Krise in Kolumbien: „Von Frieden keine Rede mehr“
Der Ex-Präsident im Hausarrest, Corona auf dem Vormarsch. Kolumbien galt als neuer Hoffnungsstaat, nun brechen alte Konflikte mit voller Wucht neu auf.
Eigentlich ist er nur Radfahrer. Aber immer wieder wird Egan Bernal politisch, der 23-Jährige mahnt die Kolumbianer, trotz aller Konflikte und Widrigkeiten zusammenzuhalten. Der erste Tour de France-Gewinner aus Südamerika ist schon wieder in Bestform – bis hin zu Präsident Ivan Duque fiebert das ganze Land mit, ob das Radsportidol im September erneut ganz oben in Paris auf dem Treppchen stehen wird. Denn daheim reißen die schlechten Nachrichten nicht ab.
Kolumbien galt 2016 schon als neuer Hoffnungsstaat Südamerikas: der Friedensvertrag mit den Farc-Rebellen nach 50 Jahren bewaffnetem Konflikt unter Dach und Fach, der Friedensnobelpreis für den damaligen Präsidenten Juan Manuel Santos dazu ein Tourismus- und Investitionsboom.
Doch die alten Kräfte, allen voran der frühere Präsident Álvaro Uribe, nahmen auf allen Kanälen Einfluss, um den Friedensprozess zu torpedieren. Nun sitzt Uribe im Hausarrest, zusätzlich wurde auch noch Corona bei ihm diagnostiziert. Ohnehin beutelt das Virus das Land immer heftiger – es hat mit fast 360.000 Infektionen die neuntmeisten weltweit, 12.000 Menschen starben an oder mit einer Covid-19-Infektion.
Dass der Oberste Gerichtshof Uribe unter Hausarrest gestellt hat, bedeutet für das Land eine Zerreißprobe. Der Ex-Präsident soll Ermittlungen der Justiz behindert haben. Ihm wird vorgeworfen, Zeugen bestochen und unter Druck gesetzt zu haben, um sie zum Schweigen zu bringen. Uribe und seine Familie werden beschuldigt, Verbindungen zu paramilitärischen Gruppen gehabt zu haben.
Er war Präsident von 2002 bis 2010, die rechten Paramilitärs bekämpften damals die Farc und verschärften den Konflikt, in dem Hunderttausende ums Leben kamen; mehr als sieben Millionen Menschen wurden innerhalb Kolumbiens vertrieben.
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Uribe regierte mit harter Hand, konnte aber die linke Guerilla nicht militärisch besiegen. Dennoch hat er bis heute viel Rückhalt in der Bevölkerung, 2013 gründete er die rechtskonservative Partei „Centro Democrático“, der auch der heutige Präsident Iván Duque angehört und als „Ziehsohn“ Uribes gilt.
Auf Kolumbien könnten schwere Zeiten zukommen
Die Gerichtsentscheidung wird als Beleg für die Unabhängigkeit der Justiz gewertet. Ganz anders als das Nachbarland Venezuela, hat Kolumbien bei allen Problemen stets auf einen demokratischen Weg gesetzt, mit regulären Regierungswechseln. Der stellvertretende Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Günther Maihold, sieht aber nun auf Kolumbien schwere Zeiten zukommen.
„Durch diese Entscheidung wird eine alte Spaltung des Landes belebt“, sagt Maihold. Die zwischen dem Uribe-Lager und jenem, das seine Verbindung mit den Paramilitärs „durch massives Abhören und Überwachen politischer Gegner in den Vordergrund rückt“, betont Maihold. Diese erneute Polarisierung könne den Todesstoß für den bereits beschädigten Friedensprozess bedeuten.
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Duque steht fest zu seinem politischen Mentor, was die Unsicherheit für die Ex-Guerilleros erhöht. Schon jetzt haben einige von ihnen wieder den Kampf aufgenommen. Maihold fürchtet, das Uribe-Lager könne eine komplette Revision des Friedensprozesses anstreben, der früheren Guerilleros eine weitgehende Straffreiheit brachte und eine politische Beteiligung über die Farc-Partei. Ihr wurden zehn Sitze im Kongress gemäß Friedensvertrag zugesichert, obwohl sie bei den Wahlen 2018 auf weniger als ein Prozent der Stimmen kam, was für keinen Sitz gereicht hätten.
Maihold betont, dass es für das Uribe-Lager „inakzeptabel“ sei, dass er unter Hausarrest stehe und die Führer der Farc frei seien. Er rechnet mit einer starken Mobilisierung und Einschüchterung politischer Gegner. Sein ernüchterndes Fazit: „Von Frieden wird keine Rede mehr sein.“
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