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Großbritanniens Premierminister Boris Johnson und Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, am Mittwoch in London.
© Matt Dunham/AP/dpa

Brexit: Vom Rolls Royce zur Mittelklasse

London will sein Verhältnis zur EU bis zum Jahresende neu regeln. „Unmöglich“, warnt die EU-Chefin Ursula von der Leyen bei ihrem Besuch in London.

Freundliche Worte, keinerlei Annäherung in der Sache: Das erste Zusammentreffen zwischen Ursula von der Leyen und Boris Johnson am Mittwoch in London hat die Schwierigkeit der kommenden Brexit-Verhandlungen verdeutlicht.

Der britische Premierminister beharrte auf seinem Wahlkampfversprechen: Die nach dem EU-Austritt am 31. Januar beginnende Übergangsphase werde Ende Dezember auf jeden Fall ablaufen. Der Kürze der Zeit wegen sei dadurch eine Vereinbarung „über jeden Aspekt der zukünftigen Zusammenarbeit unmöglich“, warnte die Kommissionspräsidentin.

Der im Amt bestätigte Johnson hat dem Unterhaus eine neue Version des Austrittsgesetzes vorgelegt. Dieses setzt die im Oktober erreichte Einigung mit Brüssel um, reduziert jedoch die Mitspracherechte des Parlaments über die Brexit-Einzelheiten und die zukünftige Partnerschaft mit dem größten Binnenmarkt der Welt.

Gesetzlich festgelegt wird auch das Ende der Übergangsphase am 31. Dezember 2020. Bis dahin erfüllt Großbritannien weiterhin alle Pflichten als EU-Mitglied und zahlt in die Gemeinschaftskasse ein, verzichtet aber auf jegliche Mitspracherechte. In Brüssel hält man eine Verlängerung dieser Periode für unabdingbar, weil die Neuordnung der Beziehungen nach 47-jähriger Mitgliedschaft viel Zeit in Anspruch nehmen wird.

Die Vorstellungen der Regierung seien wohl eine Reaktion auf das monatelange Gezerre während der letzten Legislaturperiode, analysiert die Verfassungsexpertin Meg Russell von der Londoner Universität UCL. „Aber die Position ist unlogisch, schließlich macht eine genaue Überprüfung ein Gesetz besser.“

Industrie kritisiert Johnson

Über die Einschränkung der parlamentarischen Kontrolle führt die Opposition ebenso Klage wie über die geringe Konsultation der Regionalparlamente in Schottland, Wales und Nordirland. „Unsere Änderungsanträge haben keine Chance“, sagte die Brexit-Sprecherin der schottischen Nationalpartei SNP, Joanna Cherry.

Da traditionell auch das Oberhaus davor zurückschreckt, eine mit klarer Mehrheit gewählte Regierung herauszufordern, dürfte Johnson für die Verhandlungen den Rücken frei haben. In einem Vortrag an der London School of Economics (LSE) nahm von der Leyen darauf Bezug: Es gebe nun „Klarheit“ und „Gewissheit“ über die Brexit-Linie.

Natürlich bedauere sie die britische Austrittsentscheidung, respektiere diese aber auch. „Der 31. Januar wird emotional ein schwieriger Tag sein, aber am 1. Februar sind wir immer noch beste Freunde und Partner.“

Mehrere Minuten widmete die 61-Jährige ihren Erinnerungen an ein Studienjahr an der LSE in den 1970er Jahren und überhäufte ihr damaliges Gastland mit Komplimenten: Großbritannien sei ein „stolzes und patriotisches, freundliches und großzügiges Land“.

Von der Leyen machte aber deutlich, dass die Austrittsentscheidung Konsequenzen habe. „Unsere Partnerschaft wird nicht so eng sein wie zuvor.“ Bei der Verteidigung der Einheit von Binnenmarkt und Zollunion werde es keine Kompromisse geben: „Ohne Personenfreizügigkeit gibt es auch keine Freizügigkeit von Kapital, Gütern und Dienstleistungen.“

Der einstige Brexit-Vorkämpfer Johnson hat den Vorsitz seiner Partei und im Dezember die Unterhauswahl mit dem Slogan gewonnen, er werde „den Brexit vollenden“. Zwar enthält der Austrittsvertrag Sonderregelungen für Nordirland, um das Problem der Landgrenze zur Republik Irland zu lösen. Für den Rest des Landes pocht der Premierminister aber auf eine Abgrenzung vom Regelwerk der EU.

Diese Haltung stößt bei der britischen Industrie auf Kritik: Die Regierung setze ihre Sektoren „einem ernsten Risiko“ aus, betonten nach Abschluss des Austrittsabkommens Vertreter von Branchen wie Automobil-, Chemie- und Luftfahrtindustrie. Der Handelskommissar Phil Hogan vergleicht Johnsons Politik mit dem Wechsel von „einem Rolls-Royce zu einem gebrauchten Mittelklassewagen“. Im Vereinigten Königreich hätten viele die Konsequenzen der Regierungslinie noch gar nicht verstanden, fürchtet der Ire.

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