Attacken auf Intellektuelle: Von Trump bis AfD: Die neue Würdigung des Nichtwissens
Folgt auf die „Lügenpresse“ die „Lügenwissenschaft“? Nach Politikern und Journalisten geraten Intellektuelle ins Visier von Populisten. Ein Kommentar.
Kurz vor der Abstimmung über den Brexit im Juni sagte Michael Gove, einer der führenden Vertreter der Austrittskampagne: „Die Leute in diesem Land haben genug von Experten“. Gove war auf die Prognosen vieler Wirtschaftswissenschaftler angesprochen worden, wonach ein EU-Austritt Großbritannien ökonomisch schwer schade.
Gove – Akademiker, Ex-Journalist, Politiker und Ex-Präsident des Debattierklubs „Oxford Union“ – war einen Monat später selbst nicht mehr gefragt, er verlor sein Ministeramt. Seine Attacke gegen Fachleute aber bleibt aktuell. Viel spricht dafür, dass nach Politikern und Journalisten bald auch Wissenschaftler ins Visier von Populisten geraten werden, auch in Europa. Folgt auf die „Lügenpresse“ also die „Lügenwissenschaft“?
Vorbehalte gegen Experten sind kein ganz neues Phänomen, speziell in den USA haben sie eine lange Geschichte. Präsident Richard Nixon zum Beispiel benutzte den Begriff „Egghead“, Eierkopf, um seine Gegner von den Demokraten als weltfremde Intellektuelle zu denunzieren. In dieser Tradition steht auch Donald Trump. Er treffe Entscheidungen nicht, indem er sich neues Wissen aneigne, sondern auf der Grundlage seines gesunden Menschenverstands („common sense“), sagte er kürzlich. Damit ist Trump ein gutes Beispiel für den wissenschaftlich bewiesenen „Dunning/Kruger-Effekt“: Je inkompetenter man in einer Sache ist, desto mehr glaubt man mitreden zu können.
Intellektuellenfeindlichkeit gibt es auch in Deutschland
In Deutschland sagt die AfD über sich, „Partei des gesunden Menschenverstands“ zu sein. Ihre Attacken gegen Wissenschaftler beschränken sich bisher auf Lehrstuhlinhaber, die zu Geschlechterfragen forschen. Meinungen wie die des Journalisten und Neumitglieds Nicolaus Fest, der vom „gesellschaftsschädlichen Einfluss der Sozialwissenschaften“ spricht und fordert, deren Lehrstühle auf fünf Prozent der naturwissenschaftlichen Professuren zu beschränken, sind bisher Einzelfälle.
Was nicht heißt, dass es einen Nährboden für Intellektuellenfeindlichkeit nicht auch in Deutschland gibt. Erinnert sei nur an die Äußerung des früheren Kanzlers Gerhard Schröder, der 2005 den damaligen CDU-Kandidaten für das Amt des Finanzministers, Paul Kirchhof, despektierlich als „Professor aus Heidelberg“ bezeichnet hatte. Nach dem Motto: Von einem dahergelaufenen Mann aus dem Elfenbeinturm lasse ich mir nichts sagen!
Der Pulitzer-Preisträger Richard Hofstadter führte 1964 in seinem Buch „Anti-Intellectualism in American Life“ die Tendenz, Nichtwissen zu würdigen, auf das Streben zurück, alles demokratisieren zu wollen. In der Tat scheint die Vorstellung, dass es eine bestimmte Gruppe von Menschen gibt, die über wesentlich mehr Einblick als andere Menschen verfügen, zunächst einmal wenig demokratisch zu sein. Andererseits vertraut man auch einem Laien kein Flugzeug an oder lässt jedermann Operationen durchführen. Warum sollte dieses Prinzip also nicht auch für Wissenschaftler gelten? Und was heißt überhaupt „gesunder Menschenverstand“?
Die Diskreditierung der Intelligenz ist eine klassische Strategie der Autokraten, die wir zurzeit in der Türkei, in Russland, Polen und Ungarn beobachten können. Das Gehirn ist nun mal der größte Feind der Galle.
schreibt NutzerIn stefano1
Was heißt hier „gesunder Menschenverstand“?
So wie Trump oder die AfD diesen Begriff gebrauchen, war er nie gemeint. Geht man zurück zum englischen Ausdruck „common sense“ dann wird klar, dass eigentlich die Zusammenführung von verschiedensten Erkenntnissen zu gemeinsamer Expertise beschrieben werden soll. Es reicht also nicht, die eigenen, anekdotenhaften Erfahrungen heranzuziehen, wie Trump das jetzt propagiert.
Speziell in Deutschland scheint die Wissenschaftsszene allerdings schlecht vorbereitet darauf zu sein, was ihr an Attacken noch blühen könnte. Dabei gibt es durchaus Angriffsflächen. Die lebenslange Verbeamtung von Professoren zum Beispiel, die eigentlich die Unabhängigkeit der Forschung garantieren soll, gleichzeitig aber auch Abgehobenheit produziert. Den Austausch und die Vernetzung mit anderen gesellschaftlichen Akteuren befördert sie gerade nicht – im Gegenteil.
Raus aus dem Elfenbeinturm
Zum anderen scheint es die Wissenschaft verlernt zu haben, ihre Erkenntnisse vor einer breiten Öffentlichkeit zu verteidigen. Vielleicht, weil sie in der Vergangenheit (siehe Schröders „Expertenkommissionen“) oft als Politikersatz missbraucht worden ist. Vielleicht aber auch, weil die Wissenschaft es selbst nicht mehr honoriert, wenn ihre Vertreter sich in die großen Debatten einmischen. Jeder Beitrag in einem internationalen Fachjournal zählt mehr für die Karriere. Hinzu kommt eine mitunter verquaste Wissenschaftssprache, die zum Teil auch für Akademiker unverständlich ist.
Nicht nur die Politik, auch die Wissenschaft hat den Beginn des populistischen Zeitalters verschlafen. Dabei stellen Trump, AfD und Co. eine direkte Bedrohung für ihr Arbeitsfeld dar. Spätestens jetzt also wäre es an der Zeit, den Elfenbeinturm zu verlassen.