiko für eine Erkrankung, sondern auch für einen schwereren Krankheitsverlauf.
Bislang gibt es nur wenige Studien, die den Zusammenhang zwischen sozialem Status und Corona-Erkrankungen erforschen. Wird sich das ändern?
Ich überblicke nicht die ganze Forschungslandschaft, aber das wird sich ändern. In der Nako-Gesundheitsstudie, die seit 2014 läuft und regelmäßig hunderttausende Menschen zu ihrer Gesundheit befragt, gab es eine Sonderbefragung zu Corona.
Dafür wurden über 150.000 Menschen befragt. Dabei werden wir auch Erkenntnisse zur soziökonomischen Situation der Erkrankten gewinnen. Die Auswertung steht jetzt an – wann genau das Ergebnis da ist, kann ich allerdings noch nicht sagen. Auch andere arbeiten an Studien, etwa das „sozio-ökonomische Panel“.
Sie haben gefordert, dass die soziale Komponente Teil der Pandemiebekämpfung werden muss. Wie könnte das konkret aussehen?
Die Pandemie-Situation ist neu für uns alle, es gibt keine Lösung, die man fertig auf den Tisch legen könnte. Aber das Thema gesundheitliche Ungleichheit muss auf die politische Agenda gesetzt werden. Wenn jetzt die Teststrategien ermittelt werden, sollte etwa überlegt werden, ob man nicht verstärkt in den Vierteln testet, die besonders stark betroffen sind.
Außerdem braucht es eine zielgruppenspezifische Kommunikation. Da ist noch Luft nach oben. Es ist jetzt der Zeitpunkt, sich zu überlegen, wie man besonders gefährdete Gruppen besonders schützt. Es darf dabei auf keinen Fall um Stigmatisierung oder die Isolation einzelner Gruppen gehen, sondern vielmehr darum, den Schutz für besonders gefährdete Menschen zu optimieren.
Was muss gesamtgesellschaftlich getan werden?
Das Problem kann nicht gelöst werden, in dem ein einzelner Bereich angegangen wird. Es müssen Lebens- und Arbeitsbedingungen geschaffen werden, die es Menschen ermöglichen, gesund zu bleiben.
Es braucht dazu faire Löhne, faire Regelungen für Familien, auch eine höhere Akzeptanz für Alleinerziehende, die in dieser Krise besonders hart getroffen sind. Corona muss Anlass sein, gesundheitliche Ungleichheit auf allen Ebenen zu berücksichtigen. Da sind wir alle gefragt.