Griechenland-Drama: Von hart bis nachsichtig
Für die einen ist der „Grexit“ undenkbar, die anderen befürworten die harte Linie, manche sind noch unentschieden. Welche Haltung nehmen die Länder der Euro-Zone in Sachen Griechenland ein?
Nach dem „Nein“ der Griechen vom vergangenen Sonntag haben die Staats- und Regierungschefs der übrigen 18 Staaten der Euro-Zone am Dienstagabend gemeinsam mit dem griechischen Regierungschef Alexis Tsipras darüber beraten, wie es mit Hellas weitergehen soll. Die Länder im gemeinsamen Währungsraum teilen sich dabei in drei Lager auf: Hardliner, die einen „Grexit“ nicht ausschließen wollen, Unentschiedene und schließlich Länder, die ein mögliches Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone in jedem Fall verhindern wollen. In der Diskussion, bei der es auch um die möglichen außenpolitischen Folgen eines „Grexit“ geht, kommt Bundeskanzlerin Angela Merkel eine entscheidende Rolle zu.
Die Hardliner
Zu diesem Lager gehören unter anderem die baltischen Staaten, Finnland, die Niederlande, Irland und die Slowakei. Vor allem die baltischen Staaten wurden von der Weltfinanzkrise hart getroffen. Sie befanden sich vor mehr als einem halben Jahrzehnt in einer ähnlichen wirtschaftlichen Zwangslage wie Griechenland heute. In der Folge mussten die Balten ihre Haushalte in einem schmerzhaften Reformprozess sanieren. Wegen dieser Erfahrung gibt es in den Bevölkerungen in Estland, Lettland und Litauen wenig Verständnis dafür, dass Griechenland auch mehr als fünf Jahre nach dem Start der Rettungspakete immer noch erhebliche Probleme beim Eintreiben von Steuern oder beim Abbau des Beamtenapparats hat. „Die Letten verstehen die Griechen nicht“ erklärte der lettische Finanzminister Janis Reirs am Dienstag in Brüssel vor Beginn eines Treffens mit seinen Ressortkollegen aus den übrigen 18 Euro-Ländern.
Warum gerade die baltischen Staaten eine größere Reformbereitschaft von Griechenland erwarten, erläuterte der lettische Kassenwart ebenfalls. Die lettische Wirtschaft, so Reirs, sei nach dem Beginn der Finanzkrise 2008 zunächst um 20 Prozent eingebrochen. Dieser Rückgang ist beinahe so gravierend wie der Rückgang der Wirtschaftskraft, der in Hellas zwischen 2008 und 2014 infolge der Sparprogramme der internationalen Geldgeber verzeichnet wurde – rund 25 Prozent. In Lettland entschloss man sich anders als in Griechenland zu einem drastischen Umsteuern – der Staatssektor wurde nach den Worten von Reirs um rund die Hälfte reduziert.
Auch wenn die Hardliner unter den Euro-Staaten besonders streng auf Griechenland schauen, so will offenbar auch in diesem Lager niemand aktiv einen „Grexit“ betreiben. Zwar sprach der lettische Finanzminister Reirs davon, dass es möglicherweise besser sein könne, wenn ein einzelner Staat wie Griechenland nicht mehr auf Dauer das Euro-System schädige. Allerdings erklärte sein litauischer Amtskollege Rimantas Sadzius, dass das „Basisszenario“ weiterhin darin bestehe, Griechenland in der Euro-Zone zu halten.
Ins Lager der Staaten, die Griechenland keinesfalls aus den mit möglichen weiteren Hilfen verbundenen Verpflichtungen entlassen wollen, gehört auch Irland. Dublin musste wie alle andere Staaten, die ein Rettungspaket bekamen, harte Auflagen erfüllen. Der irische Finanzminister Michael Noonan erklärte am Dienstag, Griechenland solle sich an der Grünen Insel ein Beispiel nehmen. Wie Noonan weiter ausführte, sei es seinem Land gelungen. die Schuldenlast auf ein erträgliches Maß zu verringern.
Es wäre allerdings eine Vereinfachung, wenn man die Diskussion um das Schicksal Griechenlands in der Gemeinschaftswährung als eine Kontroverse zwischen einem stabilitätsorientierten Norden und einem ausgabefreudigen Süden der Euro-Zone darstellen würde. Auch aus dem Süden der Euro-Zone kommen Wortmeldungen, aus denen die Frustration über das mangelnde Tempo bei der Modernisierung des griechischen Staatswesens spricht. So erklärte der Finanzminister von Malta, Edward Scicluna, am Dienstag, der „Grexit“ sei eine „realistische Möglichkeit“
Die Unentschiedenen
Luxemburg hält gegenwärtig die Ratspräsidentschaft unter den EU-Staaten inne. Allein schon aus diesem Grund ist das Großherzogtum im Streit um Griechenland auf eine Vermittlerrolle verpflichtet. So erklärt sich auch, dass sich Pierre Gramegna, der Finanzminister Luxemburgs, am Dienstag im Grundsatzstreit um die langfristige Zukunft Griechenlands in der Euro-Zone nicht äußerte. Vielmehr, so Gramegna, müsse zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine kurzfristige Lösung gefunden werden, mit deren Hilfe die griechischen Banken demnächst wieder öffnen könnten.
Den entscheidende Einfluss im Lager der Unentschiedenen hat aber Deutschland und damit Angela Merkel. Die Kanzlerin kennt einerseits die Pro-„Grexit“-Stimmung im eigenen Land, muss andererseits aber auch die außenpolitischen Risiken eines Euro-Austritts Griechenlands bedenken.
Im Bundestag regt sich vor allem in der Union Widerspruch angesichts der Aussicht auf ein mögliches weiteres Rettungspaket für Griechenland. Wie groß die Unterstützung für Merkel im Parlament innerhalb des Regierungslagers am Ende sein könnte, dürfte im Detail davon abhängen, wie mögliche Schuldenerleichterungen für Griechenland aussehen. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) schlug jedenfalls am Dienstag gleich einmal einen Pflock ein, als er in Brüssel erklärte, dass ein „Schuldenschnitt“ nicht mit dem vertraglich festgelegten Bail-Out-Verbot vereinbar sei. Im Klartext: Staaten dürfen nicht die Verbindlichkeiten anderer Euro-Länder über einen nominellen Nachlass bei den Schulden übernehmen.
Allerdings hat die Frage, wie viel Solidarität die Euro-Staaten noch gegenüber Griechenland an den Tag legen sollen, nicht nur eine ökonomische Dimension. Merkel dürfte das außenpolitische Risiko bewusst sein, das sich aus einem „Grexit“ ergeben könnte. Tsipras, der seit seinem Amtsantritt schon mehrfach in Russland war, könnte nach einem Ausscheiden seines Landes aus dem Euro künftig die EU-Sanktionspolitik gegenüber Russland per Veto torpedieren. Daran hat Merkel kein Interesse – und die baltischen Nachbarn Russlands auch nicht.
Die „Grexit“-Gegner
Griechenland hat bei dem Treffen der Finanzminister und der Regierungschefs auch Fürsprecher. Allen voran dringt Frankreich auf eine schnelle Einigung. In Paris kann man sich dabei auch eine Umschuldung vorstellen. Dies sei „kein Tabuthema“, sagte Frankreichs Regierungschef Manuel Valls. Und weiter: „Wir können nicht das Risiko eines Austritts Griechenlands aus der Euro-Zone eingehen.“ Valls zufolge stellt der „Grexit“ ein zu hohes Risiko „für das Wachstum und die Weltwirtschaft“ dar. Deshalb versprach Valls, dass Frankreich „alles“ tun werde, „um Griechenland in der Euro-Zone zu halten“. Der französische EU-Kommissar Pierre Moscovici hat sich in den vergangenen Tagen ebenfalls für weitere Gespräche mit Athen eingesetzt – auch wenn er am Dienstag betonte, nun müsse zunächst über die griechischen Vorschläge und nicht gleich über einen Schuldenerlass diskutiert werden.
Österreich hatte in den vergangenen Wochen ebenfalls immer wieder Unterstützung für Hellas geäußert. Regierungschef Werner Faymann hatte auch Tsipras in Athen besucht. Finanzminister Hans Jörg Schelling zeigte sich am Dienstag vor dem Treffen mit seinen Amtskollegen zuversichtlich, er halte einen Austritt des Landes „für eher nicht wahrscheinlich“.
Auch Staaten wie Italien, Spanien und Portugal im Süden der Euro-Zone zeigen Griechenland gegenüber eine weniger strikte Haltung als viele osteuropäische Länder oder Deutschland. In Madrid, Lissabon und Rom werden mögliche Ansteckungsgefahren eines „Grexit“ stärker gefürchtet als anderswo – freilich sind die Zinsen der Staatsanleihen dieser Länder auch nach den jüngsten Turbulenzen in der Griechenland-Krise nur moderat in die Höhe gegangen.
Italiens Regierungschef Matteo Renzi hatte sich zwar vor dem Referendum auf die Seite der Tsipras-Gegner geschlagen, aber auch immer wieder um Verständnis für die griechische Situation geworben. Die Haltung Italiens wirkt dabei auf den ersten Blick widersprüchlich: Renzi hatte darauf gehofft, die Griechen würden beim Referendum mit „Ja“ stimmen, nur um dann seine europäischen Kollegen besser davon überzeugen zu können, dass eine rigorose Sparpolitik nicht die Lösung der Krise bedeuten kann. Hier haben Italien und Griechenland durchaus ähnliche Interessen. Renzi verfolgt das Ziel „einer demokratischen und nicht technokratischen Regierung der Euro-Zone“, die Wachstum vor allem durch Investitionen fördert und weniger auf Kürzungen setzt.
In Spanien verfolgt der konservative Staatschef Mariano Rajoy angesichts der im eigenen Land wachsenden linken Bewegung Podemos einen Schlingerkurs. Einerseits will er vermeiden, dass Podemos durch ein allzu großzügiges Entgegenkommen gegenüber Tsipras gestärkt wird. Anderseits ist er sich auch des Risikos bewusst, dass eine übertrieben harte Haltung gegenüber Griechenland Podemos ebenfalls Zulauf verschaffen könnte. In diesem Dilemma wählte Spaniens Wirtschaftsminister Luis de Guindos die Formulierung, dass Athen zwar ein drittes Hilfspaket beantragen könne. Anderseits, so de Guindos, blieben Reformauflagen „unvermeidbar“.