Krieg in Syrien: Von Russland lernen
Harte Interessenpolitik ist Moskau vertraut. Ebenso nüchtern sollte der Westen mit Russland umgehen - auch bei Gesprächen über die Zukunft Syriens und ein mögliches Ende der Sanktionen. Ein Kommentar.
Mark Twain hilft immer, auch zum Verständnis russischer Syrien-Politik. Tom Sawyer gelingt es, das Eigeninteresse – einen Zaun gestrichen zu bekommen – als Beglückung der Mitmenschen zu verkaufen. Und sich noch dafür bezahlen zu lassen, dass andere ihm helfen, dieses Ziel zu erreichen.
Wladimir Putin möchte Syriens Präsidenten Baschar al Assad an der Macht halten. Geschickt nutzt er Europas Furcht vor der Dynamik der Fluchtbewegung, um dem Westen den Massenmörder Assad als Partner anzudienen. Bei erschreckend vielen verfängt diese dreiste Verdrehung. SPD-Chef Sigmar Gabriel meinte sogar, man müsse Putin so dankbar sein, dass man die Sanktionen aufheben solle, die wegen des Krieges in der Ukraine verhängt wurden.
Warum der russische Präsident Assad halten möchte, ist klar. Er ist der Garant für die Flottenbasis Tartus, Moskaus einzige im Mittelmeer, und den Luftwaffenstützpunkt Lattakia. Zudem ist Syrien der Hebel, über den der Kreml noch Einfluss auf die Entwicklung im Nahen Osten nehmen kann. Der syrische Präsident beherrscht aber nur noch die Hauptstadt Damaskus und die Küste. Dieses reduzierte Gebiet wird jetzt vom Islamischen Staat (IS) bedroht. Putin hält Assads Lage offenbar für so gefährdet, dass er eigene Kampfjets, Panzer und Luftabwehr nach Syrien bringt und den Einsatz russischer Bodentruppen andeutet – obwohl sein Volk kriegsmüde ist. Soldaten widersetzen sich angeblich dem Marschbefehl nach Syrien.
Putin möchte die Lage einfrieren, um Assads Zugriff auf Restsyrien zu erhalten
Putins Gesprächsangebot verdient eine Prüfung, nur bitte nüchtern und illusionslos. Assad bleibt ein Massenmörder, der Fassbomben gegen die eigene Bevölkerung einsetzt. Warum sollte der Westen wünschen, dass er an der Macht bleibt? Es gibt eine kleine Schnittmenge von Interessen: Erstens einen weiteren Vormarsch des IS zu verhindern, denn er ist ein noch größeres Übel als Assad. Zweitens die Kämpfe in Syrien einzudämmen und die Lage zu stabilisieren.
Die Motive gehen aber auseinander. Putin möchte die Lage einfrieren, um Assads Zugriff auf Restsyrien zu erhalten und diese Kontrolle wieder auszudehnen. Der Westen möchte Schutzzonen einrichten, damit nicht noch mehr Syrer ihr Land verlassen, und einen Friedensprozess einleiten. Von den 21 Millionen Bürgern sind bisher etwa 4,5 Millionen ins Ausland geflohen, die meisten in die Nachbarländer Türkei, Libanon und Jordanien. Weitere 7,5 Millionen sind Binnenflüchtlinge in Syrien. Sunniten, Schiiten, Drusen, Christen, Kurden, Aleviten fliehen, weil sie wegen ihrer Stammeszugehörigkeit oder Religion im einen Landesteil verfolgt werden, in einen anderen, wo sie sich sicherer fühlen. Damit sie dort bleiben, müssen diese Schutzzonen zugleich Flugverbotszonen für Assads Luftwaffe sein.
Wozu bringt Putin Luftabwehr nach Syrien? Der IS hat keine Kampfjets
Schon da werden Interessenkonflikte sichtbar. Wozu bringt Putin Luftabwehr nach Syrien? Der IS hat keine Kampfjets. Die Luftabwehr soll den Westen daran hindern, Flugverbotszonen durchzusetzen. Putin will auch keinen Friedensprozess. Denn dann hätte Assad zwar in der Übergangsphase noch eine Rolle, aber am Ende müsste er weichen. Man sollte mit Russland reden, eventuell auch mit Assad. Aber es gibt keinen Grund, Putin zu belohnen. US-Präsident Barack Obama und Angela Merkel sollten sich vielmehr überlegen, was sie von ihm fordern. Zum Beispiel: Dass er Flugverbotszonen zustimmt und den Übergang zu einem Syrien ohne Assad unterstützt – und dafür anbieten, dass Russland Tartus und Lattakia weiter nutzen kann.
Harte Interessenpolitik ist Moskau vertraut. Es hat Übung darin, hier Kooperation und dort Konfrontation zu betreiben, gleichzeitig. Trotz Ukrainekrieg und Sanktionen ging die Zusammenarbeit im Weltraum weiter, unterstützte der Kreml die Atomgespräche mit dem Iran und half der Nato in Afghanistan. Ebenso nüchtern sollte der Westen mit Russland umgehen. Gespräche ja, aber die Sanktionen sollten bleiben, bis Frieden in der Ostukraine herrscht und eine einvernehmliche Lösung für die Krim gefunden ist.